Wer das Sagen hat
EINSEITIGER PROFIT
Der Handel zwischen den Staaten würde dem Frieden dienen, wenn es dabei fair zuginge Wirtschaft, Politik, Kultur: Die USA bestimmen die Regeln der Globalisierung – zum eigenen Nutzen und dem des Westens / Von Oskar Lafontaine
Der 11. September hat die Globalisierung nicht verändert. Nach den Anschlägen in New York war es nur so, als ginge der Vorhang des Theaters wieder auf. Das schon etwas müde gewordene Publikum betrachtete die Bühne und Kulisse mit neuer Aufmerksamkeit. Es sah, die viel diskutierte Globalisierung ist kein neutraler technischer und wirtschaftlicher Vorgang, sondern vielmehr ein interessengesteuerter politischer und sozialer Prozess. Sie dient vor allem der Ausbreitung der amerikanischen Lebensart und Vorherrschaft in der Welt. Die Vereinigten Staaten haben eine globale kulturelle Hegemonie. McDonalds, Nike, Coca Cola, Jeans und NBC sind überall. Ihre politische Hegemonie stützt sich auf Waffen, Rohstoffe, Geld und Handel.
Amerika ist die größte Waffenschmiede der Erde. Das Land, dessen Einwohner 4,5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, braucht 40 Prozent der Militärausgaben der Welt, um sich zu „verteidigen". Dabei ist es von friedlichen Nachbarn und Ozeanen umgeben. Auf Grund der gewaltigen Militärausgaben haben die USA gegenüber allen anderen Ländern in der Rüstungstechnik einen großen Vorsprung. Der Afghanistankrieg machte das ebenso deutlich, wie der Golfkrieg und der Kosovokrieg. Die militärische Überlegenheit ist so groß, dass der amerikanische Präsident gewissermaßen im Vorbeigehen einigen „Schurkenstaaten" mit Krieg drohen kann, wenn sie sich nicht ändern.
Der Vorsprung Amerikas vor Europa auf militärischem Gebiet verändert auch den Umgang der Europäer und der Amerikaner untereinander. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld sieht es mittlerweile als Zeitverschwendung an, seine europäischen Kollegen überhaupt noch zu treffen. Was soll er mit ihnen eigentlich auch besprechen? Den Afghanistankrieg führen die Amerikaner allein. Die Europäer sind ihnen eher lästig. Es war peinlich mit anzusehen, wie England, Frankreich und Deutschland ihre militärischen Dienste beflissen anboten, die Amerikaner aber kaum Interesse zeigten. An diesem Befund ändert auch der Einsatz europäischer Spezialkommandos nichts.
Partner ohne Mitspracherecht
Wie wenig Amerika bereit ist, seine Verbündeten an wichtigen geostrategischen Entscheidungen zu beteiligen, zeigt die Kündigung des ABM-Vertrages. Die Europäer wurden noch nicht einmal konsultiert. Dabei war dieser Vertrag ein wesentliches Element des militärischen Gleichgewichts und der strategischen Stabilität. Die Möglichkeit der Atommächte, sich gegenseitig zu vernichten, galt als Garantie dafür, dass sie einander nicht mehr den Krieg erklärten. Das damit verbundene Risiko war zu hoch. Der Versuch Amerikas, im Alleingang sich einen Schutzschirm gegen anfliegende Raketen zuzulegen, wird Reaktionen hervorrufen. Mit großen Anstrengungen werden die übrigen Atommächte versuchen, ihre Arsenale auszubauen, um den amerikanischen Raketenschild zu unterlaufen. Und längerfristig werden sie ebenfalls alle Anstrengungen unternehmen, ein Raketenabwehrsystem zu installieren.
Der 11. September hat gezeigt, dass auch Abwehrraketen eine Supermacht nicht schützen können. Die Attentäter waren nur mit Teppichmessern bewaffnet und sie brachten unter Einsatz des eigenen Lebens über 3000 Menschen im World Trade Center und im Pentagon den Tod. Der Traum von der amerikanischen Unverwundbarkeit wird immer ein Wunschtraum bleiben. Die einzig verbliebene Weltmacht kann noch so sehr weiterrüsten und ihre Arsenale mit den schrecklichsten Waffensystemen füllen, angreifbar bleibt sie immer, weil eine Zivilgesellschaft, wie New York gezeigt hat, extrem verletzbar ist. Die Erkenntnis des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt und seines Vordenkers Egon Bahr, dass in einer hochtechnisierten Welt Sicherheit nur gemeinsam zu finden ist, wurde durch die Terroranschläge auf dramatische Weise bestätigt. Und wenn man ein weiteres Beispiel braucht: Auch im israelisch-palästinensischen Konflikt wird täglich deutlich: Gegen zum Selbstmord entschlossene Attentäter vermag eine hochgerüstete Armee nichts auszurichten. Der Terror ist die Waffe der Armen.
Will man die Welt sicherer machen, dann muss man aufhören, sie mit Waffen voll zu stopfen. Die Waffenexporte sind die Ursachen allen Übels. Und wie bei den „Verteidigungsausgaben" steht Amerika auch hier an erster Stelle. Es ist für 50 Prozent der globalen Rüstungsexporte verantwortlich und liefert Waffen an 140 Staaten, von denen 90 Prozent entweder Diktaturen sind oder die Menschenrechte nicht achten. Nur Verblendete können glauben, diese Waffenlieferungen dienten dem Frieden. Sie steigern die Profite der privaten Rüstungsschmieden und erweitern den militärischen Einfluss der USA. Will man der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben, dann müssen die Waffenexporte drastisch zurückgeführt und die internationalen Institutionen gestärkt werden. Es wäre ein Segen für die Menschheit, wenn künftig alle Rüstungsexporte von der Uno genehmigt werden müssten.
Der Kampf um die Rohstoffe prägt seit Jahrhunderten die Außenpolitik. In unserer Zeit geht es vor allem um Öl und Gas. Der Golfkrieg wäre nicht geführt worden, wenn es in Kuweit allein um die staatliche Selbstständigkeit des Scheichtums gegangen wäre. Und auch im Afghanistankrieg geht es nicht nur um Osama bin Laden, die Al Qaida und das Taliban-Regime, sondern um die Öl- und Gasfelder Mittelasiens. Seit langem ist es ein fester Bestandteil der amerikanischen Politik, sich den Zugang zu den Energiequellen militärisch zu sichern. Bedauerlicherweise haben nicht nur die ehemaligen europäischen Kolonialmächte England und Frankreich ähnliche Vorstellungen. Auch die übrigen europäischen Staaten protestieren nicht mehr laut, wenn die Nato in den Dienst dieser Strategie gestellt wird. Diese in die Kolonialzeit zurückreichende Fehlentwicklung der Globalisierung, sich die Bodenschätze der weniger entwickelten Länder mit Truppen zu sichern, muss durch einen friedlichen Rohstoffhandel ersetzt werden. Die Länder, die über Energiequellen verfügen, wollen die Güter der Industriestaaten kaufen. Und wir sollten nicht vergessen: In der Ausbeutung der Ölfelder ihrer Länder durch die Konzerne der westlichen Welt sehen muslimische Terroristen einen Grund, die Industriestaaten zu bekämpfen.
Oft heißt es, der Handel zwischen den Staaten diene dem Frieden. Das wäre mit Sicherheit der Fall, wenn es dabei fair zuginge. Davon kann aber keine Rede sein. Der Welthandel ist eher ein Schlachtfeld, auf dem die Starken ihre Interessen durchsetzen. Das beginnt bei den Agrarerzeugnissen. Sie sind oft das einzige, was die so genannten Entwicklungsländer exportieren könnten. Aber die reichen Länder lassen das nicht zu. Mit hohen Zöllen schotten sie ihre Märkte ab. Und als sei das noch nicht genug, subventionieren sie die eigene Agrarindustrie mit 350 Milliarden Dollar im Jahr. Darin enthalten sind Exportsubventionen, mit denen die westlichen Agrarfabriken die einheimischen Bauern vor allem in Afrika und Asien vom Markt verdrängen. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit wird mit heeren Sonntagsreden überdeckt, in denen der Freihandel gepriesen wird.
Die Globalisierungskritiker in aller Welt haben die Mächtigen durchschaut. Sie wissen, dass Worte und Taten weit auseinander klaffen. Daher fordern sie zu Recht eine Reform der Welthandelsbestimmungen. Industrieländer müssen ihre Zölle abbauen und ihre Märkte für die Agrar- und Textilerzeugnisse der ärmeren Länder öffnen. Den Streit über die Bedingungen des Handels mit Textilien kennen wir aus der Geschichte. Um die deutschen Betriebe zu schützen, forderte im vorletzten Jahrhundert Friedrich List wohlüberlegt Schutzzölle. Als die Engländer den indischen Markt zwangsweise für ihre Textilexporte öffneten, ruinierten sie die indische Baumwollindustrie.
Ein ebenso trauriges Kapitel wie die Schutzzölle der Reichen auf Agrar- und Textilerzeugnisse, sind die Arzneimittelpatente. Dass die Pharmaindustrie ein ausgeprägtes Gewinnstreben hat, ist bekannt. Mit allen Mitteln wehrt sie sich, wenn ärmere Länder diese Arzneimittel billiger herstellen, um Krankheitsepidemien zu bekämpfen. Viele Menschen sterben an Aids, Tuberkulose, Malaria und anderen Krankheiten, nur weil die Profitinteressen der Konzerne wichtiger sind, als die Versorgung der Ärmsten dieser Erde. Die Globalisierungskritiker haben viele Gründe, zu Protestkundgebungen aufzurufen, wenn die Mächtigen der Welt zusammenkommen.
Unverbindliche Erklärungen
Auch die Verhandlungen der Welthandelsorganisation im Ölscheichtum Katar brachten nur unwesentliche Fortschritte. Wie immer kam es zu wohlklingenden und unverbindlichen Absichtserklärungen. Die weltweite Kritik sozial engagierter Menschen gegen die Ungerechtigkeit des Handels wird zunehmen, weil es immer noch Kinderarbeit gibt und die Umweltstandards missachtet werden.
Im Zentrum der Angriffe der Globalisierungskritiker steht der IWF, und das zu Recht. Der Internationale Währungsfonds wurde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges eingerichtet, um wirtschaftliche Instabilitäten auf der Erde zu bekämpfen. Sein Ideengeber war der englische Ökonom John Maynard Keynes. Er warb dafür, den immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen durch ein gemeinsames Handeln der Staaten zu begegnen. Wenn ein Land in Schwierigkeiten kam, dann sollte der IWF Kredite geben, um ihm zu helfen, aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten wieder herauszufinden.
Gleichzeitig war der IWF für das Regime fester Wechselkurse verantwortlich. In festen Wechselkursen sah man eine Voraussetzung für eine stetige Entwicklung der Weltwirtschaft. Mittlerweile hat sich die Lage verändert. Die Wechselkurse sind frei und der weltweite Kapitalverkehr ist dereguliert. Mit der Computertechnik werden riesige Beträge stündlich um den ganzen Erdball verschoben. Die Finanzkrisen werden immer häufiger. Zur Zeit ist wieder einmal Argentinien betroffen. Der IWF zögert, weitere Kredite zu geben. Der Türkei und Pakistan, deren Volkswirtschaften ebenfalls in Schwierigkeiten sind, wurden Hilfen gewährt, weil sie der von Amerika geschmiedeten Antiterrorkoalition beitraten.
Im IWF haben die USA eine Sperrminorität. Gegen das Votum des amerikanischen Finanzministeriums läuft dort nichts. Das zeigte sich zuletzt, als der ehemalige amerikanische Finanzminister Larry Summers die Berufung des Berliner Finanzstaatssekretärs Kajo Koch-Weser zum IWF-Direktor verhinderte. Noch bedenklicher als der Einfluss der amerikanischen Politik auf den Internationalen Währungsfonds ist der Einfluss der Wall Street auf diese Weltinstitution. Der Fonds dient in den letzten Jahren nicht mehr der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den ärmeren Ländern, sondern den Interessen der Finanzindustrie. Und das geht so: Zunächst zwingt man die Länder, auch solche, die gar kein Kapital brauchen, sich dem weltweiten Kapitalverkehr zu öffnen. Die ostasiatischen Staaten beispielsweise hatten eine hohe Sparquote und brauchten kein ausländisches Geld. Solange sie den Kapitalverkehr nicht freigegeben hatten, lebten sie prächtig. Ihre Wirtschaft wuchs und der Wohlstand der Bevölkerung nahm zu. Erst als auch „ausländische Investoren" ihr Geld in den aufstrebenden Staaten anlegen konnten, kam es zu Schwierigkeiten. Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten entstanden, die, wie in allen ähnlich gelagerten Fällen, die Wirtschaft der betroffenen Länder bald in Schwierigkeiten brachten.
Wenn die ersten Warnungen, die Blase könne platzen, durchsickern, versuchen die internationalen Anleger ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und der IWF hilft immer mit der gleichen Rezeptur. Damit die Anleger kein Geld verlieren, bindet er seine Kredite an die Auflage, den Wechselkurs stabil zu halten. Dazu muss die jeweilige Nationalbank die Zinsen auf astronomische Höhen schrauben und die Regierung erhält die Weisung, die Staatsausgaben zu drosseln. Der IWF verordnet, im Gegensatz zu seinem ursprünglichen Auftrag, den in Schwierigkeiten geratenen Ländern eine Rezession. Da die IWF-Maßnahmen den Absturz der Währung nicht verhindern können, kommt es über kurz oder lang zu einer dramatischen Abwertung. Die Wirtschaftskrise verstärkt sich und viele Menschen werden arm und arbeitslos. Die internationalen Anleger konnten ihr Geld ohne Verluste abziehen, bevor der Währungsverfall einsetzte. Und die Reichen des Entwicklungslandes haben ihr Geld ebenfalls ins Ausland geschafft und so den Verfall der Währung des eigenen Landes beschleunigt.
Der Internationale Währungsfond entmündigt durch seine rigorosen Auflagen Regierungen und Parlamente der Länder, denen er hilft und dient gleichzeitig den Interessen der internationalen Finanzindustrie. Wundert es da, dass diese New Yorker Institution immer mehr ins Visier der weltweiten Protestbewegung rückt?
Vor allem Gewerkschaften und Kirchen haben erkannt, dass die viel gepriesene Globalisierung in ihrer jetzigen Form auf eine gewaltige Umverteilung hinausläuft. Die Industriestaaten verbrauchen die Rohstoffe der armen Länder und sichern sich den Zugang zu ihnen notfalls mit Waffengewalt. Der Welthandel ist unfair, weil die Reichen schamlos ihre Interessen durchsetzen. Sie schotten die eigenen Märkte ab, während sie die schwachen Staaten zwingen, ihre Märkte zu öffnen.
Schutzzölle für Entwicklung
Die wohlhabenden Länder tun so, als hätten sie aus ihrer eigenen Geschichte nichts gelernt. Jeder blühende Industriestaat hat lange Zeit die eigene Wirtschaft mit Schutzzöllen vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Und bei vielen Produkten geschieht das auch heute noch. Wie ein Treppenwitz mutete es an, dass der amerikanische Präsident Schutzzölle für die heimische Stahlindustrie verkündete, während die Staaten der Welt im Golfscheichtum Katar über den Abbau von Handelsbarrieren verhandelten. Niemand kann das Lied vom segensreichen Freihandel so überzeugend vortragen, wie die Vertreter der Vereinigten Staaten. Aber wenn ihre eigenen Interessen auf dem Spiel stehen, dann wollen sie von dem wohlstandsmehrenden freien Handel nichts mehr wissen.
Der Globalisierung fehlt eine internationale Rechtsordnung. Diese muss sich an der sozialen Gerechtigkeit orientieren und im Streitfall auf demokratische Entscheidungen setzen. Zur Zeit gilt eher das Faustrecht oder das Recht des Stärkeren. Es bleibt zu hoffen, dass die Staaten der Welt die Vorschläge der Globalisierungskritiker aufgreifen. Sie fordern die Entschuldung der armen Länder, das Austrocknen der Steueroasen, die Bekämpfung der Steuerflucht, eine neue Weltfinanzarchitektur mit stabilen Wechselkursen und Kapitalverkehrskontrollen, die Demokratisierung der internationalen Organisationen, den Abbau der Agrarsubventionen, die Änderung der Spielregeln des Welthandels, die Steigerung der Entwicklungshilfe und die Einführung einer Tobin-Steuer. Die Verwirklichung eines Teils dieser Reformen würde der Welt ein menschlicheres Antlitz geben.
So richtig neu ist das alles nicht aber nett verknüpft.
EINSEITIGER PROFIT
Der Handel zwischen den Staaten würde dem Frieden dienen, wenn es dabei fair zuginge Wirtschaft, Politik, Kultur: Die USA bestimmen die Regeln der Globalisierung – zum eigenen Nutzen und dem des Westens / Von Oskar Lafontaine
Der 11. September hat die Globalisierung nicht verändert. Nach den Anschlägen in New York war es nur so, als ginge der Vorhang des Theaters wieder auf. Das schon etwas müde gewordene Publikum betrachtete die Bühne und Kulisse mit neuer Aufmerksamkeit. Es sah, die viel diskutierte Globalisierung ist kein neutraler technischer und wirtschaftlicher Vorgang, sondern vielmehr ein interessengesteuerter politischer und sozialer Prozess. Sie dient vor allem der Ausbreitung der amerikanischen Lebensart und Vorherrschaft in der Welt. Die Vereinigten Staaten haben eine globale kulturelle Hegemonie. McDonalds, Nike, Coca Cola, Jeans und NBC sind überall. Ihre politische Hegemonie stützt sich auf Waffen, Rohstoffe, Geld und Handel.
Amerika ist die größte Waffenschmiede der Erde. Das Land, dessen Einwohner 4,5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, braucht 40 Prozent der Militärausgaben der Welt, um sich zu „verteidigen". Dabei ist es von friedlichen Nachbarn und Ozeanen umgeben. Auf Grund der gewaltigen Militärausgaben haben die USA gegenüber allen anderen Ländern in der Rüstungstechnik einen großen Vorsprung. Der Afghanistankrieg machte das ebenso deutlich, wie der Golfkrieg und der Kosovokrieg. Die militärische Überlegenheit ist so groß, dass der amerikanische Präsident gewissermaßen im Vorbeigehen einigen „Schurkenstaaten" mit Krieg drohen kann, wenn sie sich nicht ändern.
Der Vorsprung Amerikas vor Europa auf militärischem Gebiet verändert auch den Umgang der Europäer und der Amerikaner untereinander. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld sieht es mittlerweile als Zeitverschwendung an, seine europäischen Kollegen überhaupt noch zu treffen. Was soll er mit ihnen eigentlich auch besprechen? Den Afghanistankrieg führen die Amerikaner allein. Die Europäer sind ihnen eher lästig. Es war peinlich mit anzusehen, wie England, Frankreich und Deutschland ihre militärischen Dienste beflissen anboten, die Amerikaner aber kaum Interesse zeigten. An diesem Befund ändert auch der Einsatz europäischer Spezialkommandos nichts.
Partner ohne Mitspracherecht
Wie wenig Amerika bereit ist, seine Verbündeten an wichtigen geostrategischen Entscheidungen zu beteiligen, zeigt die Kündigung des ABM-Vertrages. Die Europäer wurden noch nicht einmal konsultiert. Dabei war dieser Vertrag ein wesentliches Element des militärischen Gleichgewichts und der strategischen Stabilität. Die Möglichkeit der Atommächte, sich gegenseitig zu vernichten, galt als Garantie dafür, dass sie einander nicht mehr den Krieg erklärten. Das damit verbundene Risiko war zu hoch. Der Versuch Amerikas, im Alleingang sich einen Schutzschirm gegen anfliegende Raketen zuzulegen, wird Reaktionen hervorrufen. Mit großen Anstrengungen werden die übrigen Atommächte versuchen, ihre Arsenale auszubauen, um den amerikanischen Raketenschild zu unterlaufen. Und längerfristig werden sie ebenfalls alle Anstrengungen unternehmen, ein Raketenabwehrsystem zu installieren.
Der 11. September hat gezeigt, dass auch Abwehrraketen eine Supermacht nicht schützen können. Die Attentäter waren nur mit Teppichmessern bewaffnet und sie brachten unter Einsatz des eigenen Lebens über 3000 Menschen im World Trade Center und im Pentagon den Tod. Der Traum von der amerikanischen Unverwundbarkeit wird immer ein Wunschtraum bleiben. Die einzig verbliebene Weltmacht kann noch so sehr weiterrüsten und ihre Arsenale mit den schrecklichsten Waffensystemen füllen, angreifbar bleibt sie immer, weil eine Zivilgesellschaft, wie New York gezeigt hat, extrem verletzbar ist. Die Erkenntnis des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt und seines Vordenkers Egon Bahr, dass in einer hochtechnisierten Welt Sicherheit nur gemeinsam zu finden ist, wurde durch die Terroranschläge auf dramatische Weise bestätigt. Und wenn man ein weiteres Beispiel braucht: Auch im israelisch-palästinensischen Konflikt wird täglich deutlich: Gegen zum Selbstmord entschlossene Attentäter vermag eine hochgerüstete Armee nichts auszurichten. Der Terror ist die Waffe der Armen.
Will man die Welt sicherer machen, dann muss man aufhören, sie mit Waffen voll zu stopfen. Die Waffenexporte sind die Ursachen allen Übels. Und wie bei den „Verteidigungsausgaben" steht Amerika auch hier an erster Stelle. Es ist für 50 Prozent der globalen Rüstungsexporte verantwortlich und liefert Waffen an 140 Staaten, von denen 90 Prozent entweder Diktaturen sind oder die Menschenrechte nicht achten. Nur Verblendete können glauben, diese Waffenlieferungen dienten dem Frieden. Sie steigern die Profite der privaten Rüstungsschmieden und erweitern den militärischen Einfluss der USA. Will man der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben, dann müssen die Waffenexporte drastisch zurückgeführt und die internationalen Institutionen gestärkt werden. Es wäre ein Segen für die Menschheit, wenn künftig alle Rüstungsexporte von der Uno genehmigt werden müssten.
Der Kampf um die Rohstoffe prägt seit Jahrhunderten die Außenpolitik. In unserer Zeit geht es vor allem um Öl und Gas. Der Golfkrieg wäre nicht geführt worden, wenn es in Kuweit allein um die staatliche Selbstständigkeit des Scheichtums gegangen wäre. Und auch im Afghanistankrieg geht es nicht nur um Osama bin Laden, die Al Qaida und das Taliban-Regime, sondern um die Öl- und Gasfelder Mittelasiens. Seit langem ist es ein fester Bestandteil der amerikanischen Politik, sich den Zugang zu den Energiequellen militärisch zu sichern. Bedauerlicherweise haben nicht nur die ehemaligen europäischen Kolonialmächte England und Frankreich ähnliche Vorstellungen. Auch die übrigen europäischen Staaten protestieren nicht mehr laut, wenn die Nato in den Dienst dieser Strategie gestellt wird. Diese in die Kolonialzeit zurückreichende Fehlentwicklung der Globalisierung, sich die Bodenschätze der weniger entwickelten Länder mit Truppen zu sichern, muss durch einen friedlichen Rohstoffhandel ersetzt werden. Die Länder, die über Energiequellen verfügen, wollen die Güter der Industriestaaten kaufen. Und wir sollten nicht vergessen: In der Ausbeutung der Ölfelder ihrer Länder durch die Konzerne der westlichen Welt sehen muslimische Terroristen einen Grund, die Industriestaaten zu bekämpfen.
Oft heißt es, der Handel zwischen den Staaten diene dem Frieden. Das wäre mit Sicherheit der Fall, wenn es dabei fair zuginge. Davon kann aber keine Rede sein. Der Welthandel ist eher ein Schlachtfeld, auf dem die Starken ihre Interessen durchsetzen. Das beginnt bei den Agrarerzeugnissen. Sie sind oft das einzige, was die so genannten Entwicklungsländer exportieren könnten. Aber die reichen Länder lassen das nicht zu. Mit hohen Zöllen schotten sie ihre Märkte ab. Und als sei das noch nicht genug, subventionieren sie die eigene Agrarindustrie mit 350 Milliarden Dollar im Jahr. Darin enthalten sind Exportsubventionen, mit denen die westlichen Agrarfabriken die einheimischen Bauern vor allem in Afrika und Asien vom Markt verdrängen. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit wird mit heeren Sonntagsreden überdeckt, in denen der Freihandel gepriesen wird.
Die Globalisierungskritiker in aller Welt haben die Mächtigen durchschaut. Sie wissen, dass Worte und Taten weit auseinander klaffen. Daher fordern sie zu Recht eine Reform der Welthandelsbestimmungen. Industrieländer müssen ihre Zölle abbauen und ihre Märkte für die Agrar- und Textilerzeugnisse der ärmeren Länder öffnen. Den Streit über die Bedingungen des Handels mit Textilien kennen wir aus der Geschichte. Um die deutschen Betriebe zu schützen, forderte im vorletzten Jahrhundert Friedrich List wohlüberlegt Schutzzölle. Als die Engländer den indischen Markt zwangsweise für ihre Textilexporte öffneten, ruinierten sie die indische Baumwollindustrie.
Ein ebenso trauriges Kapitel wie die Schutzzölle der Reichen auf Agrar- und Textilerzeugnisse, sind die Arzneimittelpatente. Dass die Pharmaindustrie ein ausgeprägtes Gewinnstreben hat, ist bekannt. Mit allen Mitteln wehrt sie sich, wenn ärmere Länder diese Arzneimittel billiger herstellen, um Krankheitsepidemien zu bekämpfen. Viele Menschen sterben an Aids, Tuberkulose, Malaria und anderen Krankheiten, nur weil die Profitinteressen der Konzerne wichtiger sind, als die Versorgung der Ärmsten dieser Erde. Die Globalisierungskritiker haben viele Gründe, zu Protestkundgebungen aufzurufen, wenn die Mächtigen der Welt zusammenkommen.
Unverbindliche Erklärungen
Auch die Verhandlungen der Welthandelsorganisation im Ölscheichtum Katar brachten nur unwesentliche Fortschritte. Wie immer kam es zu wohlklingenden und unverbindlichen Absichtserklärungen. Die weltweite Kritik sozial engagierter Menschen gegen die Ungerechtigkeit des Handels wird zunehmen, weil es immer noch Kinderarbeit gibt und die Umweltstandards missachtet werden.
Im Zentrum der Angriffe der Globalisierungskritiker steht der IWF, und das zu Recht. Der Internationale Währungsfonds wurde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges eingerichtet, um wirtschaftliche Instabilitäten auf der Erde zu bekämpfen. Sein Ideengeber war der englische Ökonom John Maynard Keynes. Er warb dafür, den immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen durch ein gemeinsames Handeln der Staaten zu begegnen. Wenn ein Land in Schwierigkeiten kam, dann sollte der IWF Kredite geben, um ihm zu helfen, aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten wieder herauszufinden.
Gleichzeitig war der IWF für das Regime fester Wechselkurse verantwortlich. In festen Wechselkursen sah man eine Voraussetzung für eine stetige Entwicklung der Weltwirtschaft. Mittlerweile hat sich die Lage verändert. Die Wechselkurse sind frei und der weltweite Kapitalverkehr ist dereguliert. Mit der Computertechnik werden riesige Beträge stündlich um den ganzen Erdball verschoben. Die Finanzkrisen werden immer häufiger. Zur Zeit ist wieder einmal Argentinien betroffen. Der IWF zögert, weitere Kredite zu geben. Der Türkei und Pakistan, deren Volkswirtschaften ebenfalls in Schwierigkeiten sind, wurden Hilfen gewährt, weil sie der von Amerika geschmiedeten Antiterrorkoalition beitraten.
Im IWF haben die USA eine Sperrminorität. Gegen das Votum des amerikanischen Finanzministeriums läuft dort nichts. Das zeigte sich zuletzt, als der ehemalige amerikanische Finanzminister Larry Summers die Berufung des Berliner Finanzstaatssekretärs Kajo Koch-Weser zum IWF-Direktor verhinderte. Noch bedenklicher als der Einfluss der amerikanischen Politik auf den Internationalen Währungsfonds ist der Einfluss der Wall Street auf diese Weltinstitution. Der Fonds dient in den letzten Jahren nicht mehr der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den ärmeren Ländern, sondern den Interessen der Finanzindustrie. Und das geht so: Zunächst zwingt man die Länder, auch solche, die gar kein Kapital brauchen, sich dem weltweiten Kapitalverkehr zu öffnen. Die ostasiatischen Staaten beispielsweise hatten eine hohe Sparquote und brauchten kein ausländisches Geld. Solange sie den Kapitalverkehr nicht freigegeben hatten, lebten sie prächtig. Ihre Wirtschaft wuchs und der Wohlstand der Bevölkerung nahm zu. Erst als auch „ausländische Investoren" ihr Geld in den aufstrebenden Staaten anlegen konnten, kam es zu Schwierigkeiten. Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten entstanden, die, wie in allen ähnlich gelagerten Fällen, die Wirtschaft der betroffenen Länder bald in Schwierigkeiten brachten.
Wenn die ersten Warnungen, die Blase könne platzen, durchsickern, versuchen die internationalen Anleger ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und der IWF hilft immer mit der gleichen Rezeptur. Damit die Anleger kein Geld verlieren, bindet er seine Kredite an die Auflage, den Wechselkurs stabil zu halten. Dazu muss die jeweilige Nationalbank die Zinsen auf astronomische Höhen schrauben und die Regierung erhält die Weisung, die Staatsausgaben zu drosseln. Der IWF verordnet, im Gegensatz zu seinem ursprünglichen Auftrag, den in Schwierigkeiten geratenen Ländern eine Rezession. Da die IWF-Maßnahmen den Absturz der Währung nicht verhindern können, kommt es über kurz oder lang zu einer dramatischen Abwertung. Die Wirtschaftskrise verstärkt sich und viele Menschen werden arm und arbeitslos. Die internationalen Anleger konnten ihr Geld ohne Verluste abziehen, bevor der Währungsverfall einsetzte. Und die Reichen des Entwicklungslandes haben ihr Geld ebenfalls ins Ausland geschafft und so den Verfall der Währung des eigenen Landes beschleunigt.
Der Internationale Währungsfond entmündigt durch seine rigorosen Auflagen Regierungen und Parlamente der Länder, denen er hilft und dient gleichzeitig den Interessen der internationalen Finanzindustrie. Wundert es da, dass diese New Yorker Institution immer mehr ins Visier der weltweiten Protestbewegung rückt?
Vor allem Gewerkschaften und Kirchen haben erkannt, dass die viel gepriesene Globalisierung in ihrer jetzigen Form auf eine gewaltige Umverteilung hinausläuft. Die Industriestaaten verbrauchen die Rohstoffe der armen Länder und sichern sich den Zugang zu ihnen notfalls mit Waffengewalt. Der Welthandel ist unfair, weil die Reichen schamlos ihre Interessen durchsetzen. Sie schotten die eigenen Märkte ab, während sie die schwachen Staaten zwingen, ihre Märkte zu öffnen.
Schutzzölle für Entwicklung
Die wohlhabenden Länder tun so, als hätten sie aus ihrer eigenen Geschichte nichts gelernt. Jeder blühende Industriestaat hat lange Zeit die eigene Wirtschaft mit Schutzzöllen vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Und bei vielen Produkten geschieht das auch heute noch. Wie ein Treppenwitz mutete es an, dass der amerikanische Präsident Schutzzölle für die heimische Stahlindustrie verkündete, während die Staaten der Welt im Golfscheichtum Katar über den Abbau von Handelsbarrieren verhandelten. Niemand kann das Lied vom segensreichen Freihandel so überzeugend vortragen, wie die Vertreter der Vereinigten Staaten. Aber wenn ihre eigenen Interessen auf dem Spiel stehen, dann wollen sie von dem wohlstandsmehrenden freien Handel nichts mehr wissen.
Der Globalisierung fehlt eine internationale Rechtsordnung. Diese muss sich an der sozialen Gerechtigkeit orientieren und im Streitfall auf demokratische Entscheidungen setzen. Zur Zeit gilt eher das Faustrecht oder das Recht des Stärkeren. Es bleibt zu hoffen, dass die Staaten der Welt die Vorschläge der Globalisierungskritiker aufgreifen. Sie fordern die Entschuldung der armen Länder, das Austrocknen der Steueroasen, die Bekämpfung der Steuerflucht, eine neue Weltfinanzarchitektur mit stabilen Wechselkursen und Kapitalverkehrskontrollen, die Demokratisierung der internationalen Organisationen, den Abbau der Agrarsubventionen, die Änderung der Spielregeln des Welthandels, die Steigerung der Entwicklungshilfe und die Einführung einer Tobin-Steuer. Die Verwirklichung eines Teils dieser Reformen würde der Welt ein menschlicheres Antlitz geben.
So richtig neu ist das alles nicht aber nett verknüpft.