Das besondere an Antisemitismus im Vergleich zu anderen Rassismen? oder warum sollte es uns interessieren? gerade da es heutzutage bekannterweise wenig Juden in Deutschland gibt? Eine mögliche Antwort, versuche ich hier darzulegen. Dafür müssen wir aber einen kurzen Blick auf die Ökonomie werfen und auf die Art und Weise, wie sie wahrgenommen wird... hoffentlich seid ihr nicht schon gelangweilt...
Für sehr viele Menschen ist das positive an der Ökonomie die Produktion: die Erschaffung von Gebrauchsgegenständen oder anderen nützlichen Dingen. Dies gilt vielleicht besonders für das klassische Proletariat, den Teil der Bevölkerung, der genau das in Fabriken macht. In dieser Wahrnehmung gelten andere Arten von Arbeit, besonders die Verwaltung von Geld, als minderwertig: sie schafft ja nix.
Die Trennung von Produktion und Geldwirtschaft scheint natürlich und offensichtlich zu sein. So gilt der reiche Mensch oder Konzern, der eine Fabrik baut, als Teil des `schaffenden' Kapitals, und der, der Anteile an einer Bank besitzt, als Teil des `raffenden' Kapitals. Das Letzte scheint auch das Erste zu beherrschen: ohne Unterstützung der Banken kann kaum ein Konzern überleben. Was aber nicht berücksichtigt wird, ist die Unzertrennbarkeit dieser beiden in unserer Ökonomie. Ein/e Fabrikbesitzer/in braucht die Bank (oder den Staat) um Geld zu leihen: erstens um Überhaupt so etwas Teures wie eine Fabrik bauen zu können, und zweitens um immer weiter zu investieren. Wird nicht weiter in die Fabrik investiert, geht sie durch den `freien Wettbewerb' zu Grunde - andere Fabriken, die doch mehr investiert haben, können das Gleiche billiger oder besser anbieten.
Und das Geld vermehrt sich ebenso, durch Zinsen auf solche Darlehen. Es scheint, als ob das Geld von alleine mehr wird; tatsächlich muß es aber dafür eingesetzt werden, ein Teil der Produktion zu werden, um zu wachsen. Zinsen auf Bankkonten sind auch nichts anderes - die Bank investiert das Geld, und gibt ein Teil der Gewinne an seine KundInnen weiter. Die Geldwirtschaft und die Produktion sind eine Symbiose; das Eine ohne das Andere ist im Kapitalismus unmöglich. Nicht mal Essen anbauen kann mensch einfach so: erst muß ein Stück Land gekauft werden.
Die Trennung zwischen den beiden, welches eine verkürzte Kapitalismuskritik ist, ist also widersprüchlich, oder zumindest sinnlos. Wo z.B. die Nazis das Erschaffende hochstilisiert und vergöttlicht, das Kapital aber verteufelt haben, ergibt sich eine Schizophrenie: den `Kapitalismus` - identifiziert mit Kapitalisten, die `nix schaffen' - zu hassen und gleichzeitig gerade die kapitalistische Produktionsweise beibehalten zu wollen, die ohne Kapitalisten unmöglich ist.
Psychologisch gibt es aber durchaus Sinn, diese Trennung zu machen. Für den arbeitenden Menschen gibt es immer die Bedrohung, daß die eigene Arbeit für wertlos erklärt wird. Entweder ist die Arbeitskraft zu teuer, oder neue Technologien können es besser oder billiger, oder die Firma schafft es nicht, sich auf dem Markt zu behaupten. Und diese Bedrohung ist existenziell: ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld gar nichts im Kapitalismus. Es liegt einfach in der Natur unseres ökonomischen Systems, daß diese Gefahr immer existiert: die Ökonomie lebt ja angeblich von dem Wettbewerb.
Die Bedrohung der eigenen Existenzgrundlage wird durchaus wahrgenommen. Sie fördert ein stärkeres `wir' Gefühl - z.B. wir, die Arbeiter oder wir, die Deutschen - als Verteidigungsmechanismus. Der eigenen Schwäche wird versucht entgegenzuwirken, indem mensch sich mit einer größeren Gemeinschaft identifiziert, die hoffentlich stärker ist. Gleichzeitig aber wird die Bedrohung oft nach `außen` projiziert und personifiziert. Statt wahrzunehmen, daß es ein strukturelles (und deshalb auch sehr schwieriges) Problem des Kapitalismus an sich ist, werden Sündenböcke gesucht und gefunden.
Ein populärer Sündenbock dafür ist gerade das raffende Kapital, das über `normale, arbeitende Menschen' zu herrschen scheint (und zum Teil das ja auch tut) - das Finanzkapital. Es scheint übermächtig, unkontrollierbar, fern und geheim. Es wird personifiziert, von linkeren meistens als gesichtsloser Mann im Frack, vielleicht mit den Fäden in der Hand die den Staat, die Justiz, und so weiter kontrollieren. Und von weniger linken eben als `der Jude'. (Auch immer ein Mann - Jüdinnen scheinen nach dieser Vorstellung gar nicht vorzukommen).
Die Juden eignen sich hervorragend für dieser Rolle - historisch galten sie als AußenseiterInnen in Europa, da sie eine andere Religion (und meistens eine andere Kultur) pflegten. Sie dürften oft sehr wenige Berufe nachgehen. Durch Gesetze über Wucherei, die Christen verboten Zinsen für Geld zu nehmen, waren viele Juden in diesem Geschäft aktiv. Dadurch sind sie auch mit Geldgeschäften identifiziert worden: daß heißt, mit gerade dem Teil der kapitalistischen Ökonomie, der als bedrohlich und nicht `produktiv' gilt.
Dies erklärt vielleicht einige sonst merkwürdige Eigenschaften des Antisemitismus. Insbesondere, die Tatsache das es keiner Juden bedarf - sie sind ja mächtig und geheimnisvoll, sie müssen gar nicht hier existieren, um hier alles zu kontrollieren. So können sie für alles schlimme sowohl am Kapitalismus als auch am Kommunismus verantwortlich gemacht werden - sie haben ja alle Fäden in der Hand, sie sind so mächtig, daß ohne ihre Zustimmung nichts passieren kann. Gleichzeitig gelten sie aber auch als Parasiten, die nicht arbeiten, ganz gemäß der Vorstellungen von Finanzkapitalisten.
Wir finden hier einen wesentlichen Unterschied zu anderen Rassismen. Wo z.B. schwarze Menschen auch gerne als Sündenböcke genommen werden (die unsere Arbeit klauen blah blah), wird ihnen nie wirklich Macht zugesprochen. Dagegen sollen die Juden nicht nur mächtig sein, sie sollen auch persönlich für allen Übel verantwortlich sein. Vielleicht ist eine Wurzel das Holocausts darin zu finden - in der Vorstellung, alles werde besser wenn es nur keine Juden mehr gäbe.
Was können wir hieraus lernen? Ich finde, daß die verkürzte Kapitalismuskritik, die im Antisemitismus vorkommt, viel zu oft anderswo auftaucht: auch in meinem Kopf. Ich will sie auf gar kein Fall mit dem Antisemitismus selber gleichsetzen, aber die Gemeinsamkeiten sind jedenfalls bedenklich. Es ist sehr verlockend, die `Schuldigen' an dem, was hier Scheiße läuft, zu suchen, und wer sollte es sein wenn nicht die Bonzen? Und wieviele Plakate linker Gruppen haben dem gesichtslosen Finanzkapitalist als allmächtige Teufelfigur im Hintergrund? Es ist schwer, aber ich glaube notwendig, immer daran zu denken, daß das Problem nicht irgendwelche Kapitalisten sind, sondern das System an sich - und nicht nur das ökonomische. Die Banker sind ein Symptom, nicht das Problem selber; sie sind scheiße, aber sie sind nicht an allem schuld. In unserer Gesellschaft können sie kaum anders - sie erfüllen nur eine notwendige Rolle. Feindbilder schön und gut, aber ich finde es erschreckend, wie nah mensch sich dabei an dem Antisemitismus findet. Also das nächste Mal, wenn Bonzen als Parasiten beschimpft werden, oder mensch sich über die internationale Verschwörung der Finanzkapitalisten aufregt
- denk mal darüber nach.
Für sehr viele Menschen ist das positive an der Ökonomie die Produktion: die Erschaffung von Gebrauchsgegenständen oder anderen nützlichen Dingen. Dies gilt vielleicht besonders für das klassische Proletariat, den Teil der Bevölkerung, der genau das in Fabriken macht. In dieser Wahrnehmung gelten andere Arten von Arbeit, besonders die Verwaltung von Geld, als minderwertig: sie schafft ja nix.
Die Trennung von Produktion und Geldwirtschaft scheint natürlich und offensichtlich zu sein. So gilt der reiche Mensch oder Konzern, der eine Fabrik baut, als Teil des `schaffenden' Kapitals, und der, der Anteile an einer Bank besitzt, als Teil des `raffenden' Kapitals. Das Letzte scheint auch das Erste zu beherrschen: ohne Unterstützung der Banken kann kaum ein Konzern überleben. Was aber nicht berücksichtigt wird, ist die Unzertrennbarkeit dieser beiden in unserer Ökonomie. Ein/e Fabrikbesitzer/in braucht die Bank (oder den Staat) um Geld zu leihen: erstens um Überhaupt so etwas Teures wie eine Fabrik bauen zu können, und zweitens um immer weiter zu investieren. Wird nicht weiter in die Fabrik investiert, geht sie durch den `freien Wettbewerb' zu Grunde - andere Fabriken, die doch mehr investiert haben, können das Gleiche billiger oder besser anbieten.
Und das Geld vermehrt sich ebenso, durch Zinsen auf solche Darlehen. Es scheint, als ob das Geld von alleine mehr wird; tatsächlich muß es aber dafür eingesetzt werden, ein Teil der Produktion zu werden, um zu wachsen. Zinsen auf Bankkonten sind auch nichts anderes - die Bank investiert das Geld, und gibt ein Teil der Gewinne an seine KundInnen weiter. Die Geldwirtschaft und die Produktion sind eine Symbiose; das Eine ohne das Andere ist im Kapitalismus unmöglich. Nicht mal Essen anbauen kann mensch einfach so: erst muß ein Stück Land gekauft werden.
Die Trennung zwischen den beiden, welches eine verkürzte Kapitalismuskritik ist, ist also widersprüchlich, oder zumindest sinnlos. Wo z.B. die Nazis das Erschaffende hochstilisiert und vergöttlicht, das Kapital aber verteufelt haben, ergibt sich eine Schizophrenie: den `Kapitalismus` - identifiziert mit Kapitalisten, die `nix schaffen' - zu hassen und gleichzeitig gerade die kapitalistische Produktionsweise beibehalten zu wollen, die ohne Kapitalisten unmöglich ist.
Psychologisch gibt es aber durchaus Sinn, diese Trennung zu machen. Für den arbeitenden Menschen gibt es immer die Bedrohung, daß die eigene Arbeit für wertlos erklärt wird. Entweder ist die Arbeitskraft zu teuer, oder neue Technologien können es besser oder billiger, oder die Firma schafft es nicht, sich auf dem Markt zu behaupten. Und diese Bedrohung ist existenziell: ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld gar nichts im Kapitalismus. Es liegt einfach in der Natur unseres ökonomischen Systems, daß diese Gefahr immer existiert: die Ökonomie lebt ja angeblich von dem Wettbewerb.
Die Bedrohung der eigenen Existenzgrundlage wird durchaus wahrgenommen. Sie fördert ein stärkeres `wir' Gefühl - z.B. wir, die Arbeiter oder wir, die Deutschen - als Verteidigungsmechanismus. Der eigenen Schwäche wird versucht entgegenzuwirken, indem mensch sich mit einer größeren Gemeinschaft identifiziert, die hoffentlich stärker ist. Gleichzeitig aber wird die Bedrohung oft nach `außen` projiziert und personifiziert. Statt wahrzunehmen, daß es ein strukturelles (und deshalb auch sehr schwieriges) Problem des Kapitalismus an sich ist, werden Sündenböcke gesucht und gefunden.
Ein populärer Sündenbock dafür ist gerade das raffende Kapital, das über `normale, arbeitende Menschen' zu herrschen scheint (und zum Teil das ja auch tut) - das Finanzkapital. Es scheint übermächtig, unkontrollierbar, fern und geheim. Es wird personifiziert, von linkeren meistens als gesichtsloser Mann im Frack, vielleicht mit den Fäden in der Hand die den Staat, die Justiz, und so weiter kontrollieren. Und von weniger linken eben als `der Jude'. (Auch immer ein Mann - Jüdinnen scheinen nach dieser Vorstellung gar nicht vorzukommen).
Die Juden eignen sich hervorragend für dieser Rolle - historisch galten sie als AußenseiterInnen in Europa, da sie eine andere Religion (und meistens eine andere Kultur) pflegten. Sie dürften oft sehr wenige Berufe nachgehen. Durch Gesetze über Wucherei, die Christen verboten Zinsen für Geld zu nehmen, waren viele Juden in diesem Geschäft aktiv. Dadurch sind sie auch mit Geldgeschäften identifiziert worden: daß heißt, mit gerade dem Teil der kapitalistischen Ökonomie, der als bedrohlich und nicht `produktiv' gilt.
Dies erklärt vielleicht einige sonst merkwürdige Eigenschaften des Antisemitismus. Insbesondere, die Tatsache das es keiner Juden bedarf - sie sind ja mächtig und geheimnisvoll, sie müssen gar nicht hier existieren, um hier alles zu kontrollieren. So können sie für alles schlimme sowohl am Kapitalismus als auch am Kommunismus verantwortlich gemacht werden - sie haben ja alle Fäden in der Hand, sie sind so mächtig, daß ohne ihre Zustimmung nichts passieren kann. Gleichzeitig gelten sie aber auch als Parasiten, die nicht arbeiten, ganz gemäß der Vorstellungen von Finanzkapitalisten.
Wir finden hier einen wesentlichen Unterschied zu anderen Rassismen. Wo z.B. schwarze Menschen auch gerne als Sündenböcke genommen werden (die unsere Arbeit klauen blah blah), wird ihnen nie wirklich Macht zugesprochen. Dagegen sollen die Juden nicht nur mächtig sein, sie sollen auch persönlich für allen Übel verantwortlich sein. Vielleicht ist eine Wurzel das Holocausts darin zu finden - in der Vorstellung, alles werde besser wenn es nur keine Juden mehr gäbe.
Was können wir hieraus lernen? Ich finde, daß die verkürzte Kapitalismuskritik, die im Antisemitismus vorkommt, viel zu oft anderswo auftaucht: auch in meinem Kopf. Ich will sie auf gar kein Fall mit dem Antisemitismus selber gleichsetzen, aber die Gemeinsamkeiten sind jedenfalls bedenklich. Es ist sehr verlockend, die `Schuldigen' an dem, was hier Scheiße läuft, zu suchen, und wer sollte es sein wenn nicht die Bonzen? Und wieviele Plakate linker Gruppen haben dem gesichtslosen Finanzkapitalist als allmächtige Teufelfigur im Hintergrund? Es ist schwer, aber ich glaube notwendig, immer daran zu denken, daß das Problem nicht irgendwelche Kapitalisten sind, sondern das System an sich - und nicht nur das ökonomische. Die Banker sind ein Symptom, nicht das Problem selber; sie sind scheiße, aber sie sind nicht an allem schuld. In unserer Gesellschaft können sie kaum anders - sie erfüllen nur eine notwendige Rolle. Feindbilder schön und gut, aber ich finde es erschreckend, wie nah mensch sich dabei an dem Antisemitismus findet. Also das nächste Mal, wenn Bonzen als Parasiten beschimpft werden, oder mensch sich über die internationale Verschwörung der Finanzkapitalisten aufregt
- denk mal darüber nach.