Mails/Nachrichten vom 03.04.2002, Bernecker & Cie.
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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
Das schwierigste Quartal dieses Jahres hat begonnen. Gestern lieferte der Markt schon die ersten Belege dafür. Die Firmen korrigieren ihre Zahlen und die Analysten reagieren zügig. IBM, Microsoft und andere sind schon dran. Ich sage Ihnen ein wildes Spiel voraus. Peoplesoft verfehlte das Umsatzziel um 15 %, was vor wenigen Wochen noch ganz anders klang. Grund: Investitionszurückhaltung der Kunden. Kurseinbruch 20 % und damit war SAP gleich mit dabei. Es wird also mit der Sense gemäht und das ist nicht lustig. Broadvision nennt ähnliche Zahlen und muß zum dritten Mal den Umsatz für 2001 (!) reduzieren auf nunmehr 244,5 Mio $ bei einem Net-toverlust von 3,02 $ je Aktie.
Einen weiteren Dämpfer gab der Rückgang der Industrieaufträge um 0,1 % und das ist jene Relation, die ich gestern unter dem Stichwort „Folgen der Basiseffekte“ beschrieben hatte. Schließlich und endlich: Wohin geht der Ölpreis?
Das alles ist nicht dramatisch und höchst gesund, womit ich äußerst zufrieden bin, aber Sie müssen mir darin schon folgen: Verabschieden Sie sich von allen Stories und sonstigen Kombinationen, speziell in der Hochtechnologie. Wie gewunden ar-gumentiert wurde und wird, beschreibt heute die FTD am Beispiel SAP sehr schön:
Merrill Lynch empfiehlt SAP als langfristigen Muss-Kauf. Bei einem KGV von 66. Die Lösung: „SAP wurde seit 1996 mit dem 30 – 50fachen des geschätzten Gewinns in zwei Jahren gehandelt. Die Mitte dieser Spanne und ein Gewinnplus von kumuliert 80 % unterstellt, ergibt 185 E. je Aktie.“ Wie schnell diese Ergebnisse falsch sind, zeigt Peoplesoft. Also wird weiter gerechnet. Erst 15 % der R3-Kunden haben auf mySAP umgestellt. 2005 sollen es 80 % sein. Das Wachstum wird mit 15 % angestrebt. Die Margenverbesserung wird mit 25 % unterstellt. Sofern die Aktie aber eine Rendite von 10 % abwerfen soll, notiert sie selbst 2005 noch mit einem KGV von 35, wenn der Gewinn bis dahin um 150 % zulegt und wächst er dann noch um jährlich um 15 %, liegt das KGV 2018 erstmals unter 20. Haben Sie’s verstanden? So wird noch immer bei den ersten Adressen des Investmentbanking gerechnet. Die nächsten Wochen bieten Ihnen Zig-Gelegenheiten dieser Art.
Eine andere Sicht der Dinge werden die Internetaktien. Broadvision ist ein Beispiel dafür. Es geht darum, wer überlebt. Der oben genannte Umsatz entspricht der Hälfte des Geschäftes vom 2000. Börsenwert aber noch etwa 410 Mio $. Tiefstkurs 0,80 Cents, bis November knapp 4 $, aktuell 1,50/1,60 $. Eine Gewinnkalkulation ist un-möglich. Es geht darum, wie lange das Geld reicht, um diesen Umsatz zu finanzieren und damit zu überleben. Denn daß mit dem beginnenden Konjunkturaufschwung In-ternet ein Riesenthema wird, ist unstreitig. Ergo: Wo liegt der nächste Boden für sehr weit gedachte Käufe? Mein Erstkauf lag bei 2 $, meine verschiedenen Varianten für Zukäufe zwischen 1,40 und 1,80 $, aber auch 1 $ sind jetzt möglich. Dabei sind 15 Cents schon 10 %. Wer also eine solche Aktie kauft, hat zwei Dinge vor sich: a) die Überlebenschance und b) die Zukunft des Internet. Sonst nichts. Das ist wirklich eine andere Sicht der Dinge. 1980/1982 war es in Sachen PC nicht anders.
Wall Street konkret: Markttechnik in Ordnung, wenn auch etwas mühsam. Der Dow Jones zeigt den Trend, der Nasdaq die Oszillationen um den Trend. Meine Meinung bleibt: Ich investiere nicht neu, bevor die Zahlen und Einschätzungen nicht auf dem Tisch liegen.
Die Ölspekulation bitte nicht überzogen sehen. Spitzenpreise für Öl sind nicht Dauerpreise. Aber meines Erachtens zeichnet sich ab, daß unabhängig von den Fluktuationen des Ölpreises das Durchschnittsniveau für die nächsten Monate oberhalb von 22 $ je Barrel liegen wird. Dann läuft meine Ölspekulation weiter. Ich werde sie um 2 oder 3 Aktien erweitern, die noch ein Potential zwischen 30 und 45 % aufweisen. Beide sind aber deutlich spekulativer als die bisherigen Empfehlungen, weil sie etwas schlechter finanziert sind.
In Frankfurt fehlt die Orientierung fast komplett. Wenn Sie sich den DAX anschauen und das was dahinter steht, so ist dies augenscheinlich: Die soliden bleiben auf Kurs, die überzogenen müssen Terrain preisgeben. Die festen Kurse der Chemie sind für mich weiterhin keine Überraschung. Alles steht in der AB, worauf ich nochmals hinweise. Die Technologie wird in den oben beschriebenen Turbulenzen allerdings einige Probleme haben. Wer hier engagiert ist, braucht gute Nerven.
Die vierte Pleite in zwei Wochen: Nach Holzmann nun auch Herlitz + Mühl im Insolvenzverfahren, dazu nicht börsennotiert Dornier. Ist etwas zu unternehmen? Nein. Aber: Stets ist der Beginn einer Konjunkturwende von den Leichen der Rezession begleitet. Das klingt makaber, ist aber geschichtlich sehr gut nachweisbar.
Nachrichtlich für Sie: Die Vorgänge hinter den Kulissen bei MG Tech und Babcock Borsig sind im Moment extern nicht zu bewerten. Alle halten sich bedeckt. Auch die, die darüber einiges wissen, aber mir unmittelbar signalisieren: „Halten Sie sich vorerst raus.“ Dem folge ich. Es geht um Machtfragen, um Recht und deshalb sind die Konsequenzen für den Kurs nicht meßbar.
Die Kombinationen in der Telekombranche gehen in eine andere Richtung, als in der Presse vielfach verbreitet wird. Klar ist nur: Wer eine UMTS-Lizenz zurückgibt, erhält kein Geld zurück. Das hat zur Folge, daß niemand zurückgeben wird, aber die Lizen-zen selbst auseinander genommen werden können, nämlich technisch geteilt wer-den. Darauf läuft die aktuelle Situation hinaus, wobei jeder mit jedem spricht, um eine optimale Kombination zu erreichen. Am weitesten sind darin die Franzosen, die eine Fusion von 2 oder 3 UMTS-Lizenznehmern im Auge haben, was unter folgendem Aspekt läuft: Der Aufwand für die UMTS-Lizenzen, der nun einmal gezahlt worden ist, muß sich geschäftlich so verteilen lassen, daß daraus eine Perspektive wird. Techniker zweifeln nicht daran, daß dies möglich sein wird. Wichtig ist nur für die Kurseinschätzung von Dt. Telekom: Am Ende wird es nur drei Mobilfunker geben.
Wolfsburg läßt eine weitere Katze aus dem Sack: Die Zusammenarbeit mit Toyota wird vertieft. Das lag auf der Hand, nachdem VW die Japaner in eine LKW-Kooperation mit Scania hinein ließen. Lesen Sie dazu nochmal die letzten AB’s. Hier baut sich eine internationale Kooperation auf, die wenig Geld kostet, aber eine Men-ge „Kleingeld“ bringt. Die Ausgliederung der LKW-Produktion aus Mitsubishi in eine gemeinsame Tochter mit Daimler ist der Marktöffner für Daimler in Asien. Das ist nicht minder bedeutsam. Details dazu in Kürze.
Resümee für Sie: Es macht Spaß, die Firmenstrategien neu zu überdenken und sie mit den aktuellen Quartalszahlen zu vergleichen. Das tun Sie bitte jetzt und erst an-schließend wird über neue Investments entschieden.
Herzlichst Ihr
Hans A. Bernecker
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