Ende des 'Sommerschlußverkaufs'?
Hans Bernecker: Ende des 'Sommerschlußverkaufs'?
Mails/Nachrichten vom 12.07.2002, Bernecker & Cie.
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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
der Sommerschlußverkauf nähert sich dem Ende. Das Fieberthermometer hat gestern 40 im VDAX überwunden und ich nehme an, daß dies entweder schon der Endpunkt war oder heute erreicht wird. Im Unterschied zu einem Crash ist der Verlauf eines Ausverkaufs dadurch gekennzeichnet, daß er über mehrere Tage/Wochen mit einem kontinuierlichen Wertverfall aller Aktien verbunden ist.
Dennoch bleibe ich dabei: Bevor nicht alle Halbjahreszahlen vorliegen, sind Investments einfach nicht vernünftig zu bewerten. Tief erschüttert bin ich darüber, daß, wie im Falle SAP, der Vorstand vor 4 Wochen noch mitteilt: 'Wir sind im Plan', um anschließend die entsprechenden Warnungen zu geben. Heute morgen wird sogar Stellenabbau angekündigt. Ich finde ein solches Verhalten ungeheuerlich. Daß diese Aktie zu teuer war, habe ich hundertmal vorgetragen. Jetzt nähert sie sich ihrem tatsächlichen Wert. Kommentar überflüssig. Konsequenz:
Im DAX ist z. Zt. keine Aktie mehr zu teuer. Das stelle ich befriedigend fest. Auf eine Restgröße von 10 oder 15 % lege ich mich jedoch nicht fest. Das hat zur Konsequenz: Im DAX 100 ist das gleiche festzustellen. Damit bin ich ebenfalls zufrieden. Noch zufriedener bin ich darüber:
Die Herunterstufungen von Aktien wie MÜNCHENER RÜCK ist die typische Verhaltensform der Analysten, die kurz vor dem Ende einer Hausse alles nach oben stufen und am Ende einer Baisse alles nach unten. Das führt regelmäßig zu Übertreibungen, und dies wiederum erkennen Sie am VDAX.
Der heutige Verlauf wird eine Art Test werden. Ich gehe davon aus, daß nach dem schwachen Ergebnis der letzten Tage eine technische Korrektur bevorsteht. Sie reicht jedoch nicht aus, Hals über Kopf in den Markt zu gehen. Bestenfalls gilt dies für DT. POST vor dem bekannten Hintergrund, den Aktienrechtler ganz anders bewerten als die Politik. Ich habe deshalb in der heutigen AB die relevanten Zahlen genannt. Denken Sie darüber nach.
Meine These bleibt: Ich gehe erst dann auf die Käuferseite, wenn ab Ende nächster Woche die überwiegende Zahl aller Gewinnberichte vorliegt. Doch zeigte sich gestern, daß dies keineswegs nur negativ gilt. Im Anschluß an YAHOO verdichteten sich gestern die Einschätzungen für einige andere Technikaktien in New York. Das war keineswegs nur negativ, siehe VERISIGN oder ADC TELECOM und sogar MEDIMMUNE mit Kursgewinnen um 16 bis 19 %. Das sagt noch nicht viel, weil die Kurse selbst nur im unteren Dollar-Bereich notieren. Es zeigt jedoch, wie mit den Halbjahreszahlen jede Aktie Stück für Stück zu überprüfen sein wird und mithin deren Kursboden gefunden werden kann. Ich werde darüber in der AB im einzelnen berichten und jede Aktie neu einzuordnen versuchen.
Der konjunkturelle Hintergrund ändert sich nicht. Die gestern etwas enttäuschenden Arbeitsmarktdaten und auch die Zahlen für das Verbrauchervertrauen entsprechen dem bisherigen Muster: Die Konjunkturerholung läuft in kleinen Schritten, aber dafür zuverlässiger. Wer große Sprünge erwartet, liegt falsch.
Zürich erlebte gestern eine besondere 'Pleite'. Sämtliche Finanzadressen, Banken und Versicherungen wurden auf absolute Tiefstkurse heruntergezogen. Das ist fast ein historischer Vorfall. Der Ausgangspunkt ist die sogenannte Lex Rentenanstalt, mit der Bern die Mindestverzinsung der BVR-Versicherungen von 4 auf 3 % reduziert. Das bedeutet, daß die offensichtlichen Schieflagen der Versicherer auf diese Weise saniert werden. Das öffentliche Ärgernis darüber ist gewaltig und verständlich. Es ist jedoch ein Vorteil für die Versicherer. Achten Sie deshalb auf die beiden Titel RENTENANSTALT /SWISSLIFE und ZFS auf der Basis absoluter Tiefstkurse der letzten 8 Jahre.
Zum Wochenschluß: Auf die wesentlichsten Punkte konzentriert:
1. Folgen Sie keinem Vorstands-Prognosen, sondern orientieren Sie sich an den Zahlen. Das ist der alleinige Maßstab.
2. Alle Indizes (bis auf DAX und Dow Jones) hängen in der Luft. Die Bodenbildung ist also im Gange, aber nicht abgeschlossen. Die hohe Volatilität zeigt es.
3. Am Freitag gehe ich vor diesem Hintergrund sehr ungern in den Markt. Das negative Überraschungsrisiko ist mir zu groß.
4. Die Vorgänge um DT. TELEKOM spitzen sich weiter zu, aber der Kurs marschiert weiter. Inzwischen 12,50 E. Vielleicht haben Sie es doch gewagt, bei 9 bis 10 E. zu verbilligen. Ob Sommer wirklich gehen muß, ist noch offen. Der Vorstand steht voll hinter seinem Chef.
5. Der Euro hat den zweiten Test, am Pari heranzukommen, nicht geschafft. Sie wissen, daß ich dies als wesentlichen Seismograph bezeichnet habe. Nämlich dafür, wie die Geldströme in den Dollar oder aus ihm heraus zu bewerten sind.
Insgesamt: Wer bei Schwäche verkauft, liegt falsch. Das können Sie heute morgen schon an den ersten Reaktionen in den Plusbereich nachvollziehen. Mit echten Käufen warte ich jedoch noch ab.
Ich wünsche Ihnen damit ein schönes Wochenende und verbleibe in der Hoffnung, daß sich die augenblickliche Stimmungskrise bald löst. Im Zusammenhang mit DT. TELEKOM gilt die Erkenntnis: 'Nur wenige Führungskräfte sehen ein, daß sie letztlich nur eine einzige Person führen können und auch müssen. Diese Person sind sie selbst.“ Das stammt nicht von mir, sondern von Peter F. Drucker.
Mit freundlichen Grüßen
Hans A. Bernecker
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Hans Bernecker: Ende des 'Sommerschlußverkaufs'?
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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
der Sommerschlußverkauf nähert sich dem Ende. Das Fieberthermometer hat gestern 40 im VDAX überwunden und ich nehme an, daß dies entweder schon der Endpunkt war oder heute erreicht wird. Im Unterschied zu einem Crash ist der Verlauf eines Ausverkaufs dadurch gekennzeichnet, daß er über mehrere Tage/Wochen mit einem kontinuierlichen Wertverfall aller Aktien verbunden ist.
Dennoch bleibe ich dabei: Bevor nicht alle Halbjahreszahlen vorliegen, sind Investments einfach nicht vernünftig zu bewerten. Tief erschüttert bin ich darüber, daß, wie im Falle SAP, der Vorstand vor 4 Wochen noch mitteilt: 'Wir sind im Plan', um anschließend die entsprechenden Warnungen zu geben. Heute morgen wird sogar Stellenabbau angekündigt. Ich finde ein solches Verhalten ungeheuerlich. Daß diese Aktie zu teuer war, habe ich hundertmal vorgetragen. Jetzt nähert sie sich ihrem tatsächlichen Wert. Kommentar überflüssig. Konsequenz:
Im DAX ist z. Zt. keine Aktie mehr zu teuer. Das stelle ich befriedigend fest. Auf eine Restgröße von 10 oder 15 % lege ich mich jedoch nicht fest. Das hat zur Konsequenz: Im DAX 100 ist das gleiche festzustellen. Damit bin ich ebenfalls zufrieden. Noch zufriedener bin ich darüber:
Die Herunterstufungen von Aktien wie MÜNCHENER RÜCK ist die typische Verhaltensform der Analysten, die kurz vor dem Ende einer Hausse alles nach oben stufen und am Ende einer Baisse alles nach unten. Das führt regelmäßig zu Übertreibungen, und dies wiederum erkennen Sie am VDAX.
Der heutige Verlauf wird eine Art Test werden. Ich gehe davon aus, daß nach dem schwachen Ergebnis der letzten Tage eine technische Korrektur bevorsteht. Sie reicht jedoch nicht aus, Hals über Kopf in den Markt zu gehen. Bestenfalls gilt dies für DT. POST vor dem bekannten Hintergrund, den Aktienrechtler ganz anders bewerten als die Politik. Ich habe deshalb in der heutigen AB die relevanten Zahlen genannt. Denken Sie darüber nach.
Meine These bleibt: Ich gehe erst dann auf die Käuferseite, wenn ab Ende nächster Woche die überwiegende Zahl aller Gewinnberichte vorliegt. Doch zeigte sich gestern, daß dies keineswegs nur negativ gilt. Im Anschluß an YAHOO verdichteten sich gestern die Einschätzungen für einige andere Technikaktien in New York. Das war keineswegs nur negativ, siehe VERISIGN oder ADC TELECOM und sogar MEDIMMUNE mit Kursgewinnen um 16 bis 19 %. Das sagt noch nicht viel, weil die Kurse selbst nur im unteren Dollar-Bereich notieren. Es zeigt jedoch, wie mit den Halbjahreszahlen jede Aktie Stück für Stück zu überprüfen sein wird und mithin deren Kursboden gefunden werden kann. Ich werde darüber in der AB im einzelnen berichten und jede Aktie neu einzuordnen versuchen.
Der konjunkturelle Hintergrund ändert sich nicht. Die gestern etwas enttäuschenden Arbeitsmarktdaten und auch die Zahlen für das Verbrauchervertrauen entsprechen dem bisherigen Muster: Die Konjunkturerholung läuft in kleinen Schritten, aber dafür zuverlässiger. Wer große Sprünge erwartet, liegt falsch.
Zürich erlebte gestern eine besondere 'Pleite'. Sämtliche Finanzadressen, Banken und Versicherungen wurden auf absolute Tiefstkurse heruntergezogen. Das ist fast ein historischer Vorfall. Der Ausgangspunkt ist die sogenannte Lex Rentenanstalt, mit der Bern die Mindestverzinsung der BVR-Versicherungen von 4 auf 3 % reduziert. Das bedeutet, daß die offensichtlichen Schieflagen der Versicherer auf diese Weise saniert werden. Das öffentliche Ärgernis darüber ist gewaltig und verständlich. Es ist jedoch ein Vorteil für die Versicherer. Achten Sie deshalb auf die beiden Titel RENTENANSTALT /SWISSLIFE und ZFS auf der Basis absoluter Tiefstkurse der letzten 8 Jahre.
Zum Wochenschluß: Auf die wesentlichsten Punkte konzentriert:
1. Folgen Sie keinem Vorstands-Prognosen, sondern orientieren Sie sich an den Zahlen. Das ist der alleinige Maßstab.
2. Alle Indizes (bis auf DAX und Dow Jones) hängen in der Luft. Die Bodenbildung ist also im Gange, aber nicht abgeschlossen. Die hohe Volatilität zeigt es.
3. Am Freitag gehe ich vor diesem Hintergrund sehr ungern in den Markt. Das negative Überraschungsrisiko ist mir zu groß.
4. Die Vorgänge um DT. TELEKOM spitzen sich weiter zu, aber der Kurs marschiert weiter. Inzwischen 12,50 E. Vielleicht haben Sie es doch gewagt, bei 9 bis 10 E. zu verbilligen. Ob Sommer wirklich gehen muß, ist noch offen. Der Vorstand steht voll hinter seinem Chef.
5. Der Euro hat den zweiten Test, am Pari heranzukommen, nicht geschafft. Sie wissen, daß ich dies als wesentlichen Seismograph bezeichnet habe. Nämlich dafür, wie die Geldströme in den Dollar oder aus ihm heraus zu bewerten sind.
Insgesamt: Wer bei Schwäche verkauft, liegt falsch. Das können Sie heute morgen schon an den ersten Reaktionen in den Plusbereich nachvollziehen. Mit echten Käufen warte ich jedoch noch ab.
Ich wünsche Ihnen damit ein schönes Wochenende und verbleibe in der Hoffnung, daß sich die augenblickliche Stimmungskrise bald löst. Im Zusammenhang mit DT. TELEKOM gilt die Erkenntnis: 'Nur wenige Führungskräfte sehen ein, daß sie letztlich nur eine einzige Person führen können und auch müssen. Diese Person sind sie selbst.“ Das stammt nicht von mir, sondern von Peter F. Drucker.
Mit freundlichen Grüßen
Hans A. Bernecker
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