Berichts-Saison
Hans Bernecker: Berichts-Saison
Mails/Nachrichten vom 01.07.2002, Bernecker & Cie.
--------------------------------------------------
Guten Morgen, meine Damen und Herren,
heute beginnt die Saison der Halbjahreszahlen. Es werden schwierige zwei bis drei Wochen werden. Etwa in der dritten Woche dürften alle relevanten Daten für die meisten der großen Adressen vorliegen. Abzusehen ist nichts. Der Grund:
Die SEC hat ihre Regeln insoweit verschärft, als die persönliche Haftung für alle Manager eingeführt wird, wenn Zahlen falsch oder gar betrügerisch konstruiert oder verwendet wurden. Es liegt nahe, davon auszugehen, daß alle Betroffenen versuchen werden, gewissermaßen reinen Tisch zu machen. Ob dies gelingt, ist offen. Meine These bleibt:
Kein einziger neuer Kauf einer Aktie, wenn nicht klare Zahlen vorliegen. Daran knüpfe ich aber eine Bemerkung, die mir wichtig ist: Am falschen Verhalten von WORLDCOM und XEROX ist nicht zu rütteln. Bei näherer Betrachtung sieht es jedoch schon etwas anders aus. Bei WORLDCOM handelt es sich um eine problematische Aktivierung von Reparaturaufwendungen. Bei XEROX geht es darum, daß die Abgrenzung zwischen Umsatz und Leasinggeschäft nicht korrekt vorgenommen wurde. Es dreht sich einzig um die zeitgerechte Erfassung. Der Wert der fraglichen Leasingverträge steht nicht zur Diskussion. Die zusätzliche Umsatzkorrektur macht per Saldo 1,9 Mrd $ aus, gilt für fünf Jahre, und das sind 2 % des Gesamtumsatzes für diese Periode. Lassen wir also bei aller Kritik die Tassen im Schrank. Zudem weiß man auch in New York: Der neue Wirtschaftsprüfer PricwaterhouseCoopers machte der vorgehenden Prüfungsfirma KPMG vor, wie man Saubermann spielt. Gleichwohl:
Die Art und Weise, wie die amerikanischen Manager mit Firmenzahlen umgehen, kann so nicht akzeptiert werden. Aber der Chefökonom von Moody’s formulierte es schon richtig: Die Stimmung der Anleger ist von einem Zustand irrationalem Überschwangs zu übertriebener Furcht umgeschwenkt. Diese Meinungskrise hält genau so lange an wie die Euphoriephase 1999/2000, was damals übrigens ziemlich exakt fünf Monate waren, nämlich von Oktober 1999 bis Februar 2000. Damals als Schlußphase.
Nicht zu verkennen ist allerdings, daß sich die Chartbilder der meisten großen Aktien in den letzten acht Börsentagen verschlechtert haben. Das beunruhigt mich schon und deutet darauf hin, daß die Septemberkurse des letzten Jahres für eine große Zahl der Technologieaktien noch bevorsteht. Ich halte ein Untertauchen dieser Kurse sogar für möglich. Aber nur für jene, die noch immer nicht gerade preiswert sind. Es wird Sie überrascht haben, daß ich in der letzten AB einige solcher fairen Preise genannt habe. Sie liegen im Schnitt noch 25 % niedriger. Deshalb sind sie weiterhin die Achillesferse des Marktes.
Wie auch immer: Ich sehe im Moment keinen Handlungsbedarf für Käufe, wenn die Fakten nicht auf dem Tisch liegen. Aktien, die zu teuer sind, bleiben problematisch. Aktien, die billig geworden sind, bleiben auf der Watchlist, aber auch dafür möchte ich erst die Zahlen sehen.
Kursunfälle wie bei PHILIP MORRIS wegen einer Tabakklage sind natürlich anders zu sehen. Dazu in der nächsten AB mehr.
Frankfurt beendete das Halbjahr mit zwei starken Tagen. Dahinter steckte window dressing einer ganzen Reihe von Fonds, insbesondere Spezialfonds der Versicherungen. Hinzu kamen Eindeckungen. Deshalb bleibe ich auch hier mißtrauisch. Dennoch sieht die deutsche Börse im Moment besser als die amerikanische aus. Sie enthält weniger der beschriebenen Risiken, siehe oben.
Die Diskussion um die Aktienbestände der Versicherer ist überzogen. Jeder, der die Vorschriften für die Lebensversicherer kennt, weiß das. Hier richtig in die Gegenposition zu marschieren, war deshalb richtig. Daran halte ich auch fest.
Die interessanteste Aktie dieser Woche ist voraussichtlich E.ON. Die Ministererlaubnis zum Erwerb von RUHRGAS gilt unter Auflagen als wahrscheinlich. Der gleichzeitige Verkauf von STINNES wäre dann der einstweilige Schlußpunkt für den Umbau von E.ON in beeindruckender Art und Weise. Ich hatte auf diese Aktie schon mehrfach aufmerksam gemacht und wiederhole dies. Damit ist die STINNES-Spekulation ebenfalls weitgehend aufgegangen, aber eine Abfindung dürfte wohl Kurse zwischen 32 und 34 E. bringen, was gegenüber dem Tief von 16 E. rund 100 % wären. Andererseits vermerken Sie bitte:
Die Kurserholung der Technologieaktien verlief relativ bescheiden. Hier gebe ich noch keine Entwarnung, worauf ich ausdrücklich hinweise.
Mein Denkansatz für diese Woche: Die amerikanischen Nachrichten schlagen leider stärker durch als unsere eigenen. Deshalb bleibe ich auf der vorsichtigen Seite. Die guten Ergebnisse von Donnerstag/Freitag müssen erst einmal technisch verkraftet werden. Dennoch sehe ich mehr Chancen in den nächsten Wochen wachsen, weil wirkliche Inforisiken nicht bestehen wie etwa in New York. Der Gesamtumsatz hatte sich am Freitag ohnehin deutlich reduziert, nämlich von 132 auf 96 Mio Stück und der Kurswert von 4,66 auf 3,66 Mrd E.
Aktuelle Anmerkung zur Telekombranche. SIEMENS-Chef von Pierer sieht es richtig: Den Boom bis 2000 folgt eine längere Investitionspause. Was bedeutet das konkret? Die Kapazitäten werden gekürzt, es wird Fusionen und Übernahmen geben, um die Rentabilität zu erreichen, und nur darin liegt für den Aktionär die Chance einer Kurserholung. Das ist ein ganz anderer Ansatz als Umsatz- und Gewinnboom, der zu Traumkursen geführt hat, die nie wieder erreicht werden. Solche Vorgänge gibt es in jeder Branche nach jedem Boom. Damit beginnt die Gesundung mit vertretbaren wirtschaftlichen Resultaten. Insbesondere gilt dies auch für die Ausrüster. Dafür liegen deren Umsatzbewertungen nur noch bei 40 % gegen früher über 700 %.
Mein Rat für heute: Gehen Sie in die Woche mit etwas Distanz. Ich präferiere die Liquiditätsreserve.
Herzlichst Ihr
Hans A. Bernecker
--------------------------------------------------
Served by sonne02.bern-stein.de on 1.7.2002 11:07:48 for 80.129.69.39
WebText © 2001 by 1STEIN GmbH + + + eMail: info@bern-stein.de
Hans Bernecker: Berichts-Saison
Mails/Nachrichten vom 01.07.2002, Bernecker & Cie.
--------------------------------------------------
Guten Morgen, meine Damen und Herren,
heute beginnt die Saison der Halbjahreszahlen. Es werden schwierige zwei bis drei Wochen werden. Etwa in der dritten Woche dürften alle relevanten Daten für die meisten der großen Adressen vorliegen. Abzusehen ist nichts. Der Grund:
Die SEC hat ihre Regeln insoweit verschärft, als die persönliche Haftung für alle Manager eingeführt wird, wenn Zahlen falsch oder gar betrügerisch konstruiert oder verwendet wurden. Es liegt nahe, davon auszugehen, daß alle Betroffenen versuchen werden, gewissermaßen reinen Tisch zu machen. Ob dies gelingt, ist offen. Meine These bleibt:
Kein einziger neuer Kauf einer Aktie, wenn nicht klare Zahlen vorliegen. Daran knüpfe ich aber eine Bemerkung, die mir wichtig ist: Am falschen Verhalten von WORLDCOM und XEROX ist nicht zu rütteln. Bei näherer Betrachtung sieht es jedoch schon etwas anders aus. Bei WORLDCOM handelt es sich um eine problematische Aktivierung von Reparaturaufwendungen. Bei XEROX geht es darum, daß die Abgrenzung zwischen Umsatz und Leasinggeschäft nicht korrekt vorgenommen wurde. Es dreht sich einzig um die zeitgerechte Erfassung. Der Wert der fraglichen Leasingverträge steht nicht zur Diskussion. Die zusätzliche Umsatzkorrektur macht per Saldo 1,9 Mrd $ aus, gilt für fünf Jahre, und das sind 2 % des Gesamtumsatzes für diese Periode. Lassen wir also bei aller Kritik die Tassen im Schrank. Zudem weiß man auch in New York: Der neue Wirtschaftsprüfer PricwaterhouseCoopers machte der vorgehenden Prüfungsfirma KPMG vor, wie man Saubermann spielt. Gleichwohl:
Die Art und Weise, wie die amerikanischen Manager mit Firmenzahlen umgehen, kann so nicht akzeptiert werden. Aber der Chefökonom von Moody’s formulierte es schon richtig: Die Stimmung der Anleger ist von einem Zustand irrationalem Überschwangs zu übertriebener Furcht umgeschwenkt. Diese Meinungskrise hält genau so lange an wie die Euphoriephase 1999/2000, was damals übrigens ziemlich exakt fünf Monate waren, nämlich von Oktober 1999 bis Februar 2000. Damals als Schlußphase.
Nicht zu verkennen ist allerdings, daß sich die Chartbilder der meisten großen Aktien in den letzten acht Börsentagen verschlechtert haben. Das beunruhigt mich schon und deutet darauf hin, daß die Septemberkurse des letzten Jahres für eine große Zahl der Technologieaktien noch bevorsteht. Ich halte ein Untertauchen dieser Kurse sogar für möglich. Aber nur für jene, die noch immer nicht gerade preiswert sind. Es wird Sie überrascht haben, daß ich in der letzten AB einige solcher fairen Preise genannt habe. Sie liegen im Schnitt noch 25 % niedriger. Deshalb sind sie weiterhin die Achillesferse des Marktes.
Wie auch immer: Ich sehe im Moment keinen Handlungsbedarf für Käufe, wenn die Fakten nicht auf dem Tisch liegen. Aktien, die zu teuer sind, bleiben problematisch. Aktien, die billig geworden sind, bleiben auf der Watchlist, aber auch dafür möchte ich erst die Zahlen sehen.
Kursunfälle wie bei PHILIP MORRIS wegen einer Tabakklage sind natürlich anders zu sehen. Dazu in der nächsten AB mehr.
Frankfurt beendete das Halbjahr mit zwei starken Tagen. Dahinter steckte window dressing einer ganzen Reihe von Fonds, insbesondere Spezialfonds der Versicherungen. Hinzu kamen Eindeckungen. Deshalb bleibe ich auch hier mißtrauisch. Dennoch sieht die deutsche Börse im Moment besser als die amerikanische aus. Sie enthält weniger der beschriebenen Risiken, siehe oben.
Die Diskussion um die Aktienbestände der Versicherer ist überzogen. Jeder, der die Vorschriften für die Lebensversicherer kennt, weiß das. Hier richtig in die Gegenposition zu marschieren, war deshalb richtig. Daran halte ich auch fest.
Die interessanteste Aktie dieser Woche ist voraussichtlich E.ON. Die Ministererlaubnis zum Erwerb von RUHRGAS gilt unter Auflagen als wahrscheinlich. Der gleichzeitige Verkauf von STINNES wäre dann der einstweilige Schlußpunkt für den Umbau von E.ON in beeindruckender Art und Weise. Ich hatte auf diese Aktie schon mehrfach aufmerksam gemacht und wiederhole dies. Damit ist die STINNES-Spekulation ebenfalls weitgehend aufgegangen, aber eine Abfindung dürfte wohl Kurse zwischen 32 und 34 E. bringen, was gegenüber dem Tief von 16 E. rund 100 % wären. Andererseits vermerken Sie bitte:
Die Kurserholung der Technologieaktien verlief relativ bescheiden. Hier gebe ich noch keine Entwarnung, worauf ich ausdrücklich hinweise.
Mein Denkansatz für diese Woche: Die amerikanischen Nachrichten schlagen leider stärker durch als unsere eigenen. Deshalb bleibe ich auf der vorsichtigen Seite. Die guten Ergebnisse von Donnerstag/Freitag müssen erst einmal technisch verkraftet werden. Dennoch sehe ich mehr Chancen in den nächsten Wochen wachsen, weil wirkliche Inforisiken nicht bestehen wie etwa in New York. Der Gesamtumsatz hatte sich am Freitag ohnehin deutlich reduziert, nämlich von 132 auf 96 Mio Stück und der Kurswert von 4,66 auf 3,66 Mrd E.
Aktuelle Anmerkung zur Telekombranche. SIEMENS-Chef von Pierer sieht es richtig: Den Boom bis 2000 folgt eine längere Investitionspause. Was bedeutet das konkret? Die Kapazitäten werden gekürzt, es wird Fusionen und Übernahmen geben, um die Rentabilität zu erreichen, und nur darin liegt für den Aktionär die Chance einer Kurserholung. Das ist ein ganz anderer Ansatz als Umsatz- und Gewinnboom, der zu Traumkursen geführt hat, die nie wieder erreicht werden. Solche Vorgänge gibt es in jeder Branche nach jedem Boom. Damit beginnt die Gesundung mit vertretbaren wirtschaftlichen Resultaten. Insbesondere gilt dies auch für die Ausrüster. Dafür liegen deren Umsatzbewertungen nur noch bei 40 % gegen früher über 700 %.
Mein Rat für heute: Gehen Sie in die Woche mit etwas Distanz. Ich präferiere die Liquiditätsreserve.
Herzlichst Ihr
Hans A. Bernecker
--------------------------------------------------
Served by sonne02.bern-stein.de on 1.7.2002 11:07:48 for 80.129.69.39
WebText © 2001 by 1STEIN GmbH + + + eMail: info@bern-stein.de