Mensch und Handy passen so gut zusammen, dass sie heiraten sollten. Manche haben das schon getan.
Henning Gajek ist schwer nicht zu erreichen. Er hat ein Handy mit einer D1-Nummer. Und eines mit einer D2-Nummer. Und eines mit einer E-Plus-Nummer. Und eines mit einer Interkom-Nummer. Sogar eines mit einer Quam-Nummer. Sollten sie mal alle ausgeschaltet sein ("Privatsphäre und so"), kann man ihn auf seinem Cityruf anpiepen. Und falls er in ein ganz tiefes Funkloch gefallen ist, gibt es immer noch seinen Pager für das Iridium-Satellitennetz. Jeder darf von der Website
www.gajek.de eine Botschaft ins All schicken. Die Satelliten nehmen sie auf und suchen Herrn Gajek. Meistens findet ihn der Satellit, der eben über Bad Dürkheim bei Kaiserslautern kreuzt. Aus dem Weltraum ist Gajeks roter Mazda, Baujahr 1988, gut erkennbar. Er hat mehr Antennen als der Sputnik.
So viel, wie Gajek telefoniert, müsste er die perfekte Vorschau auf den Menschen des mobilen Zeitalters sein. Kürzlich stellte eine für Motorola erstellte Studie fest, dass die "Verbreitung des Mobiltelefons eine signifikante Veränderung der sozialen und ökonomischen Machtverhältnisse bewirkt". Der dänische Futurologe Rolf Jensen beschreibt in seinem Buch "Dream Society" sogar, dass die Menschen sich künftig in "mobilen Stämmen" zusammenfinden werden: Über den Globus verteilt, durch das Funknetz jedoch in ständiger Interaktion.
Sieht dieser Homo mobilicus aus wie Gajek, wird er rote Lederslipper tragen, die etwa so viel Kilometer hinter sich haben wie ein Mazda von 1988, aber meist durch eine Schlabberjeans verdeckt werden. Er wird mit 40 noch im Haus der Eltern wohnen, warum nicht, es gibt ja Wichtigeres.
Verrückt? Ich?
Gajek ist der geistige Führer einer kleinen Bewegung von Menschen, die von der Mobiltelefonie besessen sind. Sie sind am besten beschrieben mit der Bezeichnung, die sie sich selbst gegeben haben: "verstrahlt". Verstrahlte sammeln Mobilfunkgeräte und Sim-Karten wie Briefmarken. Und sie lieben und hassen das Handy, wie man eine Frau lieben kann, weil sie einen täglich neu fasziniert - und hassen kann, weil sie mit unberechenbaren Zickigkeiten nervt und außerdem teuer ist. Weil man ihr immer mehr verfällt und doch noch nicht genug hat, spürt, wie man langsam wunderlich wird. Nicht weiß, ob man verrückt ist - oder nur der normalste Mann auf Erden.
Ja, manche sind wohl tatsächlich verrückt, sagt Gajek. Er nicht. Gajek drückt auf einem klobigen Nokia-Gerät herum, das in der Halterung einer Freisprechanlage seines Mazdas klemmt. Oben kratzen die Dachantennen fürchterlich an der Decke einer Unterführung. Verrückt - das ist ja ein weiter Begriff. Er kennt jemanden, der besitzt 51 Handys und trägt 25 davon stets in einem Rucksack bei sich. Über den mokieren sich jene, die 20 Handys besitzen und fünf davon immer in der Jacke haben. Gajek findet, die Grenze sei schon bei drei Handys in der Tasche. Deswegen hat er immer zwei dabei. Gut - und das alte Nokia im Auto. Aber das zählt eigentlich nicht, oder? Und das CB-Funkgerät, das ständig on Air ist, obgleich es kaum noch CB-Funker gibt: Das zählt ja schon gar nicht.
Nokia ist falsch - Siemens ist gut
Nur Männer verfallen dem Mobiltelefon in dieser Weise. Nach Freud muss die männliche Libido auf irgendetwas projiziert werden, nicht unbedingt auf eine Frau. Es mag Gründe dafür geben, wenn sie sich ausgerechnet in einen Funkmast entlädt. Aber ist das von Belang? Ist es besser, jahrelang unkompliziert ein Mobiltelefon zu benutzen, aber an seiner Ehe zu verzweifeln - oder eine Ehe ohne besondere Vorkommnisse zu führen und sich stattdessen die Haare über die Unzulänglichkeiten der Mobiltelefonie zu raufen?
Norbert Hüttisch etwa hat keine Probleme mit seiner Frau. Aber mit Nokia-Handys. Und zwar MIT JEDEM VERDAMMTEN NOKIA-HANDY AUF DIESEM PLANETEN. Norbert ist einer von 50 Handyextremisten, die auf Einladung von Henning Gajek zur Mobilfunker-Tagung nach Bad Dürkheim gekommen sind. Eng gedrängt sitzen sie im Nebenraum einer Waldwirtschaft. Hier ist ein großes Funkloch. Anders geht es nicht, sonst käme keiner zu Wort außer den Handys. Trotzdem hat jeder seine Geräte vor sich auf den Tisch gelegt. "Flashy Peacocks" nennt die Kulturwissenschaftlerin Sadie Plant solche Handynutzer: eitle Pfaue. Sie müssen ihr Gerät präsentieren, selbst wenn es gar kein Netz gibt.
Wenn Verstrahlte über Probleme reden, dann niemals über solche, wie sie die Menschen quälen, die in den Endlos-Warteschleifen der Mobilfunkbetreiber-Hotlines hängen. Etwa, weil das Handy sich nicht in das Netz einbucht. Weil es eine SMS verweigert, weil ein Ruf auf der Strecke bleibt.
In Bad Dürkheim geht es um richtige Probleme: Norbert beklagt, dass Nokia-Handys noch immer unfähig seien, den C1-Wert zu berechnen. Der C1-Wert nämlich ist ein Parameter, der dem Handy sagt, welche Station es anfunken soll. Und Nokia liegt stets etwas falsch. Wie kann ein Gespräch richtig sein, das auf Grund falscher Berechnungen zustande kam? Siemens liegt immer richtig, deswegen mag Norbert Siemens, ganz besonders mag er das alte "Brikett": Siemens S4.
Mobilfunker "consulten"
Es geht nicht ums Telefonieren an sich. Was sollte man sich schon erzählen. Mobilfunker hassen Geschwätzigkeit. Sie reden nicht, sie beraten, "consulten" nennen sie es. Dazu reicht knappes Vokabular: GSM, HSCSD, GPRS, SMS, C-HTML, XML, UMTS, EMS. Sie kommunizieren auf Grund der reinen Erreichbarkeit, des "Roamings": Ein Gespräch ist gut, wenn es von einem besonderen Ort aus geführt wird oder aus einem besonderes Netz heraus, über einen besonderen Satelliten, zu einem besonderen Tarif. Es lässt sich kaum so viel telefonieren, wie es Verbindungsmöglichkeiten gibt.
Und wer verstrahlt ist, zahlt nicht, jedenfalls nicht viel. Nur Anfänger haben Handyrechnungen über 200 Euro.
Wer alle Tarife kennt, beherrscht sie. Es lässt sich sogar Geld verdienen. Trick: Interkom "Loop" ist ein Prepaid-Tarif, bei dem der Angerufene pro Gespräch ein paar Cent auf seiner Rechnung gutgeschrieben bekommt. Wer bei der Telekom ISDN-XXL-Kunde ist und deswegen am Wochenende kostenlos telefonieren darf, ruft einfach 48 Stunden lang das eigene Loop-Handy an - und verdient satte 30 Euro. "Uploopen" heißt dieser Nebenerwerb. Manche telefonieren gar nicht viel, etwa Norbert. An seinem S4 benutzt er meist nur den "Monitor-Mode": Das Display verwandelt sich in einer Wunderwelt von Zahlen und Zeichen: "052TS1 TA01
PL05RX-079 CI1A91 N7 LAI62F22.002D0 B2 LF34LS34 QF0QS0". Der Lagebericht des Handys. Norbert versteht ihn. Liebende verstehen immer. Er weiß dann, dass im Umkreis von 550 Metern eine Mobilfunkstation ist und er sie finden wird. Seit sieben Jahren, seit er das erste Mal ein S4 in der Hand hielt, läuft er wie ein Wünschelrutengänger durchs badische Land und sucht Mobilfunksender. Einmal stand er fünf Stunden auf einem Marktplatz, bis er die Antennen gepeilt hatte. Ob er denn nichts Besseres zu tun habe, muss er sich öfters fragen lassen, auch von Mobilfunkunternehmen. Nein.
Warum auch.
"Die größte Offenbarung ist die Stille", sprach der chinesische Philosoph Lao-tse. Nicht dumm, aber das war vor 2300 Jahren. Heute gibt es keine Stille mehr. Höchstens sind wir zu tumb, zu hören. Langwellen, Kurzwellen, Ultrakurzwellen, Mikrowellen durchschwingen die Welt, durchwandern unsere Körper wie Geisterwesen. Jede Sekunde unserer Existenz sind wir durchdrungen von Informationen, wir können sie nicht verstehen. In diesem Sinne sind Menschen wie Norbert moderne Yogis. Die einfach nur ganz still sein möchten und lauschen. Dem Rauschen der Wellen, die an ihren Ohren vorbeirollen. Deshalb kurbelten die schon als Jugendliche an so genannten Scannern herum, um etwas Polizei- und Flugzeugfunk hören zu können, deshalb luden sie sich als 20-Jährige ihre Autos voller Funkgeräte, sodass leider keine Freundin mehr hineinpasste.
Und mancher wird unvermutet verstrahlt. Thomas Schöneborn ist Linguist, schreibt an seiner Promotion. Hinter Sechstagebart und Nickelbrille geduckt blickt er in die Runde. Er hat sich nie für Technik interessiert. Er hat nur ein zu großes Herz, als dass bloß Lebewesen hineinpassen würden.
Denn es gibt nicht nur den Fortschritt, es gibt auch das Nichts. Das Nichts zieht lautlos durchs Land. Es verschlingt die Netze von gestern, zerstört die Systeme, die sich nicht mehr rechnen. Es lässt Geräte zurück, die verzweifelt nach Funkkontakt ringen. Das bekannteste Opfer ist das C-Netz, welches einst die Autotelefone der Besserverdienenden mit der Festwelt verband. Seit 2000 ist es abgeschaltet. "Ausgeroamt"eben.
Wer kennt noch den Scall? Den kleinen Funkrufmelder, den alle Teenies cool fanden, als Handys noch zu teuer waren? Mit dem wir unsere Freundin anpiepten, damit sie uns schnell zurückrief? Nun haben die Teenies Handys, und Scall lohnt nicht mehr. Etwa 50.000 Geräte waren noch angemeldet, als der Netzbetreiber E-Message Ende März den Dienst abschaltete. E-Message hat umgestellt auf zahlungskräftige Kunden: Cityruf-Pieper für Ärzte und Anwälte, neuerdings auch Kursdaten für Börsenpager. Von den Scall-Besitzern wird kaum jemand gemerkt haben, dass der kleine Helfer für immer verstummt ist. Irgendwann wird er verendet in der Schublade aufgefunden. Und man denkt sich: Es tut mir leid, mein kleiner Freund, ich hätte für dich kämpfen sollen.
Telmis Tod
Thomas hat gekämpft. Und verloren. Telmi ist tot. Er hatte seinen Funkmelder vor fünf Jahren gekauft, gebraucht von einem Freund für 50 DM. Seitdem war er immer dabei. Immer. Doch im November vorigen Jahres erfuhr Thomas, dass der Telmi-Betreiber, die Deutsche Funkruf-Gesellschaft, pleite ist und Telmi getilgt wird. "Ich wurde richtig wütend": Er gründete die Website
www.rettet-telmi.de. Er sammelte Unterschriften, er schrieb an Politiker, versuchte Investoren auf Telmi aufmerksam zu machen, vergebens. Es war 13 Uhr am 3. Januar, als er eine letzte Botschaft an seinen Telmi schickte, dann verlöschte das Netz.
Während Thomas erzählt, dreht er den Pager in den Händen. Vorsichtig. Als hoffe er, dass der Kleine durch ein Wunder wieder anfängt zu piepen.
Norbert hört Thomas zu. So wie er zuvor dem jungen Mann zugehört hat, der davon berichtete, wie er am 11. September in Manhattan unterwegs war, um zu testen, welche Netze noch funktionierten ("Nur Voicestream ging überall"). Norbert hat nicht viel übrig für Telmi und Funkrufempfänger. Aber er weiß, dass dieses Schicksal auch sein Siemens S4 erwartet. Dann, wenn alle nur noch UMTS haben. Wenn alle Handys aussehen wie Puderdosen.
Jemand hat Norbert einen Vorboten dieser Blinki-Blinki-Dudel-Dudel-Dinger in die Hand gedrückt. Es ist das neue i-Mode-Handy von NEC. Es hat nicht einmal eine Infrarotschnittstelle. Dafür eine Diode, die in sechs verschiedenen Farben glimmen kann, und es kann bellen wie ein Hund.
Wer braucht das, fragt Norbert. Doch er weiß, irgendwann werden die Puderdosen die Welt beherrschen. Dann wird das GSM-Netz ausgeroamt, und all die Sender, die Norbert gefunden, benannt und kartografiert hat, werden von den Dächern gerissen und verschrottet. Wird er weinen - wer weiß. Auch in diesem ist die Liebe zum Handy der Liebe zwischen Menschen ähnlich. Sie endet mit einer Enttäuschung.
Gut, dass Henning Gajek noch eine andere Liebe hat. Als die Mobilfunker das Lokal verlassen haben, als alle Handys dankbar piepsend wieder ein Netz registriert haben, ist für ihn der Tag noch nicht vorbei. Er geht zu einem Jazz-Konzert. Für die Lokalzeitung schreibt er über Jazz. Er liebt Jazz schon länger, als er Handys liebt. Er hat einen ganzen Schrank voller Kassetten. Und noch nie versucht, die CDs zu zählen.
Thomas begleitet ihn. Er schiebt den Telmi in die Tasche. Das kleine Quarzherz hat aufgehört zu schlagen, doch Thomas wird sich nicht von im trennen. Freund ist Freund.
Wer sein Herz noch hat, darf den Telmi zum Gedenken anrufen: 0166-0.246.129. Er kann nicht mehr antworten. Aber irgendwo hört er es bestimmt. Er war ein guter Pager, wissen Sie. Nur die Welt, die war nicht gut zu ihm.
Quelle:ftd