Gute Nachricht für Aldi

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Gute Nachricht für Aldi

 
08.07.03 21:22
Kolumne: Gute Nachricht für Aldi
Von Lucas Zeise

Die Steuerreform ist im Sinne der EZB. Die Nachfragestärkung verhindert, dass weiter Geld in Fonds fließt.


Eins ist gewiss. Am morgigen Donnerstag wird die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen nicht senken. Wim Duisenberg, der Präsident der Notenbank, hat seiner Enttäuschung über die Regierungen, in deren Auftrag er das Frankfurter Institut seit fünf Jahren geführt hat, vor einer Woche freien Lauf gelassen. Bei der letzten Anhörung seiner Amtszeit im Europäischen Parlament wies er alle Wünsche nach weiter sinkenden Leitzinsen übellaunig zurück.

Als scheidender Präsident meint er vermutlich, die diplomatisch verklausulierten Höflichkeitsfloskeln abstreifen zu können. Nun kann er unverblümter sagen, was er wirklich denkt. "Wir haben unseren Teil getan. Jetzt können sich die Regierungen nicht mehr hinter der EZB verstecken und so versuchen, ihr Versagen bei der Umsetzung der so dringend benötigten Strukturreformen zu vertuschen." So schimpfte der Mann.


Duisenberg und der Mehrheit seiner EZB-Kollegen ist Schröders Reformagenda 2010 nicht radikal genug. Die Notenbanker ärgern sich, wenn Regierungen Schulden machen. Besonders sauer aber sind sie darüber, dass sich Paris und Berlin endlich über die Restriktionen des von der Zentralbank geschätzten Stabilitäts- und Wachstumspaktes hinwegzusetzen beginnen.


Duisenbergs Ehrlichkeit wirft ein Licht auf die bisherige Zinspolitik dieser Zentralbank. Sie ist ein Indiz für die These, dass die Notenbanker in der Vergangenheit ihre Zinspolitik von einer restriktiven Fiskal- und Wirtschaftspolitik abhängig gemacht haben. Skandalös ist dieses Verhalten, weil es Erpressung ist. Harmloser beurteilt ist es schlechte Politikberatung.



Den Bondmarkt getäuscht


Ganz als lässliche Sünde erscheint Duisenbergs Verhalten, wenn man es mit den Erfolgen der explizit lockeren Politik des Alan Greenspan und seiner Fed vergleicht. Die hektisch anmutenden Aktionen der amerikanischen Notenbank haben wenig mehr als die Finanzmärkte in Schwung gehalten.


Alan Greenspan und seine Kollegen in der US-Notenbank haben die Investoren ermuntert, an einen Dauerboom am Bondmarkt zu glauben. Der Boom ist zum Absturz geworden, und die Notenbank hat sich dem Crash am Rentenmarkt nicht entgegengestellt. Gerade deshalb herrscht am Aktienmarkt Optimismus. Ohne sich um die kümmerlich wirkenden Daten aus dem Arbeitsmarkt und den Gütermärkten der US-Volkswirtschaft zu sorgen, unterstellen die Akteure den Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte und angenehme Wachstumsperspektiven hinfort.


Die Investoren schlussfolgern aus der Tatsache, dass die US-Notenbank weder einen großen Zinsschritt abwärts tat, noch zu den angekündigten unkonventionellen Maßnahmen zur Deflationsbekämpfung schritt, dass die Deflation bereits besiegt, jedenfalls keine Gefahr mehr ist. Also kann man als rational denkender Investor den Bondmarkt nur meiden und in Aktien fliehen.


Joachim Fels, Europa-Ökonom bei Morgan Stanley, hat vor einigen Tagen die Politik der Notenbanken als Abfolge von Notoperationen geschildert. Sie wurden eingesetzt, um in sich zusammenfallende Übertreibungen an verschiedenen Finanzmärkten abzumildern. Angefangen mit der kräftigen Liquiditätsspritze der Fed nach dem Aktienmarkt-Crash 1987 sind in immer wieder neuen Märkten große Preisblasen entstanden. Das wird so weitergehen, prognostiziert Fels.



Hektische Blasenbildung


Zu ergänzen ist, dass die Blasenbildung an den verschiedenen Finanzmärkten sich immer schneller und hektischer ablöst. Der übertriebene Anstieg der Bondpreise und das entsprechend rasante Abschmelzen der Renditen ist so ein Fall. Verblüffend auch, dass es im zweiten Quartal 2003 zum ersten Mal geschah, dass es einen Anstieg aller im MSCI enthaltenen 50 Länderindizes gab. Da sind nicht gerade risikoarme Märkte wie Pakistan, Peru, Venezuela, Russland oder die Philippinen dabei.


Die sich immer krasser blähenden Preisblasen an den Finanzmärkten sind Ausdruck des Anlagenotstands, den die Verwalter von Vermögen in immer stärkerem Maße verspüren. Sie wissen, dass auf längere Sicht keine der Assetklassen, seien es Festverzinsliche, seien es Aktien oder Immobilien, einen soliden Wertzuwachs verspricht. Überall sind die Preise der Assets schon zu hoch, um von den real zu erwartenden Renditen noch gedeckt zu sein.


Die Kehrseite der größer werdenden, nach Anlage drängenden Vermögenswerte ist die säkular wachsende Verschuldung. Über die Konjunkturzyklen hinweg hat sich die Verschuldung des privaten Sektors in allen Industrieländern relativ zum Bruttosozialprodukt erhöht. Noch zu Beginn der 80er Jahre lag sie nur wenig über 100 Prozent des Bruttosozialprodukts. Heute hingegen erreicht sie etwa 180 Prozent.


Um diesem Teufelskreis zu entkommen, ist es angemessen, wenn die Nachfrage gestärkt wird. Der scheidende Wim Duisenberg sollte Schröders vorgezogene Steuerreform daher freudig begrüßen. Sie kommt wenigstens zu einem Großteil den niedrigen Einkommensklassen zugute. Wenn Geringverdienende weniger Steuern zahlen, bestehen gute Chancen, dass das Geld nicht wieder in Fonds fließt und damit die Aktienkurse antreibt, sondern bei Aldi und seinen Lieferanten landet.



© 2003 Financial Times Deutschland
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