Chefvolkswirt von Goldman Sachs rechnet mit weiteren Zinssenkungen- WELT-Gespräch
New York - Das New Yorker Investmenthaus Goldman Sachs hat als erste Bank in den USA die Einschätzung abgegeben, dass die amerikanischen Leitzinsen weit unter das bisherige Niveau sinken könnten. Bislang war Wall Street davon ausgegangen, dass die Zinsen bei 3,50 Prozent einen Tiefstand erreicht haben dürften und dies wahrscheinlich bei der Sitzung der Federal Reserve am Mittwoch angekündigt wird. Doch William Dudley, US-Chefvolkswirt von Goldman Sachs, sagt: "Die Zinsen können noch erheblich weiter fallen." Mit Dudley sprach Martin Halusa.
DIE WELT: Heute und morgen kommt die Federal Reserve zusammen - werden die Zinsen erneut gesenkt?
William Dudley: Ich denke schon. Die Frage lautet nur: Um 25 oder um 50 Basispunkte? Auf der einen Seite hat die Fed schon viel getan und könnte nun abwarten, was passiert. Auf der anderen Seite ist die Wirtschaft weiterhin schwach, und der Inflationsdruck lässt nach. Ich glaube daher eher, dass Alan Greenspan und seine Kollegen sich für einen halben Prozentpunkt entscheiden werden. In jedem Fall denke ich aber, dass die Fed die Zinsen weiter senken wird, bis die Wirtschaft wieder in Gang kommt.
DIE WELT: Das heißt: Selbst wenn die Fed nun wieder einen halben Prozentpunkt senkt, ist dies nicht der letzte Schritt?
Dudley: Genau.
DIE WELT: In Japan sind die Zinsen bei null Prozent. Wie tief kann die amerikanische Fed gehen?
Dudley: Ohne ausgewachsene Rezession dürfte bei drei bis 3,5 Prozent Schluss sein. Wenn sich die Lage weiter verschlechtern sollte, dann könnten die Leitzinsen aber noch erheblich weiter fallen. Die Lehre aus der japanischen Erfahrung der neunziger Jahre ist, dass man nach einem Börsen- und Investitionskollaps aggressiv und schnell die Zinsen senken sollte. Wartet man zu lange, verliert die Geldpolitik ihre Wirksamkeit.
DIE WELT: Im Herbst 2000 waren die Börsen bereits im Keller, und über der Wirtschaft zogen dunkle Wolken auf. Doch die Fed hat erst Anfang 2001 die Zinsschraube gelockert. Kam Greenspan zu spät?
Dudley: Die Fed wollte eine Verlangsamung erreichen. Was dann überraschte, war das Ausmaß und die Intensität der Talfahrt. Vielleicht hätte Greenspan nicht bis Anfang 2001 warten sollen. Aber hinterher ist man immer schlauer.
DIE WELT: Helfen niedrige Zinsen wirklich der Wirtschaft?
Dudley: Sie helfen ein bisschen, aber nicht so viel wie manche hofften. Das Problem der Fed ist, dass die Finanzmärkte bisher wenig kooperativ waren. Die Aktienkurse sind niedriger und der Dollar stärker als zu Jahresbeginn.
DIE WELT: Wie lange werden die Zinsen in den USA auf niedrigem Niveau bleiben?
Dudley: Dies hängt davon ab, welchen Umfang die wirtschaftliche Erholung Ende des Jahres haben wird. Es ist wahrscheinlich, dass es in einigen Monaten mit den USA wieder bergauf geht, denn der Aufschwung wird von zahlreichen Faktoren begünstigt: Die Lager der Unternehmen sind leer und müssen gefüllt werden, die Energiepreise werden sinken. Hinzu kommen die Impulse der Geldpolitik und die Auswirkungen der Steuersenkung. Die Wirtschaft wird im kommenden Jahr relativ moderat wachsen - wir rechnen mit 2,5 Prozent Zuwachs. Die
Fed wird deshalb - nach den Senkungen in diesem Jahr - lange nichts tun.
DIE WELT: Zehn Jahre Boom in den USA sind zu Ende. Droht jetzt nicht doch eine Rezession?
Dudley: Das Risiko ist vorhanden. Wir befinden uns derzeit aber noch nicht in einer Rezession - aber das kann sich ändern. Die Frage ist, was die Unternehmen tun werden. Ihre Gewinne werden deutlich zurückgehen, sie werden Mitarbeiter entlassen. Diese Entlassungswellen könnten den Verbraucher erschüttern. Die größten Gefahren drohen den USA bis zum September oder Oktober. Danach wird es wieder besser vorangehen; unter anderem, weil die Steuersenkungen dann ihre Wirkung entfachen.
DIE WELT: Der Verbraucher steht im Zentrum des Interesses, doch die Talfahrt scheint die Konsumlust nicht zu dämpfen, kann die Amerikaner nichts erschüttern?
Dudley: Das Vertrauen der Verbraucher ist leicht gesunken, aber es ist nicht kollabiert. Und das ist ein gutes Zeichen. Jetzt besteht aber die Gefahr, dass die Konsumenten wegen der Entlassungen immer verunsicherter werden. Die Menschen beginnen, sich Gedanken um die Sicherheit ihrer Jobs zu machen. Das könnte schon bald die Ausgaben einschränken. Dies ist aber noch nicht geschehen.
DIE WELT: . . . kann aber bald eintreten und den Abwärtstrend verstärken?
Dudley: Wenn das Vertrauen der Verbraucher nachlässt, kann dies schwer wiegende Folgen für die Wirtschaft haben.
DIE WELT: Massenpsychologie spielt also eine wichtige Rolle: Wall-Street-Gurus erhöhen ihre Prognosen, der Finanzminister seine Wachstumserwartung, und der Präsident senkt die Steuern . . .
Dudley: Psychologie spielt eine wichtige Rolle. Und deshalb könnten die USA auch besser aus dieser Krise kommen als andere Länder. Wichtig ist die Glaubwürdigkeit der Politik der Fed. Es sieht so aus, als würden die Amerikaner großes Vertrauen in Alan Greenspan haben. Und wenn sie Vertrauen haben, werden sie konsumieren. Und wenn sie konsumieren, werden wir vielleicht keine Rezession haben. Sollten wir aber eine Rezession erleiden, wird die Enttäuschung über den "Mythos" Greenspan groß sein. Aber Greenspan ist nur ein Mensch, er hat nur ein Instrument - die Zinsen.
DIE WELT: Wie wird sich die Talfahrt in den USA auf die Weltwirtschaft und Europa auswirken?
Dudley: Der Abschwung in den USA beeinflusst schon jetzt die Entwicklung im Rest der Welt - vielleicht sogar mehr als dies erwartet worden war. Wir haben unsere 2001er-Prognose für Europa gerade von 2,4 auf zwei Prozent nach unten korrigiert, für Japan sehen wir ein Schrumpfen in diesem Jahr, ein erneutes Abgleiten in eine Rezession. Die gute Nachricht ist, dass Europa viele Probleme nicht hat, die es in den USA gab. Steuersenkungen hat es in Europa schon gegeben. Die Haushalte in Europa sind bei ihren Ausgaben nicht so abhängig vom Aktienmarkt wie in Amerika - und das Zerplatzen der High-Tech-Blase war in Europa ebenfalls nicht so schlimm wie hier zu Lande. In Europa wird es eine Talfahrt geben, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist äußerst gering.
DIE WELT: Der Euro sinkt von einem Tief zum nächsten. Wann kommt die Trendumkehr?
Dudley: Es war klar, dass die ersten Jahre des Euro seine schwersten würden, weil die europäischen Volkswirtschaften noch nicht genügend integriert sind. Hinzu kommt die neue Europäische Zentralbank EZB. Und die EZB kommuniziert nicht genügend und eindeutig mit den Kapitalmärkten - deshalb hat sie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Diese Schwierigkeiten gibt es bei der Fed unter Alan Greenspan nicht. Die Glaubwürdigkeit der EZB wird sich allerdings im Laufe der Zeit erhöhen. Deshalb wird sich der Euro in absehbarer Zeit erholen. Seinen Tiefpunkt hat er vielleicht bereits durchschritten.
DIE WELT: Abby Joseph Cohen von Goldman Sachs - die "Königin der Bullen" - ist so optimistisch wie sonst kaum einer an Wall Street; der Dow soll Ende des Jahres bei 12 500, der S&P 500 bei 1550 Punkten liegen. Worauf stützen sich derlei Aussichten?
Dudley: Die Börse ist derzeit hin und her gerissen zwischen Zinspolitik und Unternehmensgewinnen. Historisch gesehen hat die Börse immer zugelegt, wenn die Fed derart deutlich die Zinsen gesenkt hat. Dies ist der Hauptgrund für den Aktienoptimismus. Was die Gewinne anbelangt, sind die Menschen vielleicht zu optimistisch.
New York - Das New Yorker Investmenthaus Goldman Sachs hat als erste Bank in den USA die Einschätzung abgegeben, dass die amerikanischen Leitzinsen weit unter das bisherige Niveau sinken könnten. Bislang war Wall Street davon ausgegangen, dass die Zinsen bei 3,50 Prozent einen Tiefstand erreicht haben dürften und dies wahrscheinlich bei der Sitzung der Federal Reserve am Mittwoch angekündigt wird. Doch William Dudley, US-Chefvolkswirt von Goldman Sachs, sagt: "Die Zinsen können noch erheblich weiter fallen." Mit Dudley sprach Martin Halusa.
DIE WELT: Heute und morgen kommt die Federal Reserve zusammen - werden die Zinsen erneut gesenkt?
William Dudley: Ich denke schon. Die Frage lautet nur: Um 25 oder um 50 Basispunkte? Auf der einen Seite hat die Fed schon viel getan und könnte nun abwarten, was passiert. Auf der anderen Seite ist die Wirtschaft weiterhin schwach, und der Inflationsdruck lässt nach. Ich glaube daher eher, dass Alan Greenspan und seine Kollegen sich für einen halben Prozentpunkt entscheiden werden. In jedem Fall denke ich aber, dass die Fed die Zinsen weiter senken wird, bis die Wirtschaft wieder in Gang kommt.
DIE WELT: Das heißt: Selbst wenn die Fed nun wieder einen halben Prozentpunkt senkt, ist dies nicht der letzte Schritt?
Dudley: Genau.
DIE WELT: In Japan sind die Zinsen bei null Prozent. Wie tief kann die amerikanische Fed gehen?
Dudley: Ohne ausgewachsene Rezession dürfte bei drei bis 3,5 Prozent Schluss sein. Wenn sich die Lage weiter verschlechtern sollte, dann könnten die Leitzinsen aber noch erheblich weiter fallen. Die Lehre aus der japanischen Erfahrung der neunziger Jahre ist, dass man nach einem Börsen- und Investitionskollaps aggressiv und schnell die Zinsen senken sollte. Wartet man zu lange, verliert die Geldpolitik ihre Wirksamkeit.
DIE WELT: Im Herbst 2000 waren die Börsen bereits im Keller, und über der Wirtschaft zogen dunkle Wolken auf. Doch die Fed hat erst Anfang 2001 die Zinsschraube gelockert. Kam Greenspan zu spät?
Dudley: Die Fed wollte eine Verlangsamung erreichen. Was dann überraschte, war das Ausmaß und die Intensität der Talfahrt. Vielleicht hätte Greenspan nicht bis Anfang 2001 warten sollen. Aber hinterher ist man immer schlauer.
DIE WELT: Helfen niedrige Zinsen wirklich der Wirtschaft?
Dudley: Sie helfen ein bisschen, aber nicht so viel wie manche hofften. Das Problem der Fed ist, dass die Finanzmärkte bisher wenig kooperativ waren. Die Aktienkurse sind niedriger und der Dollar stärker als zu Jahresbeginn.
DIE WELT: Wie lange werden die Zinsen in den USA auf niedrigem Niveau bleiben?
Dudley: Dies hängt davon ab, welchen Umfang die wirtschaftliche Erholung Ende des Jahres haben wird. Es ist wahrscheinlich, dass es in einigen Monaten mit den USA wieder bergauf geht, denn der Aufschwung wird von zahlreichen Faktoren begünstigt: Die Lager der Unternehmen sind leer und müssen gefüllt werden, die Energiepreise werden sinken. Hinzu kommen die Impulse der Geldpolitik und die Auswirkungen der Steuersenkung. Die Wirtschaft wird im kommenden Jahr relativ moderat wachsen - wir rechnen mit 2,5 Prozent Zuwachs. Die
Fed wird deshalb - nach den Senkungen in diesem Jahr - lange nichts tun.
DIE WELT: Zehn Jahre Boom in den USA sind zu Ende. Droht jetzt nicht doch eine Rezession?
Dudley: Das Risiko ist vorhanden. Wir befinden uns derzeit aber noch nicht in einer Rezession - aber das kann sich ändern. Die Frage ist, was die Unternehmen tun werden. Ihre Gewinne werden deutlich zurückgehen, sie werden Mitarbeiter entlassen. Diese Entlassungswellen könnten den Verbraucher erschüttern. Die größten Gefahren drohen den USA bis zum September oder Oktober. Danach wird es wieder besser vorangehen; unter anderem, weil die Steuersenkungen dann ihre Wirkung entfachen.
DIE WELT: Der Verbraucher steht im Zentrum des Interesses, doch die Talfahrt scheint die Konsumlust nicht zu dämpfen, kann die Amerikaner nichts erschüttern?
Dudley: Das Vertrauen der Verbraucher ist leicht gesunken, aber es ist nicht kollabiert. Und das ist ein gutes Zeichen. Jetzt besteht aber die Gefahr, dass die Konsumenten wegen der Entlassungen immer verunsicherter werden. Die Menschen beginnen, sich Gedanken um die Sicherheit ihrer Jobs zu machen. Das könnte schon bald die Ausgaben einschränken. Dies ist aber noch nicht geschehen.
DIE WELT: . . . kann aber bald eintreten und den Abwärtstrend verstärken?
Dudley: Wenn das Vertrauen der Verbraucher nachlässt, kann dies schwer wiegende Folgen für die Wirtschaft haben.
DIE WELT: Massenpsychologie spielt also eine wichtige Rolle: Wall-Street-Gurus erhöhen ihre Prognosen, der Finanzminister seine Wachstumserwartung, und der Präsident senkt die Steuern . . .
Dudley: Psychologie spielt eine wichtige Rolle. Und deshalb könnten die USA auch besser aus dieser Krise kommen als andere Länder. Wichtig ist die Glaubwürdigkeit der Politik der Fed. Es sieht so aus, als würden die Amerikaner großes Vertrauen in Alan Greenspan haben. Und wenn sie Vertrauen haben, werden sie konsumieren. Und wenn sie konsumieren, werden wir vielleicht keine Rezession haben. Sollten wir aber eine Rezession erleiden, wird die Enttäuschung über den "Mythos" Greenspan groß sein. Aber Greenspan ist nur ein Mensch, er hat nur ein Instrument - die Zinsen.
DIE WELT: Wie wird sich die Talfahrt in den USA auf die Weltwirtschaft und Europa auswirken?
Dudley: Der Abschwung in den USA beeinflusst schon jetzt die Entwicklung im Rest der Welt - vielleicht sogar mehr als dies erwartet worden war. Wir haben unsere 2001er-Prognose für Europa gerade von 2,4 auf zwei Prozent nach unten korrigiert, für Japan sehen wir ein Schrumpfen in diesem Jahr, ein erneutes Abgleiten in eine Rezession. Die gute Nachricht ist, dass Europa viele Probleme nicht hat, die es in den USA gab. Steuersenkungen hat es in Europa schon gegeben. Die Haushalte in Europa sind bei ihren Ausgaben nicht so abhängig vom Aktienmarkt wie in Amerika - und das Zerplatzen der High-Tech-Blase war in Europa ebenfalls nicht so schlimm wie hier zu Lande. In Europa wird es eine Talfahrt geben, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist äußerst gering.
DIE WELT: Der Euro sinkt von einem Tief zum nächsten. Wann kommt die Trendumkehr?
Dudley: Es war klar, dass die ersten Jahre des Euro seine schwersten würden, weil die europäischen Volkswirtschaften noch nicht genügend integriert sind. Hinzu kommt die neue Europäische Zentralbank EZB. Und die EZB kommuniziert nicht genügend und eindeutig mit den Kapitalmärkten - deshalb hat sie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Diese Schwierigkeiten gibt es bei der Fed unter Alan Greenspan nicht. Die Glaubwürdigkeit der EZB wird sich allerdings im Laufe der Zeit erhöhen. Deshalb wird sich der Euro in absehbarer Zeit erholen. Seinen Tiefpunkt hat er vielleicht bereits durchschritten.
DIE WELT: Abby Joseph Cohen von Goldman Sachs - die "Königin der Bullen" - ist so optimistisch wie sonst kaum einer an Wall Street; der Dow soll Ende des Jahres bei 12 500, der S&P 500 bei 1550 Punkten liegen. Worauf stützen sich derlei Aussichten?
Dudley: Die Börse ist derzeit hin und her gerissen zwischen Zinspolitik und Unternehmensgewinnen. Historisch gesehen hat die Börse immer zugelegt, wenn die Fed derart deutlich die Zinsen gesenkt hat. Dies ist der Hauptgrund für den Aktienoptimismus. Was die Gewinne anbelangt, sind die Menschen vielleicht zu optimistisch.