Aus Mailand berichtet Boris Rupert
Borussia Dortmund steht zum vierten Mal in der Vereinsgeschichte in einem europäischen Endspiel! Nach dem 4:0 im Hinspiel reichte ein 1:3 (0:2) beim AC Mailand, um das Ticket für das Finale am 8. Mai in Rotterdam zu lösen. Gegner im „De Kuip“ ist in vier Wochen Feyenoord Rotterdam, das im Rückspiel gegen Inter Mailand durchsetzte.
Nur 15.000 Fans – darunter 3.500 BVB-Anhänger und die ehemaligen Profis Wolfgang Vöge und Karlheinz Riedle – bevölkerten die 81.000-Zuschauer-Arena im Stadtteil San Siro. Sie machten kräftig Stimmung und sahen ein spannendes Match, in dem Inzaghi (11.) und Contra (19.) frühe Tore schossen, Serginho in der Nachspielzeit einen umstrittenen Elfmeter (Metzelder soll Inzaghi gefoult haben) zum 3:0 verwandelte. Doch dann war der Spuk beendet, Ricken erzielte kurz darauf das alles entscheidende Tor.
Ausgangslage:
Nach dem 4:0 vor einer Woche im Westfalenstadion war der BVB klarer Favorit. Doch Präsident Dr. Gerd Niebaum forderte, das „Ergebnis nicht nur zu verwalten“, sondern selbst die Initiative zu ergreifen, um nicht doch noch zittern zu müssen. „Ein Schiff, das untergeht, hält keiner mehr auf“, befürchtete auch Matthias Sammer. Ein Dortmunder Tor, und Mailand hätte gleich sechs Mal treffen müssen, um den BVB die Final-Teilnahme noch zu vermasseln.
Personalien:
Mit exakt der gleichen Elf wie im Hinspiel traten die Borussen an. Kohler, vorgestern zum dritten Mal Vater geworden, war am Spieltag in Mailand eingetroffen und nahm auf der Bank Platz. Madouni rückte als 19. Mann auf die Tribüne. Neben dem Gelb gesperrten Ambrosini wurden Maldini, Albertini und Jose Mari durch Helveg, Chamot, Serginho und Shevchenko ersetzt.
Taktik:
Mit zwei Spitzen, zwei offensiven Außen und einem Spielmacher im Zentrum (Pirlo) attackierte Milan und interpretierte die 4-4-2-Grundordnung entsprechend offensiv. Sammer setzte auf die bewährte 2-5-3-Aufstellung mit Wörns und Metzelder ohne Absicherung gegen Shevchenko und Inzaghi. Heinrich (rechts) und Dede (links) verteidigten vorgezogen auf den Außenpositionen gegen Serginho und Contra, Pirlo wurde im Zentrum wie schon im Hinspiel durch Oliseh und Reuter im Raum genommen. Rosicky hatte es mit dem ebenfalls nach vorn ausgerichteten Gattuso zu tun, Ewerthon, Koller und Amoroso trafen auf eine Viererkette, die diesmal Kaladze, Laursen, Chamot und Helveg bildeten.
Analyse:
Milan griff von Beginn an nach einem Strohhalm, der nur hauchdünn schien, provozierte bewusst Hektik, attackierte früh und stürzte die Schwarzgelben von einer Verwirrung in die nächste und hatte nach bereits 18 Minuten die Hälfte der 0:4-Hypothek aus dem Hinspiel abgetragen. Nachdem Serginho schon nach 100 Sekunden knapp verfehlt hatte, nutzte Inzaghi nach zehn Minuten ein Abstimmungsproblem zwischen Metzelder und Oliseh und köpfte unbedrängt zur frühen Führung ein. Serginho hatte die Maßflanke von der linken Seite geschlagen. Acht Minuten später zappelte es zum zweiten Mal im Netz: Lehmann konnte einen scharfen wie tückischen Pirlo-Freistoß aus 16 Metern (Shevchenko hatte ihn geschunden) nicht festhalten, wehrte ihn vor die Füße von Contra ab, und der Rumäne traf aus kurzer Distanz zum 2:0 – zwei Gegentore in der Anfangsphase, nachdem es in den sieben UEFA-Pokal-Spielen zuvor nur zweimal „gerappelt“ hatte.
Damit nicht genug. Der Fußball-Gott war auf Lehmanns Seite, als dieser einen Kaladze-Knaller durch die Beine hatte gleiten lassen, dann aber glücklich mit der Hacke ins Toraus abfälschte. In der Nachspielzeit wehrte der Schlussmann zudem einen Helveg-Schuss zur Ecke ab.
Und Borussia? Mit Ausnahme der Phase zwischen der 25. und der 40. Minute, in der Rosicky einen ersten Warnschuss abgab, Ewerthon und Amoroso eine Heinrich-Flanke haarscharf verpassten, Amoroso eine Hereingabe – erneut von Heinrich – knapp über das Tor setzte, die Mannschaft das Spiel insgesamt in den Griff zu bekommen schien, feierten Hektik und Konfusion fröhliche Urständ’. Keine Ordnung, keine Ruhe in den von Nervosität geprägten Aktionen, daraus resultierende unnötige Ballverluste in allen Mannschaftsteilen und deshalb selten Entlastung in den beiden Sturm- und Drangphasen der Gastgeber zu Beginn und vor der Halbzeitpause.
Die nutzte Sammer, um sein Team neu einzustellen, das stärker aus der Kabine kam, die Zweikämpfe nun entschlossener annahm, in der Mehrzahl auch gewann, es insgesamt verstand, das Spiel weitgehend fern zu halten von der unmittelbaren Gefahrenzone und selbst versuchte, Akzente zu setzen. Ein Tor der Borussen, und Milan hätte deren sechs schießen müssen. Amoroso, einer der Besten, hatte es kurz nach Wiederbeginn auf dem Fuß, doch er verzog. Ein Solo von ihm wurde in der 65. Minute an der Strafraumkante gestoppt, kurz zuvor hatte Koller in aussichtsreicher Position über den Ball getreten.
Welch eine Spannung, welch eine Dramatik. Inzaghi, der zweimal versucht hatte, einen Elfmeter zu schinden, bekam diesen nach einer Stunde zu Unrecht nicht. 20 Minuten vor dem Ende verschärfte der sechsmalige Europapokalsieger nochmals das Tempo, hatte schon zuvor mit José Mari und Simone für Contra und Shevchenko zwei frische und gleichzeitig eine zusätzliche Offensivkraft gebracht, während Dortmund den verletzten Heinrich ersetzen musste. Für ihn kam Evanilson (58.). Der defensivstärkere Ricken ersetzte später Ewerthon (73.).
An Reuter, der der Defensive in dieser entscheidenden Phase mit seiner Erfahrung und seinem unbändigen Willen Halt gab, richtete sich die Mannschaft auf, ließ nur noch einen Hochkaräter zu. Doch die Chance des frei vor dem Tor stehenden Pirlo vereitelte Lehmann mit einem tollen Reflex (82.). „Finale, oho“, jetzt waren auch wieder die Fans wieder zu hören, die auf eine harte Geduldsprobe gestellt worden waren. Doch auch für sie war dieses 1:3 eine „schöne Niederlage“...
Ausblick:
Nach dem Abpfiff in San Siro gilt die volle Konzentration dem Schlussspurt in der Bundesliga. „Wenn wir in Kaiserslautern gewinnen, werden wir auch Deutscher Meister“, prophezeit Präsident Dr. Gerd Niebaum: „Denn Leverkusen wird es dann nicht gelungen sein, uns in einer ganz wichtigen Phase abzuschütteln.“ Am Sonntag (17.30 Uhr) auf dem Betzenberg fehlen allerdings die gesperrten Lehmann und Reuter (fünfte Gelbe Karte), Kehl kehrt ins Team zurück.
TEAMS & TORE
AC Mailand – Borussia Dortmund 3:1 (2:0)
Mailand: Abbiati – Helveg, Laursen, Chamot, Kaladze – Contra, Gattuso, Serginho – Pirlo – Inzaghi, Shevchenko.
BVB: Lehmann – Wörns, Metzelder – Heinrich, Reuter, Oliseh, Dede – Rosicky – Ewerthon, Koller, Amoroso.
Einwechselungen: 63. José Mari für Contra, 68. Simone für Shevchenko – 58. Evanilson für Heinrich, 73. Ricken für Ewerthon.
Tore: 1:0 Inzaghi (11., Vorarbeit Serginho), 2:0 Contra (19., Nachschuss), 3:0 Serginho (90. + 1, Foulelfmeter, Metzelder an Inzaghi), 3:1 Ricken (90. + 3, Evanilson). Eckstöße: 7:0 (Halbzeit 3:0), Chancenverhältnis: 8:4 (5:2).
Schiedsrichter: Gilles Veissiere (42) aus Nizza (Frankreich). Rote Karten: keine, Gelb-Rote Karten: keine, Gelbe Karten: Gattuso, Inzaghi, Contra – Dede.
Zuschauer: 15.301.
Wetter: regnerisch, etwa 11 Grad.
es war toll! restlichen BVB-spiele restlos ausverkauft