Michel Friedman: Die schärfste Zunge der Republik
Von Thomas Hanke, Berlin
Michel Friedman sieht sich bescheiden als Journalist, doch er hat noch viel mehr Rollen. Er ist eloquenter und scharfsinniger als viele Politiker. Die stellt er in seinen Sendungen auf die Probe: Nicht alle bestehen sie. Obwohl CDU-Mitglied, ist Friedman nichts weniger als ein braver Parteisoldat.
Michel Friedman
Michel Friedman hat viele Identitäten. Die meisten scheinen ihm zu eng. Er ist Journalist, redet über Politik aber eher wie ein Politiker. Er ist Mitglied der CDU, "ein schlafendes CDU-Mitglied", wie er präzisiert, doch Respekt vor der Parteiräson ist ihm unbekannt.
Er ist stellvertretender Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, findet sich aber mit der diskreten Nischenexistenz nicht ab, die in der deutschen Gesellschaft lange für Vertreter der jüdischen Gemeinschaft vorgesehen war und hat sie zumindest für sich längst gesprengt. Ohne sein Zutun wäre die Debatte über das Spiel des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen Möllemann mit antisemitischen Vorurteilen nicht so entschieden und erfolgreich geführt worden.
Weil er viele Identitäten hat, berührt es einen seltsam, wenn Friedman einen Satz mit "wir Journalisten" anfängt. Dabei ist er ein ausgezeichneter Journalist, einer, der das Motto des Altmeisters Georg Stefan Troller beherzigt: "Im Gespräch mit einem Politiker muss man als erstes seine Fassade einreißen." Friedman sagt es etwas feinsinniger, wenn er seine Sendung in der ARD charakterisiert: "Ich schone mich nicht und den Gast nicht. Wenn er nicht glaubwürdig ist, dann sehe ich meine Aufgabe darin, das zu decouvrieren." Deutsche Politiker seien es nicht gewohnt, "so rangenommen zu werden. Einige können damit besser umgehen, andere schlechter".
Keine Kollegenschelte
Werden die Journalisten in diesem Wahlkampf mit häufig wechselnden Themen und der eher flachen Auseinandersetzung ihrer Aufgabe gerecht? Friedman hält sich an die Konvention, er betreibt keine Kollegenschelte. Etwas steif sagt er: "Mit Sicherheit ist das Legendengebäude von Politik schwer zu durchbrechen." Kritik an den Medien übt er nur in allgemeiner Form: "Der Wahlkampf ist ein wirtschaftlicher Marktwert für die Medien geworden, die Duelle der Spitzenkandidaten ein Quotenwert." Politik und Medien seien unternehmerisch verknüpft: "Wer die großen Namen hat, hat die große Quote."
Ist es für ihn schwieriger geworden, die großen Namen zu bekommen? Schließlich ist die halbe Stunde auf seiner roten Couch wegen seiner flinken Zunge eher ein Himmelfahrtskommando als ein Heimspiel für Politiker. Friedman verneint. Auch potenzielle Rollenkonflikte kann er entschärfen: "Selbst auf dem Höhepunkt der Krise zwischen dem Zentralrat und der FDP gab es in meiner Sendung keinerlei Probleme mit der FDP."
Auch wenn er bescheiden sagt: "Wir begleiten die Politik nur als Journalisten", schimmert manchmal durch, dass er wohl gerne Politik gestalten würde. Vielleicht ist er, den viele so gerne als "arroganten Zyniker" oder gleich als "Kotzbrocken" bezeichnen, dafür einen Tick zu idealistisch. Denn für ihn haben Politiker "die Verantwortung, die Gesellschaft voranzubringen, nicht die, nach vier Jahren wiedergewählt zu werden".
Liebe zur Rückversicherung
Deutschland scheue das Risiko, liebe die Rückversicherung, brauche Veränderung, sagt Friedman - und das setze voraus, "dass die Regierung keine Angst davor hat, sanktioniert zu werden". Eine reformorientierte Wirtschaftspolitik bedeute "nicht nur Steuersenkung, wie Westerwelle uns das verkaufen möchte". Ihre Aufgabe sei es vielmehr, "eine Wachstumsökonomie mit Lust am Gestalten und am Risiko zu schaffen".
Gerhard Schröder habe als Reformkanzler angefangen, doch dann sei er stecken geblieben, urteilt Friedman. Sowohl ihm als auch seinem Herausforderer Edmund Stoiber fehle ein ähnlich starkes Leitmotiv wie Helmut Kohl es hatte, der "die Nation in eine europäische Zukunft führen wollte". Für Friedman sind "die einzigen wirklichen Reformprojekte seit 1998 grüne Projekte gewesen, aber die Grünen haben ihre Dynamik in der Koalitonsvernunft verloren". Wieder so ein Satz, der ihm wenig Freunde machen wird - und der zeigt, wie grau dieses Land ohne Leute wie ihn wäre.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: AP
Von Thomas Hanke, Berlin
Michel Friedman sieht sich bescheiden als Journalist, doch er hat noch viel mehr Rollen. Er ist eloquenter und scharfsinniger als viele Politiker. Die stellt er in seinen Sendungen auf die Probe: Nicht alle bestehen sie. Obwohl CDU-Mitglied, ist Friedman nichts weniger als ein braver Parteisoldat.
Michel Friedman
Michel Friedman hat viele Identitäten. Die meisten scheinen ihm zu eng. Er ist Journalist, redet über Politik aber eher wie ein Politiker. Er ist Mitglied der CDU, "ein schlafendes CDU-Mitglied", wie er präzisiert, doch Respekt vor der Parteiräson ist ihm unbekannt.
Er ist stellvertretender Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, findet sich aber mit der diskreten Nischenexistenz nicht ab, die in der deutschen Gesellschaft lange für Vertreter der jüdischen Gemeinschaft vorgesehen war und hat sie zumindest für sich längst gesprengt. Ohne sein Zutun wäre die Debatte über das Spiel des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen Möllemann mit antisemitischen Vorurteilen nicht so entschieden und erfolgreich geführt worden.
Weil er viele Identitäten hat, berührt es einen seltsam, wenn Friedman einen Satz mit "wir Journalisten" anfängt. Dabei ist er ein ausgezeichneter Journalist, einer, der das Motto des Altmeisters Georg Stefan Troller beherzigt: "Im Gespräch mit einem Politiker muss man als erstes seine Fassade einreißen." Friedman sagt es etwas feinsinniger, wenn er seine Sendung in der ARD charakterisiert: "Ich schone mich nicht und den Gast nicht. Wenn er nicht glaubwürdig ist, dann sehe ich meine Aufgabe darin, das zu decouvrieren." Deutsche Politiker seien es nicht gewohnt, "so rangenommen zu werden. Einige können damit besser umgehen, andere schlechter".
Keine Kollegenschelte
Werden die Journalisten in diesem Wahlkampf mit häufig wechselnden Themen und der eher flachen Auseinandersetzung ihrer Aufgabe gerecht? Friedman hält sich an die Konvention, er betreibt keine Kollegenschelte. Etwas steif sagt er: "Mit Sicherheit ist das Legendengebäude von Politik schwer zu durchbrechen." Kritik an den Medien übt er nur in allgemeiner Form: "Der Wahlkampf ist ein wirtschaftlicher Marktwert für die Medien geworden, die Duelle der Spitzenkandidaten ein Quotenwert." Politik und Medien seien unternehmerisch verknüpft: "Wer die großen Namen hat, hat die große Quote."
Ist es für ihn schwieriger geworden, die großen Namen zu bekommen? Schließlich ist die halbe Stunde auf seiner roten Couch wegen seiner flinken Zunge eher ein Himmelfahrtskommando als ein Heimspiel für Politiker. Friedman verneint. Auch potenzielle Rollenkonflikte kann er entschärfen: "Selbst auf dem Höhepunkt der Krise zwischen dem Zentralrat und der FDP gab es in meiner Sendung keinerlei Probleme mit der FDP."
Auch wenn er bescheiden sagt: "Wir begleiten die Politik nur als Journalisten", schimmert manchmal durch, dass er wohl gerne Politik gestalten würde. Vielleicht ist er, den viele so gerne als "arroganten Zyniker" oder gleich als "Kotzbrocken" bezeichnen, dafür einen Tick zu idealistisch. Denn für ihn haben Politiker "die Verantwortung, die Gesellschaft voranzubringen, nicht die, nach vier Jahren wiedergewählt zu werden".
Liebe zur Rückversicherung
Deutschland scheue das Risiko, liebe die Rückversicherung, brauche Veränderung, sagt Friedman - und das setze voraus, "dass die Regierung keine Angst davor hat, sanktioniert zu werden". Eine reformorientierte Wirtschaftspolitik bedeute "nicht nur Steuersenkung, wie Westerwelle uns das verkaufen möchte". Ihre Aufgabe sei es vielmehr, "eine Wachstumsökonomie mit Lust am Gestalten und am Risiko zu schaffen".
Gerhard Schröder habe als Reformkanzler angefangen, doch dann sei er stecken geblieben, urteilt Friedman. Sowohl ihm als auch seinem Herausforderer Edmund Stoiber fehle ein ähnlich starkes Leitmotiv wie Helmut Kohl es hatte, der "die Nation in eine europäische Zukunft führen wollte". Für Friedman sind "die einzigen wirklichen Reformprojekte seit 1998 grüne Projekte gewesen, aber die Grünen haben ihre Dynamik in der Koalitonsvernunft verloren". Wieder so ein Satz, der ihm wenig Freunde machen wird - und der zeigt, wie grau dieses Land ohne Leute wie ihn wäre.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: AP