Aus der FTD vom 3.2.2003
Das Kapital: Gerade jetzt sollte die Lust auf Aktien nicht vergehen
Endgültig die Nase voll von Aktien? Sehr gut. Dann ist die nächste Rally wenigstens nicht mehr allzu fern. Aber langsam mit den jungen Pferden. Es gibt noch mehr Optimisten, als man denkt.
Wer sonst würde den S&P 500 mit 856 Punkten bezahlen? Selbst unter günstigsten ökonomischen Umständen müsste man sich die Finger wund rechnen, um das zu rechtfertigen. Und die Wirtschaft ist nicht nur derzeit schwach. Sie wird es auf Jahre hin bleiben - jedenfalls per saldo.
Für einen Bullengalopp, der sich zu reiten lohnt, müsste der Leitindex zumindest die Oktober-Tiefstände testen. Und bis dahin fehlen zehn Prozent. Zum Glück stehen die Chancen gut, dass die Optimisten neuerlich einknicken. Man braucht nur die Zeitung zu lesen, um das zu erahnen. Zwar haben sich die Kapitalgüteraufträge stabilisiert und lassen zumindest in den USA und in Deutschland sogar auf eine Erholung hoffen. Aber die Firmen, die dieser Tage ihre Bilanzen vorstellen, sprechen eine andere Sprache. Sie üben sich in Investitionsdisziplin und begründen das mit geopolitischen Risiken - oder werden wegen ihrer Schulden dazu gezwungen.
Unterdessen sind die US-Kernerzeugerpreise zweimal in Folge um 0,3 Prozent gesunken. Doch während der Preisdruck in Amerika infolge des Dollarverfalls nachlassen sollte, ist es hier zu Lande gerade umgekehrt. Zwar haben die Kernproduzentenpreise zuletzt etwas zugelegt. Dafür sind die Kernimportpreise im November und Dezember um jeweils 0,2 Prozent gefallen. Der Importpreisdruck verlagert sich gen Europa.
Derweil werden die Konsumenten rund um die Erde zusehends verunsicherter, wie die EU- und US-Umfragen zeigen. An den Beschäftigungskomponenten der jüngsten Einkaufsmanagerindizes von Chicago und Milwaukee gemessen haben sie allen Anlass dazu. Wie die Vorgänger wird deshalb vermutlich auch die nächste Rally schnell ihren Schwung verlieren, so die Voraussetzung dafür - die Kapitulation der Optimisten - überhaupt geschaffen wird.
Sommer-Hausse
Geld regiert die Welt
Doch so wirr es klingen mag: Im Laufe des Jahres werden Aktien immer attraktiver. Denn letztlich werden die Investitionen für ein paar Quartale anspringen. In den USA ist der Kapitalstock (Ausrüstung außerhalb des Finanzsektors zu Wiederbeschaffungspreisen) 2002 zum ersten Mal in der Nachkriegszeit gefallen. Insgesamt sind die Nettoinvestitionen im dritten Quartal um rund 50 Prozent gesunken und waren im Verhältnis zum BIP so niedrig wie nur zwei Mal zuvor in den letzten 50 Jahren. Da sich vor allem Technologiegüter schnell überleben, werden die Anlagen immer rascher abgeschrieben. Schon um den Kapitalstock zu bewahren, sind daher hohe Bruttoinvestitionen erforderlich.
Zwar sind die Schulden weiter hoch im Vergleich zum Cash-Flow. Da die Zinsen aber um zwei Siebtel niedriger sind als im Schnitt seit 1970, sind die Zinskosten am Cash gemessen nicht höher als üblich. Die Finanzierungslücke der US-Firmen (Investitionen minus Cash minus Dividenden) ist derweil um gut die Hälfte niedriger als im Mittel.
Zusammen mit der aggressiven Politik der Fed hat das geholfen, die Risikoprämien auf Firmenanleihen zu schmälern, wodurch die Refinanzierung erleichtert wird. Und es ist keine Frage, dass die EZB dieses Jahr noch mehr als einen weiteren Scheit auf das Feuer nachlegen wird.
Natürlich wird es wegen der Kombination von Verschuldung, Sparmangel und industriellen Überkapazitäten keinen nachhaltigen Boom geben - und wenn, dann eher in Europa, wo schon jene kleinen Reformen Fesseln sprengen können, die von Wolfgang Clement angedacht werden. Auch lassen sich die Kriegsrisiken angesichts der allgegenwärtigen Desinformationspolitik nicht bemessen. Aber von schweren Unglücken abgesehen, wird der Investitionszyklus in ein paar Monaten zu drehen beginnen. Wie gewohnt werden die Anleger dann auf jegliche Bewertung pfeifen. Aktien werden für eine gute Weile richtige Lust machen.
© 2003 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD
Das Kapital: Gerade jetzt sollte die Lust auf Aktien nicht vergehen
Endgültig die Nase voll von Aktien? Sehr gut. Dann ist die nächste Rally wenigstens nicht mehr allzu fern. Aber langsam mit den jungen Pferden. Es gibt noch mehr Optimisten, als man denkt.
Wer sonst würde den S&P 500 mit 856 Punkten bezahlen? Selbst unter günstigsten ökonomischen Umständen müsste man sich die Finger wund rechnen, um das zu rechtfertigen. Und die Wirtschaft ist nicht nur derzeit schwach. Sie wird es auf Jahre hin bleiben - jedenfalls per saldo.
Für einen Bullengalopp, der sich zu reiten lohnt, müsste der Leitindex zumindest die Oktober-Tiefstände testen. Und bis dahin fehlen zehn Prozent. Zum Glück stehen die Chancen gut, dass die Optimisten neuerlich einknicken. Man braucht nur die Zeitung zu lesen, um das zu erahnen. Zwar haben sich die Kapitalgüteraufträge stabilisiert und lassen zumindest in den USA und in Deutschland sogar auf eine Erholung hoffen. Aber die Firmen, die dieser Tage ihre Bilanzen vorstellen, sprechen eine andere Sprache. Sie üben sich in Investitionsdisziplin und begründen das mit geopolitischen Risiken - oder werden wegen ihrer Schulden dazu gezwungen.
Unterdessen sind die US-Kernerzeugerpreise zweimal in Folge um 0,3 Prozent gesunken. Doch während der Preisdruck in Amerika infolge des Dollarverfalls nachlassen sollte, ist es hier zu Lande gerade umgekehrt. Zwar haben die Kernproduzentenpreise zuletzt etwas zugelegt. Dafür sind die Kernimportpreise im November und Dezember um jeweils 0,2 Prozent gefallen. Der Importpreisdruck verlagert sich gen Europa.
Derweil werden die Konsumenten rund um die Erde zusehends verunsicherter, wie die EU- und US-Umfragen zeigen. An den Beschäftigungskomponenten der jüngsten Einkaufsmanagerindizes von Chicago und Milwaukee gemessen haben sie allen Anlass dazu. Wie die Vorgänger wird deshalb vermutlich auch die nächste Rally schnell ihren Schwung verlieren, so die Voraussetzung dafür - die Kapitulation der Optimisten - überhaupt geschaffen wird.
Sommer-Hausse
Geld regiert die Welt
Doch so wirr es klingen mag: Im Laufe des Jahres werden Aktien immer attraktiver. Denn letztlich werden die Investitionen für ein paar Quartale anspringen. In den USA ist der Kapitalstock (Ausrüstung außerhalb des Finanzsektors zu Wiederbeschaffungspreisen) 2002 zum ersten Mal in der Nachkriegszeit gefallen. Insgesamt sind die Nettoinvestitionen im dritten Quartal um rund 50 Prozent gesunken und waren im Verhältnis zum BIP so niedrig wie nur zwei Mal zuvor in den letzten 50 Jahren. Da sich vor allem Technologiegüter schnell überleben, werden die Anlagen immer rascher abgeschrieben. Schon um den Kapitalstock zu bewahren, sind daher hohe Bruttoinvestitionen erforderlich.
Zwar sind die Schulden weiter hoch im Vergleich zum Cash-Flow. Da die Zinsen aber um zwei Siebtel niedriger sind als im Schnitt seit 1970, sind die Zinskosten am Cash gemessen nicht höher als üblich. Die Finanzierungslücke der US-Firmen (Investitionen minus Cash minus Dividenden) ist derweil um gut die Hälfte niedriger als im Mittel.
Zusammen mit der aggressiven Politik der Fed hat das geholfen, die Risikoprämien auf Firmenanleihen zu schmälern, wodurch die Refinanzierung erleichtert wird. Und es ist keine Frage, dass die EZB dieses Jahr noch mehr als einen weiteren Scheit auf das Feuer nachlegen wird.
Natürlich wird es wegen der Kombination von Verschuldung, Sparmangel und industriellen Überkapazitäten keinen nachhaltigen Boom geben - und wenn, dann eher in Europa, wo schon jene kleinen Reformen Fesseln sprengen können, die von Wolfgang Clement angedacht werden. Auch lassen sich die Kriegsrisiken angesichts der allgegenwärtigen Desinformationspolitik nicht bemessen. Aber von schweren Unglücken abgesehen, wird der Investitionszyklus in ein paar Monaten zu drehen beginnen. Wie gewohnt werden die Anleger dann auf jegliche Bewertung pfeifen. Aktien werden für eine gute Weile richtige Lust machen.
© 2003 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD