Der deutsche Pass erleichtert Attentate
Eingebürgerte Islamisten: Zwei aktuelle Fälle bestätigen die Warnung deutscher Geheimdienste. Afghane aus Hamburg in USA verhaftet
Von Jochen Kummer und Friedemann Weckbach-Mara
Berlin - Die deutschen Sicherheitsbehörden haben bereits vor der Festnahme des mutmaßlichen Attentäters von Heidelberg intern gewarnt, dass in Deutschland lebende Muslime zum Kreis potenzieller Terroristen zählen.
Wie WELT am SONNTAG erfuhr, gingen die Geheimdienste in Deutschland und das Bundeskriminalamt (BKA) von folgenden Erkenntnissen aus: Es handelt sich um fanatische Muslime in Europa, die in zwei Kulturen aufwachsen. Die strenggläubigen Muslime leben in christlichen Ländern wie Deutschland nach außen angepasst, aber hochkonspirativ. Sie verfügen über moderne Kenntnisse der Kommunikation wie E-Mail. Sie verbergen, dass ihnen die deutsche liberale Kultur, die Gleichberechtigung der Frauen und sexuelle Offenheit zuwider sind und diese im Konflikt mit ihrer traditionellen islamistischen Erziehung stehen. Deshalb sind sie empfänglich für die Lehren des Al-Qaida-Führers Osama bin Laden. Sie bereiten sich als Einzeltäter oder in Gruppen auf Anschläge vor.
Die Erkenntnisse haben sich jetzt bestätigt. Das Täterbild könnte auf den verdächtigen Türken Osman P. von Heidelberg zutreffen.
Manchen Muslimen kommt das deutsche Konzept entgegen, Ausländern zur Erleichterung der Integration die hiesige Staatsbürgerschaft zu verleihen. Mit dem deutschen Pass wird ihnen das globale Reisen, auch die Visa-Erteilung, entscheidend erleichtert. Bei dem verhafteten Türken ist bislang nur sein türkischer Pass gefunden worden. Am Montag wollen die Meldbehörden prüfen, ob er auch die deutsche Staatsbürgerschaft und damit einen deutschen Pass besitzt.
Die Warnung der Sicherheitsbehörden hat sich in zwei aktuellen Fällen als berechtigt erwiesen: Wie jetzt bekannt wurde, ist am 24. August in New York ein muslimischer mutmaßlicher Terrorist aus Hamburg festgenommen worden. Es handelt sich um den gebürtigen Afghanen Safiola L. 39. Er besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft und reiste mit einem deutschen Pass. Er hat zugegeben, in Hamburg zeitweilig mit dem Terroristen Atta zusammengelebt zu haben, der am 11. September eines der Flugzeuge in das New Yorker World Trade Center steuerte.
Ähnlich verhält es sich mit dem kürzlich in Schweden verhafteten Tunesier, dem eine versuchte Flugzeugentführung zur Last gelegt wird: Der Muslime besitzt die schwedische Staatsbürgerschaft und bemühte sich um eine Flugausbildung. Das BND-Urteil: "Sehr ernst zu nehmen."
Sicherheitsexperten wünschen sich über den Personenkreis einen besseren Datenaustausch. Sie fordern auch einen schnelleren Zugriff und schnellere Abschiebung.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat schon vor Wochen die Bundesregierung auch darüber informiert, dass die Terrororganisation Al Qaida wieder operationsfähig ist und in ihrer Heimatbasis Afghanistan erneut Fuß gefasst hat. Nach Informationen von WELT am SONNTAG legte der BND ein düsteres Lagebild vor:
Afghanistan spielt wieder eine "große Rolle" und bereitet dem BND Sorgen. Al Qaida und Taliban reorganisieren sich nach ihrer schweren Niederlage im Dezember vorigen Jahres gegen die USA und ihrer Alliierten. Internationale Operationen im Sinne Osama bin Ladens und Guerilla-Aktivitäten in den afghanischen Provinzen würden "ohne Frage" vorangetrieben.
Der BND weiter: Zunächst seien "zehntausende Kämpfer" nach der Niederlage unbehelligt aus Afghanistan durch pakistanische Lager zu ihren Familien in Pakistan, Iran, den Golfstaaten und Afrika gelangt. Die Reorganisation finde jetzt vom Grenzgebiet Pakistan-Afghanistan aus statt: in der ostafghanischen Provinz Paktia, einem unzugänglichen Hochgebirgsland mit vielen Schluchten, Tälern und Bunkern, das außerhalb staatlicher Kontrolle sei. Dort werde auch der Anführer Osama bin Laden vermutet - lebend.
Die Kommunikation zwischen ostafghanischer Provinz und Pakistan, und damit dem Westen, findet "beritten", per Motorrad und per Fernmeldetechnik statt. Ziel sei es, sich abzustimmen und neue Kräfte zu rekrutieren. Diese Kommunikation laufe "unter den Augen der Amerikaner" ab. Die deutschen Sicherheitsbehörden urteilen einschränkend: "Die Kontrolldichte der Amerikaner ist nicht groß."
Die deutschen Geheimdienste weiter: Selbst die Regionen um die Hauptstadt Kabul (mit der Zentralregierung) sind noch nicht unter Kontrolle, geschweige die weiter entfernten Provinzen.
Die Sicherheitsbehörden sehen keine finanziellen Probleme für Al-Qaida-Terroristen. Der BND hat errechnet, wie teuer der Anschlag vom 11. September in den USA für die Terroristen gewesen sei. "Wir kamen auf ein bis zwei Millionen Dollar", sagt ein ranghoher Vertreter. Der Experte mahnte in Gegenwart des zuständigen Abteilungsleiters im Kanzleramt an die Adresse der Bundesregierung: "Man darf Afghanistan nicht sich selbst überlassen."