Gastkommentar
George Soros - Wie es zum Crash kam
Der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers löste im September 2008 einen ökonomischen Tsunami aus. Wer ähnliche Katastrophen in der Zukunft verhindern will, der muss sich mit der Funktionsweise der spekulativen Instrumente beschäftigen.
Wann immer die Finanzwelt in der Vergangenheit an den Rand des Zusammenbruchs geriet, rettete sie der Staat. Dasselbe hätte ich 2008 erwartet - aber es geschah nicht. Am Montag, dem 15. September 2008, ließ man Lehman Brothers ohne ausreichende Vorbereitung kollabieren. Das veränderte das Spiel grundlegend und hatte katastrophale Folgen.
Zunächst gingen die Credit Default Swaps (CDS) durch die Decke, mit denen Anleger sich gegen Unternehmenspleiten versichern. Der Versicherer AIG, der hier eine große Leerposition hatte, stand unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit. Am nächsten Tag schon musste Finanzminister Henry Paulson seine Haltung revidieren und AIG retten.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Lehman war einer der wichtigsten Marketmaker für Geldmarktpapiere und ein wichtiger Emittent. Ein unabhängiger Geldmarktfonds hielt Lehman-Papiere, und da er keine tiefen Taschen hatte, blieb ihm nur der Ausweg des "Break the Buck" - er konnte die Geldmarktanteile nicht mehr zu deren Nennwert einlösen.
Dies löste unter den Anlegern Panik aus, schon am Donnerstag, dem 18. September, war ein Run auf Geldmarktfonds im vollen Gange. Die Panik griff auf den Aktienmarkt über.
Wie konnte man zulassen, dass Lehman unterging? Die Verantwortung hierfür liegt eindeutig bei den Finanzbehörden, insbesondere dem Finanzministerium und der Notenbank Fed. Sie behaupten, keine gesetzliche Befugnis zum Intervenieren gehabt zu haben. Aber das ist eine faule Ausrede. Sie hätten im Notfall alles Erforderliche tun können und müssen, um einen Kollaps des Systems zu verhindern, so wie sie es bereits bei anderen Gelegenheiten getan haben.
Auf einer tieferen Ebene spielten die CDS beim Untergang von Lehman Brothers eine entscheidende Rolle. Meine Erklärung ist kontrovers, und alle drei Schritte meiner Argumentation werden den Leser auf unbekanntes Terrain führen.
Zunächst einmal ist das Risiko-Rendite-Verhältnis bei Geschäften am Aktienmarkt asymmetrisch verteilt. Wer eine Long-Position hat, also eine Aktie hält, für den ist das Kurspotenzial nach oben unbegrenzt, das Risiko nach unten aber begrenzt. Bei einer Short-Position, also einem Leerverkauf, bei dem der Verkäufer die Aktie später erst noch selbst beschaffen muss, ist es umgekehrt: begrenzte Gewinnchance, unbegrenztes Verlustrisiko.
Teil 2: Wie sch diese Asymmetrie manifestiert >>
www.ftd.de/meinung/kommentare/...zum-Crash-kam/467857.html?p=2
Teil 3: Welche wichtigen Fragen die Erklärung aufwirft >>
www.ftd.de/meinung/kommentare/...zum-Crash-kam/467857.html?p=3
Aus der FTD vom 30.01.2009
© 2009 Financial Times Deutschland, © Illustration: reuters
George Soros - Wie es zum Crash kam
Der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers löste im September 2008 einen ökonomischen Tsunami aus. Wer ähnliche Katastrophen in der Zukunft verhindern will, der muss sich mit der Funktionsweise der spekulativen Instrumente beschäftigen.
Wann immer die Finanzwelt in der Vergangenheit an den Rand des Zusammenbruchs geriet, rettete sie der Staat. Dasselbe hätte ich 2008 erwartet - aber es geschah nicht. Am Montag, dem 15. September 2008, ließ man Lehman Brothers ohne ausreichende Vorbereitung kollabieren. Das veränderte das Spiel grundlegend und hatte katastrophale Folgen.
Zunächst gingen die Credit Default Swaps (CDS) durch die Decke, mit denen Anleger sich gegen Unternehmenspleiten versichern. Der Versicherer AIG, der hier eine große Leerposition hatte, stand unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit. Am nächsten Tag schon musste Finanzminister Henry Paulson seine Haltung revidieren und AIG retten.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Lehman war einer der wichtigsten Marketmaker für Geldmarktpapiere und ein wichtiger Emittent. Ein unabhängiger Geldmarktfonds hielt Lehman-Papiere, und da er keine tiefen Taschen hatte, blieb ihm nur der Ausweg des "Break the Buck" - er konnte die Geldmarktanteile nicht mehr zu deren Nennwert einlösen.
Dies löste unter den Anlegern Panik aus, schon am Donnerstag, dem 18. September, war ein Run auf Geldmarktfonds im vollen Gange. Die Panik griff auf den Aktienmarkt über.
Wie konnte man zulassen, dass Lehman unterging? Die Verantwortung hierfür liegt eindeutig bei den Finanzbehörden, insbesondere dem Finanzministerium und der Notenbank Fed. Sie behaupten, keine gesetzliche Befugnis zum Intervenieren gehabt zu haben. Aber das ist eine faule Ausrede. Sie hätten im Notfall alles Erforderliche tun können und müssen, um einen Kollaps des Systems zu verhindern, so wie sie es bereits bei anderen Gelegenheiten getan haben.
Auf einer tieferen Ebene spielten die CDS beim Untergang von Lehman Brothers eine entscheidende Rolle. Meine Erklärung ist kontrovers, und alle drei Schritte meiner Argumentation werden den Leser auf unbekanntes Terrain führen.
Zunächst einmal ist das Risiko-Rendite-Verhältnis bei Geschäften am Aktienmarkt asymmetrisch verteilt. Wer eine Long-Position hat, also eine Aktie hält, für den ist das Kurspotenzial nach oben unbegrenzt, das Risiko nach unten aber begrenzt. Bei einer Short-Position, also einem Leerverkauf, bei dem der Verkäufer die Aktie später erst noch selbst beschaffen muss, ist es umgekehrt: begrenzte Gewinnchance, unbegrenztes Verlustrisiko.
Teil 2: Wie sch diese Asymmetrie manifestiert >>
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Teil 3: Welche wichtigen Fragen die Erklärung aufwirft >>
www.ftd.de/meinung/kommentare/...zum-Crash-kam/467857.html?p=3
Aus der FTD vom 30.01.2009
© 2009 Financial Times Deutschland, © Illustration: reuters
Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont. Konrad Adenauer