ftd.de, Do, 4.10.2001, 7:00
Geldanlage: Neuer Markt zu hart abgestraft
Von Torsten Engelbrecht, Florian Schröder
Immer mehr Experten halten Aktien für klar unterbewertet - Titel am Neuen Markt nicht ausgenommen. Eine Analyse der FTD zeigt, wie günstig einige Substanzwerte sind.
Was mussten die geschundenen Aktienmärkte, vor allem der Tech-lastige Neue Markt, in den vergangenen zwei Jahren nicht alles an abfälligen Bemerkungen über sich ergehen lassen: "total überteuert", "äußerst riskant", "geplatzte Blase", "Bärenmarkt" - um nur einige zu nennen. Mittlerweile sind die Kurse aber so eklatant eingebrochen, dass sich seit kurzem die Stimmen häufen, die Begriffe wie "spottbillig" ("it’s a bargain") in den Mund nehmen.
Darunter große Namen wie Deutsche Bank und Salomon Smith Barney. Am Montag redete die bekannteste Analystin von Goldman Sachs, Abby Cohen, den Spottpreisen das Wort. Nicht zuletzt deswegen schossen die Aktienmärkte am Montag in die Höhe. Und am Dienstag zeigten sich die Kurse resistent gegen den stärksten Einbruch des US-Konsumentenvertrauens seit 1990.
Das Strategie-Team von Lehman Brothers hat eine Rangliste der elf Phasen in diesem Jahrhundert erstellt, in denen sich Aktien im Vergleich zu Anleihen am schlechtesten entwickelt haben. Danach ist die Phase von 1999 bis heute der drittschlechteste Zeitraum mit einem Minus von 45,5 Prozent. Nur in den Perioden des großen Aktien-Crashs (1929 bis 1932) und der Depression (1937 bis 1942) war die relative Performance von Aktien mit minus 54 beziehungsweise minus 85,5 Prozent noch schlechter.
Dax um 47 Prozent unterbewertet
Die drastische Unterbewertung gilt vor allem für deutsche Aktien. So signalisiert das fundamentale Bewertungsmodell der Kapitalmarktexperten von Consors für den Dax eine Unterbewertung von "sage und schreibe 47 Prozent" - ein Wert, der seit Modellmessung ab 1980 nicht erreicht wurde. Damit steht der Dax schlechter da als anderen internationalen Indizes. Noch dramatischer sieht es für den Nemax 50 aus, der so tief gefallen ist, dass die technischen Unterstützungslinien fehlen, und der sich klar im überverkauften Bereich bewegt.
Der Performance-Vergleich: Während der Nemax 50 von seinem Hoch im März 2000 92 Prozent einbüßte, verlor der Dax rund 50, der Nasdaq 100 gut 74 und der S&P 500 zirka 37 Prozent. Auch seit den Terror-Attacken am 11. September büßte der Nemax 50 mit rund 18 Prozent mehr ein als die anderen Auswahlindizes. "Der Neue Markt ist gnadenlso in den Keller geprügelt worden", resümiert ein Analyst von einem großen Bankhaus.
Logistiker billiger als die Post
So sind einige der Nemax-50-Titel gemessen an der Price-Earnings-Growth-Ratio, also dem Verhältnis von Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) zu Gewinn-Wachstum, stark unterbewertet (siehe Tabelle). D. Logistics ist mit einem 2001er-KGV von 7,5 sogar niedriger notiert als die Deutsche Post, deren 2001er-KGV 10,4 beträgt. "Dabei sind die Wachstumsraten beim Anbieter von Logistikdienstleistungen D. Logistics wesentlich größer als beim gelben Riesen", so Mattias Heck von Sal. Oppenheim. Das sich in den nächsten Monaten wohl eintrübende Geschäft mit Fluggesellschaften könnte D. Logistics zwar zusetzen. Doch kürzte Heck seine Gewinnprognose für 2002 nur leicht von 50 auf 47 Cent. "Selbst wenn der Umsatz mit den Airlines 2001 um 50 Prozent und 2002 um 30 Prozent abnehmen sollte, kommen wir immer noch auf einen fairen Wert von 21 Euro." Kurs am Mittwoch: 4,80 Euro.
Hier zur Tabelle:
www.ftd.de/bm/ga/FTD4WEV04SC.html
Beim Spezialisten für Transportlogistik, Thiel Logistik, fällt das aktuelle KGV von knapp 17 ebenfalls sehr moderat aus. "Eine Abschwächung der Konjunktur ist für Dienstleister wie Thiel und D. Logistics positiv", gibt Krista Keppler von Merck Finck zu bedenken. "Während andere Firmen verstärkt auf die Kosten achten müssen, profitieren Outsourcing-Dienstleister, indem sie helfen, Strukturen zu verschlanken." Keppler hat ihre Erwartungen an den Thiel-Umsatz für 2001 von 830 auf 900 Mio. Euro erhöht. Matthias Heck lobt an Thiel, dass die meisten Verträge projekt- und nicht volumenabhängig gestaltet sind. So trifft Thiel eine Konjunkturabschwächung der Transportvolumina kaum.
Teleplan auf Kaufniveau
Ein weiterer zu unrecht abgestrafter Wert ist für Christoph Rehbach von HSBC Trinkaus der Reparatur- und Logistik-Dienstleister Teleplan. Auch die Niederländer profitieren vom Trend zum Kosten sparenden Outsourcing. Für Rehbach und andere Analysten befindet sich Teleplan mit einem geschätzten KGV von 15 für 2001 und neun für 2002 eindeutig auf Kaufniveau.
Der Computerhändler Medion will die Wachstumsprognosen nach 1999 und 2000 auch in diesem Jahr erfüllen. In den 13 von Medion belieferten europäischen Ländern wurde im ersten Halbjahr ein Umsatz von 162,1 Mio. Euro erzielt, rund 50 Mio. Euro mehr als im Vorjahr. In den USA hat inzwischen eine Tochterfirma ihre Arbeit aufgenommen. Maja Brauer von Hornblower Fischer: "Angesichts der herausragenden Positionierung von Medion und der guten Geschäftsentwicklung erscheint ein KGV von rund 23 für 2002 nicht zu teuer."
M. M. Warburg favorisiert Aixtron
Achim Fehrenbacher von M. M. Warburg favorisiert Aixtron. Der Hersteller spezieller Chips hat einen weltweiten Marktanteil von mehr als 50 Prozent und akquirierte kürzlich von der amerikanischen Genoa und der taiwanesischen Inforcomm zwei Großaufträge. "Zugegeben, das 2002er-KGV von 30 erscheint recht hoch, aber das Unternehmen ist international nun einmal hervorragend positioniert, und das längerfristige Wachstum ist kaum gefährdet."
Trotz oder gerade wegen des für Aktienmärkte desolaten Umfelds gibt es also noch Analysten, die mit Kaufempfehlungen auf Perlen hinzuweisen versuchen. Doch der Anleger muss schon sehr genau hinschauen, will er sich im Aktienmarkt engagieren. Viele Titel des Neuen Marktes haben zwar einen tendenziell höheren Nachholbedarf als Dax- und Dow-Werte, doch das Risiko ist nach wie vor höher. Bedingt durch die geringeren Handelsumsätze können schon kleinere Order zu heftigen Kursschwankungen führen.
Bei einigen Firmen ist die Wachstumsstory allerdings intakt. "Wenn es zu einer nachhaltigen Erholung an den globalen Märkten kommt, wird auch der eine oder andere Wert am Neuen Markt davon profitieren", ist Götz Albert, Leiter des Research-Teams bei Independent Research, überzeugt. "In diesem Fall wird der Neue Markt dahingehend eine Neubewertung erfahren, dass die guten Aktien in Konkurrenz treten werden zu Small- und Mid-Caps im SDax und MDax." Die Papiere mit Substanz, die Gewinne machen, wachsen und nicht enttäuscht haben, sollte man daher im Blickfeld behalten.
© 2001 Financial Times Deutschland
Geldanlage: Neuer Markt zu hart abgestraft
Von Torsten Engelbrecht, Florian Schröder
Immer mehr Experten halten Aktien für klar unterbewertet - Titel am Neuen Markt nicht ausgenommen. Eine Analyse der FTD zeigt, wie günstig einige Substanzwerte sind.
Was mussten die geschundenen Aktienmärkte, vor allem der Tech-lastige Neue Markt, in den vergangenen zwei Jahren nicht alles an abfälligen Bemerkungen über sich ergehen lassen: "total überteuert", "äußerst riskant", "geplatzte Blase", "Bärenmarkt" - um nur einige zu nennen. Mittlerweile sind die Kurse aber so eklatant eingebrochen, dass sich seit kurzem die Stimmen häufen, die Begriffe wie "spottbillig" ("it’s a bargain") in den Mund nehmen.
Darunter große Namen wie Deutsche Bank und Salomon Smith Barney. Am Montag redete die bekannteste Analystin von Goldman Sachs, Abby Cohen, den Spottpreisen das Wort. Nicht zuletzt deswegen schossen die Aktienmärkte am Montag in die Höhe. Und am Dienstag zeigten sich die Kurse resistent gegen den stärksten Einbruch des US-Konsumentenvertrauens seit 1990.
Das Strategie-Team von Lehman Brothers hat eine Rangliste der elf Phasen in diesem Jahrhundert erstellt, in denen sich Aktien im Vergleich zu Anleihen am schlechtesten entwickelt haben. Danach ist die Phase von 1999 bis heute der drittschlechteste Zeitraum mit einem Minus von 45,5 Prozent. Nur in den Perioden des großen Aktien-Crashs (1929 bis 1932) und der Depression (1937 bis 1942) war die relative Performance von Aktien mit minus 54 beziehungsweise minus 85,5 Prozent noch schlechter.
Dax um 47 Prozent unterbewertet
Die drastische Unterbewertung gilt vor allem für deutsche Aktien. So signalisiert das fundamentale Bewertungsmodell der Kapitalmarktexperten von Consors für den Dax eine Unterbewertung von "sage und schreibe 47 Prozent" - ein Wert, der seit Modellmessung ab 1980 nicht erreicht wurde. Damit steht der Dax schlechter da als anderen internationalen Indizes. Noch dramatischer sieht es für den Nemax 50 aus, der so tief gefallen ist, dass die technischen Unterstützungslinien fehlen, und der sich klar im überverkauften Bereich bewegt.
Der Performance-Vergleich: Während der Nemax 50 von seinem Hoch im März 2000 92 Prozent einbüßte, verlor der Dax rund 50, der Nasdaq 100 gut 74 und der S&P 500 zirka 37 Prozent. Auch seit den Terror-Attacken am 11. September büßte der Nemax 50 mit rund 18 Prozent mehr ein als die anderen Auswahlindizes. "Der Neue Markt ist gnadenlso in den Keller geprügelt worden", resümiert ein Analyst von einem großen Bankhaus.
Logistiker billiger als die Post
So sind einige der Nemax-50-Titel gemessen an der Price-Earnings-Growth-Ratio, also dem Verhältnis von Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) zu Gewinn-Wachstum, stark unterbewertet (siehe Tabelle). D. Logistics ist mit einem 2001er-KGV von 7,5 sogar niedriger notiert als die Deutsche Post, deren 2001er-KGV 10,4 beträgt. "Dabei sind die Wachstumsraten beim Anbieter von Logistikdienstleistungen D. Logistics wesentlich größer als beim gelben Riesen", so Mattias Heck von Sal. Oppenheim. Das sich in den nächsten Monaten wohl eintrübende Geschäft mit Fluggesellschaften könnte D. Logistics zwar zusetzen. Doch kürzte Heck seine Gewinnprognose für 2002 nur leicht von 50 auf 47 Cent. "Selbst wenn der Umsatz mit den Airlines 2001 um 50 Prozent und 2002 um 30 Prozent abnehmen sollte, kommen wir immer noch auf einen fairen Wert von 21 Euro." Kurs am Mittwoch: 4,80 Euro.
Hier zur Tabelle:
www.ftd.de/bm/ga/FTD4WEV04SC.html
Beim Spezialisten für Transportlogistik, Thiel Logistik, fällt das aktuelle KGV von knapp 17 ebenfalls sehr moderat aus. "Eine Abschwächung der Konjunktur ist für Dienstleister wie Thiel und D. Logistics positiv", gibt Krista Keppler von Merck Finck zu bedenken. "Während andere Firmen verstärkt auf die Kosten achten müssen, profitieren Outsourcing-Dienstleister, indem sie helfen, Strukturen zu verschlanken." Keppler hat ihre Erwartungen an den Thiel-Umsatz für 2001 von 830 auf 900 Mio. Euro erhöht. Matthias Heck lobt an Thiel, dass die meisten Verträge projekt- und nicht volumenabhängig gestaltet sind. So trifft Thiel eine Konjunkturabschwächung der Transportvolumina kaum.
Teleplan auf Kaufniveau
Ein weiterer zu unrecht abgestrafter Wert ist für Christoph Rehbach von HSBC Trinkaus der Reparatur- und Logistik-Dienstleister Teleplan. Auch die Niederländer profitieren vom Trend zum Kosten sparenden Outsourcing. Für Rehbach und andere Analysten befindet sich Teleplan mit einem geschätzten KGV von 15 für 2001 und neun für 2002 eindeutig auf Kaufniveau.
Der Computerhändler Medion will die Wachstumsprognosen nach 1999 und 2000 auch in diesem Jahr erfüllen. In den 13 von Medion belieferten europäischen Ländern wurde im ersten Halbjahr ein Umsatz von 162,1 Mio. Euro erzielt, rund 50 Mio. Euro mehr als im Vorjahr. In den USA hat inzwischen eine Tochterfirma ihre Arbeit aufgenommen. Maja Brauer von Hornblower Fischer: "Angesichts der herausragenden Positionierung von Medion und der guten Geschäftsentwicklung erscheint ein KGV von rund 23 für 2002 nicht zu teuer."
M. M. Warburg favorisiert Aixtron
Achim Fehrenbacher von M. M. Warburg favorisiert Aixtron. Der Hersteller spezieller Chips hat einen weltweiten Marktanteil von mehr als 50 Prozent und akquirierte kürzlich von der amerikanischen Genoa und der taiwanesischen Inforcomm zwei Großaufträge. "Zugegeben, das 2002er-KGV von 30 erscheint recht hoch, aber das Unternehmen ist international nun einmal hervorragend positioniert, und das längerfristige Wachstum ist kaum gefährdet."
Trotz oder gerade wegen des für Aktienmärkte desolaten Umfelds gibt es also noch Analysten, die mit Kaufempfehlungen auf Perlen hinzuweisen versuchen. Doch der Anleger muss schon sehr genau hinschauen, will er sich im Aktienmarkt engagieren. Viele Titel des Neuen Marktes haben zwar einen tendenziell höheren Nachholbedarf als Dax- und Dow-Werte, doch das Risiko ist nach wie vor höher. Bedingt durch die geringeren Handelsumsätze können schon kleinere Order zu heftigen Kursschwankungen führen.
Bei einigen Firmen ist die Wachstumsstory allerdings intakt. "Wenn es zu einer nachhaltigen Erholung an den globalen Märkten kommt, wird auch der eine oder andere Wert am Neuen Markt davon profitieren", ist Götz Albert, Leiter des Research-Teams bei Independent Research, überzeugt. "In diesem Fall wird der Neue Markt dahingehend eine Neubewertung erfahren, dass die guten Aktien in Konkurrenz treten werden zu Small- und Mid-Caps im SDax und MDax." Die Papiere mit Substanz, die Gewinne machen, wachsen und nicht enttäuscht haben, sollte man daher im Blickfeld behalten.
© 2001 Financial Times Deutschland