Aus der FTD vom 15.1.2002
Gastbeitrag: Folgekosten des Kombilohns
Von Horst Siebert
Was macht eine Volkswirtschaft, die ihren Wohlfahrtsstaat in den letzten dreißig Jahren kräftig ausgebaut hat, und in der die Arbeitslosen, nach einer Auswertung des Sozioökonomischen Panels, von ihrem nächsten Arbeitsplatz beim Lohn das 1,2fache dessen erwarten, was sie an ihrem letzten Arbeitsplatz verdient haben?
In der also der Anspruchslohn, jedenfalls relativ zur Produktivität, hoch ist und in der sich die Arbeitslosigkeit schubweise nach oben geschoben hat? Wird diese Volkswirtschaft, wie andere Länder, den Anspruchslohn wieder etwas zurücknehmen, damit im Niedriglohnsegment Produktivität und Lohn in Einklang kommen? Etwa wie Großbritannien, das 1996 die Arbeitslosenunterstützung von zwölf auf sechs Monate verringert hat, während sie in Deutschland in den 80er Jahren - altersmäßig abgestuft - von 12 auf bis zu 32 Monate ausgedehnt wurde. Wobei hier zu Lande zugleich die in vielen anderen Staaten nicht existierende zweite Form der Arbeitslosenunterstützung - die Arbeitslosenhilfe - unbefristet ist.
Nein, in Deutschland halten wir den Anspruchslohn konstant und wollen nun eine staatliche Subvention zahlen, um im Niedriglohnsegment die Kluft zwischen der zu niedrigen Produktivität und dem Lohnanspruch zu überbrücken. Sicherlich lässt sich argumentieren, dass eine Bruchstelle wie bei der übrigens ja erst vor drei Jahren eingeführten 630- DM-Regelung (325 Euro), bei der über der Grenze für die Arbeitnehmer die Beiträge zur Sozialversicherung fällig werden, unangebracht ist. Hier ist ein Übergang zu definieren.
Diese Reparatur nicht mit der Anpassung des Anspruchslohns zu verknüpfen, etwa mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, heißt, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Es wird später nahezu unmöglich sein, den Anspruchslohn zu korrigieren.
Probleme des Kombilohns
Und damit beginnen die Probleme, auf die ein breit angelegtes Programm von Kombilöhnen stoßen wird, das nicht auf Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger begrenzt ist. Der Ansatz unterliegt der politischen Mechanik, und wie bei jeder Subvention wird es auch bei dieser im politischen Prozess, etwa bei der nächsten Bundestagswahl in 2006, eine inhärente Tendenz geben, ausgedehnt zu werden.
Das Programm läuft in unserem System ohnehin beschäftigungspolitisch ins Leere, wenn die Tarifparteien die Löhne im unteren Bereich überproportional anheben. Dann wird die Kluft zwischen Lohn und Produktivität größer, und der Staat muss mehr zulegen. Die Tarifpartner können ihr Fehlverhalten auf einen Dritten, den Steuerzahler, abwälzen. Der Staat übernimmt zusätzliche Verantwortlichkeit für das Niedriglohnsegment, obwohl andere die Tarife setzen.
Die finanziellen Mittel für die Subventionen müssen irgendwo herkommen. Kontraproduktiv ist es, wenn die Politik sich die entgehenden Beiträge für die Finanzierung der Sozialversicherung dadurch holt, dass sie jetzt bei den oberen Segment kräftiger zupackt, etwa die Versicherungsgrenze nach oben schiebt oder die Lohnsteuern erhöht.
Dann wird im hohen Produktivitätssegment Arbeit weniger belohnt, und es entsteht ein verfehlter Anreiz auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Auch wird der Ansporn, etwas für den Ausbau und die Pflege des eigenen Humankapitals zu tun, verringert. Dies bedeutet aber einen geringeren Produktivitätsfortschritt für die Volkswirtschaft insgesamt und einen niedrigeren Wachstumspfad.
Mitnahmeeffekte bei breit angelegten Programmen
Schließlich ist nach den Erfahrungen mit den Modellversuchen, nach empirischen Schätzungen und nach den praktischen Erkenntnissen im Ausland, damit zu rechnen, dass bei eng auf Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose zugeschnittenen Maßnahmen die Beschäftigungseffekte gering sein werden. Breit angelegte Programme, die einen möglichen Stigmatisierungseffekt vermeiden, weisen dagegen beachtliche Mitnahmeeffekte auf, sodass nur ein kleiner Teil derjenigen, die man ursprünglich erreichen will, von dem Programm erfasst wird.
Offen ist zudem, wie viele in das Programm hineindrängen werden; dies hat Rückwirkungen auf die Belastungen der öffentlichen Budgets. Im übrigen kann man nicht oft genug darauf hinweisen, dass bei dem in den USA praktizierten Earned Income Tax Credit und bei dem im Vereinigten Königreich angewendeten Working Families Tax Credit das vom Staat bei Nicht-Arbeit bereitgestellte Einkommen - also der Anspruchslohn - niedrig ist. Ferner sind dort die Arbeitsmärkte flexibler.
Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit greift die Politik nach dem Kombilohn als Strohhalm zur Lösung der Probleme. Die notwendige Reform des Arbeitsmarktes findet dadurch nicht statt. Vor allem bleibt die Frage, wie man durch die gesetzliche Auflockerung des Tarifvertrags die Flexibilität des Arbeitsmarkts erhöht und damit für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgt, ohne Antwort.
Horst Siebert ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und Mitglied im Sachverständigenrat zu Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
© 2002 Financial Times Deutschland
Gastbeitrag: Folgekosten des Kombilohns
Von Horst Siebert
Was macht eine Volkswirtschaft, die ihren Wohlfahrtsstaat in den letzten dreißig Jahren kräftig ausgebaut hat, und in der die Arbeitslosen, nach einer Auswertung des Sozioökonomischen Panels, von ihrem nächsten Arbeitsplatz beim Lohn das 1,2fache dessen erwarten, was sie an ihrem letzten Arbeitsplatz verdient haben?
In der also der Anspruchslohn, jedenfalls relativ zur Produktivität, hoch ist und in der sich die Arbeitslosigkeit schubweise nach oben geschoben hat? Wird diese Volkswirtschaft, wie andere Länder, den Anspruchslohn wieder etwas zurücknehmen, damit im Niedriglohnsegment Produktivität und Lohn in Einklang kommen? Etwa wie Großbritannien, das 1996 die Arbeitslosenunterstützung von zwölf auf sechs Monate verringert hat, während sie in Deutschland in den 80er Jahren - altersmäßig abgestuft - von 12 auf bis zu 32 Monate ausgedehnt wurde. Wobei hier zu Lande zugleich die in vielen anderen Staaten nicht existierende zweite Form der Arbeitslosenunterstützung - die Arbeitslosenhilfe - unbefristet ist.
Nein, in Deutschland halten wir den Anspruchslohn konstant und wollen nun eine staatliche Subvention zahlen, um im Niedriglohnsegment die Kluft zwischen der zu niedrigen Produktivität und dem Lohnanspruch zu überbrücken. Sicherlich lässt sich argumentieren, dass eine Bruchstelle wie bei der übrigens ja erst vor drei Jahren eingeführten 630- DM-Regelung (325 Euro), bei der über der Grenze für die Arbeitnehmer die Beiträge zur Sozialversicherung fällig werden, unangebracht ist. Hier ist ein Übergang zu definieren.
Diese Reparatur nicht mit der Anpassung des Anspruchslohns zu verknüpfen, etwa mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, heißt, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Es wird später nahezu unmöglich sein, den Anspruchslohn zu korrigieren.
Probleme des Kombilohns
Und damit beginnen die Probleme, auf die ein breit angelegtes Programm von Kombilöhnen stoßen wird, das nicht auf Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger begrenzt ist. Der Ansatz unterliegt der politischen Mechanik, und wie bei jeder Subvention wird es auch bei dieser im politischen Prozess, etwa bei der nächsten Bundestagswahl in 2006, eine inhärente Tendenz geben, ausgedehnt zu werden.
Das Programm läuft in unserem System ohnehin beschäftigungspolitisch ins Leere, wenn die Tarifparteien die Löhne im unteren Bereich überproportional anheben. Dann wird die Kluft zwischen Lohn und Produktivität größer, und der Staat muss mehr zulegen. Die Tarifpartner können ihr Fehlverhalten auf einen Dritten, den Steuerzahler, abwälzen. Der Staat übernimmt zusätzliche Verantwortlichkeit für das Niedriglohnsegment, obwohl andere die Tarife setzen.
Die finanziellen Mittel für die Subventionen müssen irgendwo herkommen. Kontraproduktiv ist es, wenn die Politik sich die entgehenden Beiträge für die Finanzierung der Sozialversicherung dadurch holt, dass sie jetzt bei den oberen Segment kräftiger zupackt, etwa die Versicherungsgrenze nach oben schiebt oder die Lohnsteuern erhöht.
Dann wird im hohen Produktivitätssegment Arbeit weniger belohnt, und es entsteht ein verfehlter Anreiz auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Auch wird der Ansporn, etwas für den Ausbau und die Pflege des eigenen Humankapitals zu tun, verringert. Dies bedeutet aber einen geringeren Produktivitätsfortschritt für die Volkswirtschaft insgesamt und einen niedrigeren Wachstumspfad.
Mitnahmeeffekte bei breit angelegten Programmen
Schließlich ist nach den Erfahrungen mit den Modellversuchen, nach empirischen Schätzungen und nach den praktischen Erkenntnissen im Ausland, damit zu rechnen, dass bei eng auf Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose zugeschnittenen Maßnahmen die Beschäftigungseffekte gering sein werden. Breit angelegte Programme, die einen möglichen Stigmatisierungseffekt vermeiden, weisen dagegen beachtliche Mitnahmeeffekte auf, sodass nur ein kleiner Teil derjenigen, die man ursprünglich erreichen will, von dem Programm erfasst wird.
Offen ist zudem, wie viele in das Programm hineindrängen werden; dies hat Rückwirkungen auf die Belastungen der öffentlichen Budgets. Im übrigen kann man nicht oft genug darauf hinweisen, dass bei dem in den USA praktizierten Earned Income Tax Credit und bei dem im Vereinigten Königreich angewendeten Working Families Tax Credit das vom Staat bei Nicht-Arbeit bereitgestellte Einkommen - also der Anspruchslohn - niedrig ist. Ferner sind dort die Arbeitsmärkte flexibler.
Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit greift die Politik nach dem Kombilohn als Strohhalm zur Lösung der Probleme. Die notwendige Reform des Arbeitsmarktes findet dadurch nicht statt. Vor allem bleibt die Frage, wie man durch die gesetzliche Auflockerung des Tarifvertrags die Flexibilität des Arbeitsmarkts erhöht und damit für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgt, ohne Antwort.
Horst Siebert ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und Mitglied im Sachverständigenrat zu Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
© 2002 Financial Times Deutschland