www.faz.net
Flucht in die Immobilie
VON JENS FRIEDEMANN
Hohe Liquidität und gute Konjunktur treiben die Anlage in Immobilien.
Wer sich vor zwei, drei Jahren in ein Kloster zurückgezogen hat und heute zurückkehrt, glaubt sich in eine andere Zeit versetzt; er scheint eine internationale Flucht in die Sachwerte zu erleben. Wo noch vor kurzem Immobilien für 20 bis 30 Milliarden Dollar den Besitzer wechselten, werden heute 600 Milliarden Dollar gezählt. Einschließlich der Beteiligungen an internationalen Grundstücksgesellschaften könnten es im vergangenen Jahr sogar 800 Milliarden Dollar gewesen sein. Und nichts deutet auf eine schnelles Ende der Euphorie hin, obwohl sich die Preise für gut vermietete Objekte von New York über London und Paris bis nach Warschau und Moskau in einem atemberaubenden Tempo erhöht haben.
Die Flucht in die Sachwerte ist nicht unbekannt - sie erinnert an vergangene Inflationsjahre; doch von Inflation ist heute wenig zu sehen. Für allgemeine Preissteigerungen sorgt fast ausschließlich der Staat über höhere Steuern und Abgaben. Hinzu kommen die gestiegenen Energiepreise. Diese Art von Inflation aber macht kein Gebäude wertvoller. Im Gegenteil, sie treibt die Nebenkosten und mindert die Wettbewerbsfähigkeit von Immobilien. So halten die Wohnungsmieten in Deutschland seit Jahren nicht mehr Schritt mit der Inflation. Selbst inflationsgesicherte Mietverträge nützen wenig, wenn die Mieter auf Leerstand in der Nachbarschaft hinweisen und modernere Räume zu günstigeren Konditionen angeboten bekommen.
Die Flucht hat andere Gründe: Es ist die gewaltige Liquiditätsflut als Folge des Zusammenbruchs der New Economy und des Debakels an den Börsen nach dem Jahr 2000. Damals senkten die Notenbanken unter Federführung der Amerikaner die Zinsen auf das niedrigste Niveau seit der Weltwirtschaftskrise von 1929, um einen Kollaps der Weltwirtschaft zu verhindern. Diese Liquiditätsflut musste zwangsläufig die Immobilienmärkte erreichen, die in der vorangegangenen Börsenhausse vernachlässigt waren und entsprechend preisgünstig erschienen. In zahlreichen Ländern warfen Immobilien noch vor wenigen Jahren zweistellige Renditen ab, während Fremdkapital für drei bis vier Prozent zu haben war - eine fast atemberaubende Konstellation für Kapitalanleger, zumal die meisten Banken "non recause" finanzieren. Bei dieser regresslosen Finanzierung haftet nicht der Kreditnehmer, sondern nur die Immobilie als Sachwert mit ihren künftigen Einnahmen.
Mittlerweile ist der Markt für gutvermietete Objekte wie leergefegt, so dass die Anleger - darunter Hunderte von Beteiligungsgesellschaften aus dem Ausland - sogar in hochriskante Projektentwicklungen ohne Vorvermietungen investieren, in Objekte mit Leerstand und in Städten und Regionen, deren Namen sie zuvor nicht einmal kannten. Für ein attraktiv erscheinendes Paket mit Immobilien stehen auch im zweiten Jahr des ungestümen Aufschwungs unverändert viele Bieter bereit - oft Namen, die kaum jemand kennt. Was sie reizt, ist klar erkennbar: Im vergangenen Jahr konnten mit Einkaufszentren in Frankreich knapp 30 Prozent verdient werden, mit vermieteten Bürogebäuden in London 21 Prozent, mit Wohnimmobilien in Dänemark knapp 40 Prozent - alles in einem einzigen Jahr. Bei einem Einsatz von 5 oder 10 oder 20 Prozent Eigenkapital wird deutlich, was augenblicklich auf den Immobilienmärkten vor sich geht.
Zu dem unerwarteten Wandel auf den Märkten hat der Konjunkturaufschwung beigetragen. Die Unternehmen haben in der jüngsten Krise den Gürtel enger geschnallt, sich reorganisiert und Ballast - vor allem in Form von Arbeitsplätzen - abgeworfen, so dass sie heute ungewöhnlich kräftig erscheinen und wieder Personal einzustellen beginnen, wie die Nachfrage nach Gewerbeflächen zeigt.
Als Motor für die Immobilienmärkte wirkt auch ein grundlegender Wandel in den Alterssicherungseinrichtungen. Angesichts der demographischen Entwicklung mit immer längeren Lebenszeiten ist die öffentliche Hand in keinem Land mehr in der Lage, ihre umlagefinanzierten Finanzsysteme aufrechtzuerhalten: Sie müssen verstärkt zu kapitalgedeckten Pensionssicherungssystemen übergehen und Ausschau nach ertragsstarken und inflationssicheren Anlagen halten. So stehen Pensionsfonds für Lehrer, Müllmänner, Fluglotsen und andere öffentlich Bedienstete hinter den international tätigen Beteiligungsgesellschaften - den Heuschrecken: Es sind überwiegend öffentliche Adressen. Hinzu kommt Kapital aus den öl- und gasreichen Ländern - vor allem aus Russland - und aus den aufstrebenden Ländern mit unsicheren Währungen wie Indien und China, das auf die Immobilienmärkte drängt.
Selbst Immobiliengesellschaften gelten als Anlagefavoriten, obwohl es so viele dieser Gesellschaften nicht gibt. Das hat ihre Kurse auf abenteuerliche Höhen getrieben. Immobilienaktien haben in den vergangenen Jahren alle bekannten Börsenindizes wie den Deutschen Aktienindex, den Dow Jones und den Standard & Poor's geschlagen. Mittlerweile sind erste Dachfonds entstanden, die in die Anteile nationaler Immobiliengesellschaften investieren und ihren Kunden einen reibungslosen Ein- und Ausstieg versprechen.
Das alles hat zu Sorgen vor einem schnellen Ende des Höhenfluges geführt. Doch von einer Gefährdung ist aus deutscher Sicht nichts zu spüren - weil die Mieten und Preise für Bürogebäude, Einkaufszentren und Wohnanlagen in Deutschland erst jetzt aus ihrem Koma erwachen und immer noch weit unter ihren Höchstständen von einst liegen. Dieser Nachholbedarf gegenüber dem Ausland hat Deutschland zu einem Favoriten international orientierter Immobilieninvestoren gemacht. Aber die Furcht bleibt, das schon morgen alles vorüber sein könnte.
Flucht in die Immobilie
VON JENS FRIEDEMANN
Hohe Liquidität und gute Konjunktur treiben die Anlage in Immobilien.
Wer sich vor zwei, drei Jahren in ein Kloster zurückgezogen hat und heute zurückkehrt, glaubt sich in eine andere Zeit versetzt; er scheint eine internationale Flucht in die Sachwerte zu erleben. Wo noch vor kurzem Immobilien für 20 bis 30 Milliarden Dollar den Besitzer wechselten, werden heute 600 Milliarden Dollar gezählt. Einschließlich der Beteiligungen an internationalen Grundstücksgesellschaften könnten es im vergangenen Jahr sogar 800 Milliarden Dollar gewesen sein. Und nichts deutet auf eine schnelles Ende der Euphorie hin, obwohl sich die Preise für gut vermietete Objekte von New York über London und Paris bis nach Warschau und Moskau in einem atemberaubenden Tempo erhöht haben.
Die Flucht in die Sachwerte ist nicht unbekannt - sie erinnert an vergangene Inflationsjahre; doch von Inflation ist heute wenig zu sehen. Für allgemeine Preissteigerungen sorgt fast ausschließlich der Staat über höhere Steuern und Abgaben. Hinzu kommen die gestiegenen Energiepreise. Diese Art von Inflation aber macht kein Gebäude wertvoller. Im Gegenteil, sie treibt die Nebenkosten und mindert die Wettbewerbsfähigkeit von Immobilien. So halten die Wohnungsmieten in Deutschland seit Jahren nicht mehr Schritt mit der Inflation. Selbst inflationsgesicherte Mietverträge nützen wenig, wenn die Mieter auf Leerstand in der Nachbarschaft hinweisen und modernere Räume zu günstigeren Konditionen angeboten bekommen.
Die Flucht hat andere Gründe: Es ist die gewaltige Liquiditätsflut als Folge des Zusammenbruchs der New Economy und des Debakels an den Börsen nach dem Jahr 2000. Damals senkten die Notenbanken unter Federführung der Amerikaner die Zinsen auf das niedrigste Niveau seit der Weltwirtschaftskrise von 1929, um einen Kollaps der Weltwirtschaft zu verhindern. Diese Liquiditätsflut musste zwangsläufig die Immobilienmärkte erreichen, die in der vorangegangenen Börsenhausse vernachlässigt waren und entsprechend preisgünstig erschienen. In zahlreichen Ländern warfen Immobilien noch vor wenigen Jahren zweistellige Renditen ab, während Fremdkapital für drei bis vier Prozent zu haben war - eine fast atemberaubende Konstellation für Kapitalanleger, zumal die meisten Banken "non recause" finanzieren. Bei dieser regresslosen Finanzierung haftet nicht der Kreditnehmer, sondern nur die Immobilie als Sachwert mit ihren künftigen Einnahmen.
Mittlerweile ist der Markt für gutvermietete Objekte wie leergefegt, so dass die Anleger - darunter Hunderte von Beteiligungsgesellschaften aus dem Ausland - sogar in hochriskante Projektentwicklungen ohne Vorvermietungen investieren, in Objekte mit Leerstand und in Städten und Regionen, deren Namen sie zuvor nicht einmal kannten. Für ein attraktiv erscheinendes Paket mit Immobilien stehen auch im zweiten Jahr des ungestümen Aufschwungs unverändert viele Bieter bereit - oft Namen, die kaum jemand kennt. Was sie reizt, ist klar erkennbar: Im vergangenen Jahr konnten mit Einkaufszentren in Frankreich knapp 30 Prozent verdient werden, mit vermieteten Bürogebäuden in London 21 Prozent, mit Wohnimmobilien in Dänemark knapp 40 Prozent - alles in einem einzigen Jahr. Bei einem Einsatz von 5 oder 10 oder 20 Prozent Eigenkapital wird deutlich, was augenblicklich auf den Immobilienmärkten vor sich geht.
Zu dem unerwarteten Wandel auf den Märkten hat der Konjunkturaufschwung beigetragen. Die Unternehmen haben in der jüngsten Krise den Gürtel enger geschnallt, sich reorganisiert und Ballast - vor allem in Form von Arbeitsplätzen - abgeworfen, so dass sie heute ungewöhnlich kräftig erscheinen und wieder Personal einzustellen beginnen, wie die Nachfrage nach Gewerbeflächen zeigt.
Als Motor für die Immobilienmärkte wirkt auch ein grundlegender Wandel in den Alterssicherungseinrichtungen. Angesichts der demographischen Entwicklung mit immer längeren Lebenszeiten ist die öffentliche Hand in keinem Land mehr in der Lage, ihre umlagefinanzierten Finanzsysteme aufrechtzuerhalten: Sie müssen verstärkt zu kapitalgedeckten Pensionssicherungssystemen übergehen und Ausschau nach ertragsstarken und inflationssicheren Anlagen halten. So stehen Pensionsfonds für Lehrer, Müllmänner, Fluglotsen und andere öffentlich Bedienstete hinter den international tätigen Beteiligungsgesellschaften - den Heuschrecken: Es sind überwiegend öffentliche Adressen. Hinzu kommt Kapital aus den öl- und gasreichen Ländern - vor allem aus Russland - und aus den aufstrebenden Ländern mit unsicheren Währungen wie Indien und China, das auf die Immobilienmärkte drängt.
Selbst Immobiliengesellschaften gelten als Anlagefavoriten, obwohl es so viele dieser Gesellschaften nicht gibt. Das hat ihre Kurse auf abenteuerliche Höhen getrieben. Immobilienaktien haben in den vergangenen Jahren alle bekannten Börsenindizes wie den Deutschen Aktienindex, den Dow Jones und den Standard & Poor's geschlagen. Mittlerweile sind erste Dachfonds entstanden, die in die Anteile nationaler Immobiliengesellschaften investieren und ihren Kunden einen reibungslosen Ein- und Ausstieg versprechen.
Das alles hat zu Sorgen vor einem schnellen Ende des Höhenfluges geführt. Doch von einer Gefährdung ist aus deutscher Sicht nichts zu spüren - weil die Mieten und Preise für Bürogebäude, Einkaufszentren und Wohnanlagen in Deutschland erst jetzt aus ihrem Koma erwachen und immer noch weit unter ihren Höchstständen von einst liegen. Dieser Nachholbedarf gegenüber dem Ausland hat Deutschland zu einem Favoriten international orientierter Immobilieninvestoren gemacht. Aber die Furcht bleibt, das schon morgen alles vorüber sein könnte.