Finanzplatz Deutschland liegt auf der Couch
von Ralf Andreß
Nun ist es also endlich passiert. Die Indizes des Neuen Markt sind in trauter Einigkeit unter die angeblich so wichtige „psychologische Marke“ von 1000 Punkten gerutscht und auch der Dax schaut sich die 5000 wieder von unten an. Dabei hätte der große Börsengott den Zeitpunkt für diesen nächsten kräftigen Abwärtsschub gar nicht besser wählen können.
Schließlich hatte sich am Montag allerlei Prominenz aus Politik und Wirtschaft versammelt, um sich selbst und dem Neuen Markt Mut zu machen, bevor am Dienstag mit der Vorlage des Entwurfes für das vierte Finanzmarktförderungsgesetz die „neue Ära“ (Financial Times Deutschland) für den Finanzplatz Deutschland eingeläutet wurde. Der Geförderte gab seine ureigenste Antwort und tauchte erst einmal ab.
Die Schuldzuschieber sind unterwegs
Um mit einem aktuellen Bonmot zu sprechen: Das ist auch gut so. Das Eingeständnis des Vorstandssprechers der Deutschen Bank, Rolf Breuer, die Banken treffe eine Mitschuld am Desaster des Neuen Marktes, kommt um ungefähr zwölf Monate zu spät, denn es ist kaum vorstellbar, dass es noch irgendjemanden gibt, der das nicht mittlerweile selbst erkannt hätte. Fehlte nur noch die Erklärung des Deutschen Presserates, der Kund tut, dass auch die Medien ihr Scherflein dazu beigetragen haben.
Was bleibt ist die Aussicht auf eine bessere Zukunft, in der Verstöße der Marktteilnehmer härter sanktioniert werden können und Aktionäre besser geschützt werden sollen. Bleibt zu hoffen, dass es diese auch künftig in gleicher Zahl geben wird. Vorerst jedenfalls halten die Bären das deutsche Börsenruder fest in der Hand und die unlängst genannte erwartete Tiefstmarke von 3800-Dax-Punkten, die der technische Analyst Marcel Mußler genannt hatte, klingt mittlerweile weniger abenteuerlich als zum Zeitpunkt seiner Chartanalyse.
Kurzschluss bei Fernseh- und Technologiewerten
Das negative Highlight der abgelaufenen Woche setzte wohl das Medienunternehmen Pro Sieben SAT 1 Media, deren Aktie mit einem dramatischen Kurseinbruch auf die Meldung reagiert, dass die TV-Gesellschaft mit der Kirch Media GmbH & Co KGaA zusammengelegt werden soll. Analysten bewerteten diese Meldung überwiegend negativ, was wohl zum weit überwiegenden Teil auf Vorbehalte und Unsicherheiten bezüglich der Kirch-Gruppe zurückzuführen sein dürfte.
Auf der Verliererseite standen zudem die Software-Unternehmen SAP und Software AG, obgleich es in beiden Fällen, Analysten zufolge, keine fundamentalen Neuigkeiten gab. Aber auch die vermeintlichen Volksaktien Deutsche Telekom und Deutsche Post machten sich weiter gen Süden auf, wobei der T-Aktie nun nur noch wenige Ticks bis zum ursprünglichen Einstandskurs (rund € 14,30) fehlen. Aber auch dieser muss längst nicht das Ende des T-sasters bedeuten. Die Prognosen für das Kursziel gehen dieser Tage teilweise bis auf € 10 herunter.
Auch Tradition schützt nicht vor EInbrüchen
Wie ernst die Lage insgesamt ist, macht aber der Blick auf die Kurseinbrüche von Celanese und Stinnes deutlich. Beide gehören nicht zum traditionell extrem volatilen TMT-Bereich, stürzten aber ebenfalls binnen weniger Stunden dramatisch ein. Dabei bedurfte es bei Stinnes nicht einmal einer konkreten Neuigkeiten, um die Aktie am Montag um stattliche 8,7% in den Keller zu drücken. Etwas anders stellt sich die Lage bei dem Chemiekonzern Celanese aus, der die Börse Ende der Vorwoche mit einer Gewinnwarnung schockierte und um mehr als 20% abgestraft wurde. Zu viel - wie Analysten im Nachhinein befanden und so sammelten sich im Laufe der Woche eine Reihe positiver Kommentare, die wieder einen kauf des Titels nahe legten.
Am Neuen Markt haben derweil weiter die Konkursverwalter das Wort, die sich momentan insbesondere um Kabel New Media und Management Data, bald aber wohl auch um die Kinowelt kümmern. Als weiterer Kandidat könnte alsbald Gauss Interprise hinzukommen, die von der HypoVereinsbank aufgrund der angespannten Liquiditätslage erst einmal auf "Untergewichten" herabgestuft wurden.
Fusionen gewinnen an Attraktivität
Eines der wenigen positiven Signale liefern dieser Tage die mittlerweile täglich wechselnden Meldungen zu möglichen Übernahmen und Fusionen, die belegen, dass manche Aktien inzwischen so tief gefallen sind, dass ein Kauf der gesamten Gesellschaft wieder attraktiv erscheint. Das gilt für große Werte ebenso wie für die gebeutelten Titel an der Wachstumsbörse. Dort tummeln sich schon längst die stillen Aufkäufer, die bemerkt haben, dass bei nicht wenigen Unternehmen allein das Bargeld mehr wert ist, als die ganze Firma. Hier zu zählen etwa das Software-Haus Intraware oder der Werbefilm-Produzent Neue Sentimental Film.
Nach Bekunden des Vorstands hat Intraware bei einer Marktkapitalisierung von rund € 6 Mio. einen Kassenbestand von € 12 Mio. Bei dem profitablen Werbefilmer NSF entspricht die Marktkapitalisierung von rund 20 Mio. €, Unternehmensangaben zufolge, beinahe exakt dem Geldbestand. Fraglich ist allein, ob sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert. Denn für institutionelle Investoren sind die Werte klein und die Privaten - so hat es den Anschein - haben sich ohnehin vom Neuen Markt zurück gezogen.
Liebling der Woche
Als Liebling der Woche drängt sich eigentlich am ehesten ein Put-Optionsschein auf den Dax auf, den Vorzug soll aber der Vertreter einer oft gescholtenen Branche erhalten. Der Baukonzern Bilfinger & Berger behauptet sich in der Krise und konnte im ersten Halbjahr sowohl die Gesamtleistung als auch den Auftragseingang kräftig ausweiten, was von Analysten entsprechend honoriert wurde.
ABN Amro bekräftigte seine Kaufempfehlung, der zu folgen sich in der Vergangenheit durchaus ausgezahlt hätte. Im Zwölfs-Monats-Vergleich weist die Bau-Aktie gegenüber dem Dax eine Outperformance von imposanten 69% auf.