HANDELSBLATT, Dienstag, 31. Oktober 2006, 09:11 Uhr
Was Konzerne in ihren Geschäftsberichten verschweigen, was sie preisgeben
Finanzchefs täuschen Klasse durch Masse vor
Von Dieter Fockenbrock
Was gut sein soll, das muss auch Gewicht haben. Wohl deshalb messen einige Finanzvorstände deutscher Konzerne Transparenz in Kilogramm. Die Telekom etwa drückt ihren Aktionären einen telefonbuchdicken Geschäftsbericht in die Hand. Von den 210 Seiten ist knapp die Hälfte so genannter Konzernanhang, also Details zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung. Bayer schafft es auf 216 Seiten, der Anhang macht mehr als 60 Prozent des Umfangs aus.
DÜSSELDORF. Auch der kleinere Konzern EADS schafft es locker auf 161 Seiten Zahlen und Daten, zuzüglich 56 Seiten Allgemeines zum Unternehmen auf Hochglanzpapier – schön gebunden in zwei Bänden, verpackt im bunten Pappschuber. Rekordhalter dürfte der Stahlkocher Salzgitter mit seinem 234 Seiten dicken Geschäftsbericht sein. Da muss selbst der fast zehnmal größere Rivale Thyssen-Krupp mit 190 Seiten passen.
„Manche Unternehmen verwechseln Qualität mit Quantität“, kritisiert der Bilanzexperte Karlheinz Küting. Der Chef des Instituts für Wirtschaftsprüfung (IWP) an der Saarbrücker Universität analysiert seit vielen Jahren die Geschäftsberichte börsennotierter Konzerne.
Fazit: „Die Qualität der Berichterstattung ist zwar gestiegen“, sagt der Wirtschaftsprofessor. Aber auch der Umfang. Nur: Der Nutzen für Aktionäre steigt nicht im gleichen Umfang. „Ganz im Gegenteil“, urteilt Bilanzexperte Küting. „Vor allem die Umstellung auf die internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS hat zu einer nie gekannten Informationsflut geführt, die Anleger weder verstehen noch bewerten oder würdigen können.“ Kurzum: Viele Geschäftsberichte sind auf weiten Strecken selbst für Bilanzkundige nicht mehr lesbar.
Unverständlicher Zahlensalat und Wortakrobatik
So sehen das auch die Repräsentanten der Privatanleger. „Es gibt zwei Möglichkeiten, nicht zu informieren: Entweder man sagt zu wenig oder man sagt zu viel.“ Das Urteil stammt von Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. Und: „In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Unternehmen, die die zweite Methode der Desinformation anwenden, stark gestiegen“, sagt Hocker.
Seitenlange Ausführungen über Finanzinstrumente, latente Steuern oder betriebliche Altersvorsorge suggerieren dem Leser zwar hohen Informationswert. In Wahrheit verstehen selbst Profis kaum noch, was sich hinter dem Zahlensalat und der Wortakrobatik verbirgt. So lässt sich der Chemie- und Pharmakonzern Bayer allein 16 Seiten lang über seine Pensionsverpflichtungen aus, rechnet versicherungsmathematische Gewinne und Verluste vor, listet akribisch die Folgen „erwarteter Rentenentwicklungen“ auf – getrennt nach Inland und Ausland. „Für den Laien sind viele Darstellungen unverständlich und damit nutzlos geworden“, sagt Küting. Andere Konzerne beschäftigen ihre Leser über Seiten mit bilanztheoretischen Exkursen – oder sie begnügen sich, wie der Automatisierungsspezialist Elexis, mit der lapidaren Feststellung, man sei auf Rechnungslegung nach IFRS umgestiegen.
Der Baukonzern Hochtief ist dagegen ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht – 139 Seiten Geschäftsbericht, davon ein überschaubares Drittel für Erläuterungen zum Jahresabschluss. Und trotzdem steht der Essener Konzern im Firmencheck auf einem Spitzenplatz für Informationswert und Transparenz.
Zum zweiten Mal hat Kütings Team in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Mercer Management und dem Handelsblatt die gedruckten Geschäftsberichte von 130 Unternehmen analysiert. Dabei werden mehr als 250 Kriterien angelegt und bewertet. Punkte gibt es auch für freiwillige Angaben. So möchte Kütings Team gern wissen, was sich hinter „sonstigen Erträgen“ verbirgt. Mit solchen Buchungsposten werden Gewinne gern aufpoliert.
Ein Beispiel für die Bewertungssystematik im Firmencheck: Der TecDax-Wert Solon traf mit insgesamt 790 von maximal 1 000 möglichen Punkten exakt den Durchschnitt aller analysierten Geschäftsberichte. Der Solartechnikhersteller punktete beispielsweise wegen umfangreicher Angaben zum gesamtwirtschaftlichen Umfeld oder informativer Erläuterungen und Tabellen zu sonstigen betrieblichen Erträgen und Aufwendungen. Es fehlten jedoch die Aufschlüsselung einzelner Komponenten bei Herstellungskosten oder Details wie Cashflow und Mitarbeiter in einzelnen Geschäftssegmenten. Unterm Strich reichte es nur für einen Durchschnittsplatz. „Wer ganz nach oben im Ranking will“, sagt Küting, „muss mehr tun als nur Vorschriften zu erfüllen."
Viele Unternehmen konnten ihre Position im Vergleich zum Vorjahr behaupten. Einige haben sich klar verbessert, einige sind regelrecht abgestürzt. So war der Reifenkonzern Continental bisher an der Börse sehr erfolgreich, weniger aber in der Qualität seines Geschäftsberichts. In diesem Jahr kämpfte sich Conti um 36 Positionen auf Rang 17.
Heidelberger Druck stürzt im Ranking ab
Heidelberger Druck dagegen stürzte vom Spitzenplatz eins auf 59. Ursache: magere Angaben zur Aktie, wenig Informatives im Risikobericht, weniger Punkte für die Prognose zur Geschäftsentwicklung im Lagebericht. Mehr als 830 Punkte (statt vormals 950) kamen nicht zusammen.
Die Größe der Unternehmen oder der Börsenindex spielen bei der Informationsqualität der Geschäftsberichte keine Rolle. Zwar gibt es von Dax über MDax und SDax bis zu TecDax ein deutliches Gefälle. Doch holen gerade die lange verschmähten Technologiewerte auf. Im Schnitt verbesserten die TecDax-Unternehmen ihre Berichtsqualität um 45 Punkte.
Die Konzerne aus den anderen Indizes schafften durchschnittlich nur 20 bis 25 Punkte Plus im Vergleich zum Vorjahr. Dass kleine Unternehmen „ganz vorn“, einige der großen Konzerne dagegen „ganz hinten“ im Ranking rangieren, wundert Küting immer wieder. „Dabei nehmen doch gerade die führenden Dax-Konzerne den Kapitalmarkt in Anspruch.“
Wenig Erfreuliches lässt sich zudem über die Lageberichte sagen. Der Gesetzgeber hatte vor allem die Vorschriften für den Prognoseteil verschärft, um dem Anleger mehr zukunftsgerichtete Informationen zu geben und damit letztlich dessen Investment besser abzusichern. Neben Risiken für den weiteren Geschäftsverlauf müssen die Konzerne auch Chancen beschreiben. Doch die Analyse der Geschäftsberichte ist ernüchternd. „Fast überall findet man nur allgemeine und vage Formulierungen“, resümiert Küting. Siehe Siemens: Der Münchener Elektrokonzern belässt es bei mageren sechs Zeilen Ausblick. Dort versichert der Vorstand den Aktionären unter anderem, „unsere Ziele für das Geschäftsjahr 2007 fest im Blick“ zu haben. Und von der eingeleiteten strategischen Neuausrichtung erwartet das Management positive wie negative Auswirkungen.
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Alles im Leben braucht seine Zeit. Gras wächst auch nicht schneller,
wenn man daran zieht!
Gruß
KTM 950
Was Konzerne in ihren Geschäftsberichten verschweigen, was sie preisgeben
Finanzchefs täuschen Klasse durch Masse vor
Von Dieter Fockenbrock
Was gut sein soll, das muss auch Gewicht haben. Wohl deshalb messen einige Finanzvorstände deutscher Konzerne Transparenz in Kilogramm. Die Telekom etwa drückt ihren Aktionären einen telefonbuchdicken Geschäftsbericht in die Hand. Von den 210 Seiten ist knapp die Hälfte so genannter Konzernanhang, also Details zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung. Bayer schafft es auf 216 Seiten, der Anhang macht mehr als 60 Prozent des Umfangs aus.
DÜSSELDORF. Auch der kleinere Konzern EADS schafft es locker auf 161 Seiten Zahlen und Daten, zuzüglich 56 Seiten Allgemeines zum Unternehmen auf Hochglanzpapier – schön gebunden in zwei Bänden, verpackt im bunten Pappschuber. Rekordhalter dürfte der Stahlkocher Salzgitter mit seinem 234 Seiten dicken Geschäftsbericht sein. Da muss selbst der fast zehnmal größere Rivale Thyssen-Krupp mit 190 Seiten passen.
„Manche Unternehmen verwechseln Qualität mit Quantität“, kritisiert der Bilanzexperte Karlheinz Küting. Der Chef des Instituts für Wirtschaftsprüfung (IWP) an der Saarbrücker Universität analysiert seit vielen Jahren die Geschäftsberichte börsennotierter Konzerne.
Fazit: „Die Qualität der Berichterstattung ist zwar gestiegen“, sagt der Wirtschaftsprofessor. Aber auch der Umfang. Nur: Der Nutzen für Aktionäre steigt nicht im gleichen Umfang. „Ganz im Gegenteil“, urteilt Bilanzexperte Küting. „Vor allem die Umstellung auf die internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS hat zu einer nie gekannten Informationsflut geführt, die Anleger weder verstehen noch bewerten oder würdigen können.“ Kurzum: Viele Geschäftsberichte sind auf weiten Strecken selbst für Bilanzkundige nicht mehr lesbar.
Unverständlicher Zahlensalat und Wortakrobatik
So sehen das auch die Repräsentanten der Privatanleger. „Es gibt zwei Möglichkeiten, nicht zu informieren: Entweder man sagt zu wenig oder man sagt zu viel.“ Das Urteil stammt von Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. Und: „In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Unternehmen, die die zweite Methode der Desinformation anwenden, stark gestiegen“, sagt Hocker.
Seitenlange Ausführungen über Finanzinstrumente, latente Steuern oder betriebliche Altersvorsorge suggerieren dem Leser zwar hohen Informationswert. In Wahrheit verstehen selbst Profis kaum noch, was sich hinter dem Zahlensalat und der Wortakrobatik verbirgt. So lässt sich der Chemie- und Pharmakonzern Bayer allein 16 Seiten lang über seine Pensionsverpflichtungen aus, rechnet versicherungsmathematische Gewinne und Verluste vor, listet akribisch die Folgen „erwarteter Rentenentwicklungen“ auf – getrennt nach Inland und Ausland. „Für den Laien sind viele Darstellungen unverständlich und damit nutzlos geworden“, sagt Küting. Andere Konzerne beschäftigen ihre Leser über Seiten mit bilanztheoretischen Exkursen – oder sie begnügen sich, wie der Automatisierungsspezialist Elexis, mit der lapidaren Feststellung, man sei auf Rechnungslegung nach IFRS umgestiegen.
Der Baukonzern Hochtief ist dagegen ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht – 139 Seiten Geschäftsbericht, davon ein überschaubares Drittel für Erläuterungen zum Jahresabschluss. Und trotzdem steht der Essener Konzern im Firmencheck auf einem Spitzenplatz für Informationswert und Transparenz.
Zum zweiten Mal hat Kütings Team in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Mercer Management und dem Handelsblatt die gedruckten Geschäftsberichte von 130 Unternehmen analysiert. Dabei werden mehr als 250 Kriterien angelegt und bewertet. Punkte gibt es auch für freiwillige Angaben. So möchte Kütings Team gern wissen, was sich hinter „sonstigen Erträgen“ verbirgt. Mit solchen Buchungsposten werden Gewinne gern aufpoliert.
Ein Beispiel für die Bewertungssystematik im Firmencheck: Der TecDax-Wert Solon traf mit insgesamt 790 von maximal 1 000 möglichen Punkten exakt den Durchschnitt aller analysierten Geschäftsberichte. Der Solartechnikhersteller punktete beispielsweise wegen umfangreicher Angaben zum gesamtwirtschaftlichen Umfeld oder informativer Erläuterungen und Tabellen zu sonstigen betrieblichen Erträgen und Aufwendungen. Es fehlten jedoch die Aufschlüsselung einzelner Komponenten bei Herstellungskosten oder Details wie Cashflow und Mitarbeiter in einzelnen Geschäftssegmenten. Unterm Strich reichte es nur für einen Durchschnittsplatz. „Wer ganz nach oben im Ranking will“, sagt Küting, „muss mehr tun als nur Vorschriften zu erfüllen."
Viele Unternehmen konnten ihre Position im Vergleich zum Vorjahr behaupten. Einige haben sich klar verbessert, einige sind regelrecht abgestürzt. So war der Reifenkonzern Continental bisher an der Börse sehr erfolgreich, weniger aber in der Qualität seines Geschäftsberichts. In diesem Jahr kämpfte sich Conti um 36 Positionen auf Rang 17.
Heidelberger Druck stürzt im Ranking ab
Heidelberger Druck dagegen stürzte vom Spitzenplatz eins auf 59. Ursache: magere Angaben zur Aktie, wenig Informatives im Risikobericht, weniger Punkte für die Prognose zur Geschäftsentwicklung im Lagebericht. Mehr als 830 Punkte (statt vormals 950) kamen nicht zusammen.
Die Größe der Unternehmen oder der Börsenindex spielen bei der Informationsqualität der Geschäftsberichte keine Rolle. Zwar gibt es von Dax über MDax und SDax bis zu TecDax ein deutliches Gefälle. Doch holen gerade die lange verschmähten Technologiewerte auf. Im Schnitt verbesserten die TecDax-Unternehmen ihre Berichtsqualität um 45 Punkte.
Die Konzerne aus den anderen Indizes schafften durchschnittlich nur 20 bis 25 Punkte Plus im Vergleich zum Vorjahr. Dass kleine Unternehmen „ganz vorn“, einige der großen Konzerne dagegen „ganz hinten“ im Ranking rangieren, wundert Küting immer wieder. „Dabei nehmen doch gerade die führenden Dax-Konzerne den Kapitalmarkt in Anspruch.“
Wenig Erfreuliches lässt sich zudem über die Lageberichte sagen. Der Gesetzgeber hatte vor allem die Vorschriften für den Prognoseteil verschärft, um dem Anleger mehr zukunftsgerichtete Informationen zu geben und damit letztlich dessen Investment besser abzusichern. Neben Risiken für den weiteren Geschäftsverlauf müssen die Konzerne auch Chancen beschreiben. Doch die Analyse der Geschäftsberichte ist ernüchternd. „Fast überall findet man nur allgemeine und vage Formulierungen“, resümiert Küting. Siehe Siemens: Der Münchener Elektrokonzern belässt es bei mageren sechs Zeilen Ausblick. Dort versichert der Vorstand den Aktionären unter anderem, „unsere Ziele für das Geschäftsjahr 2007 fest im Blick“ zu haben. Und von der eingeleiteten strategischen Neuausrichtung erwartet das Management positive wie negative Auswirkungen.
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Alles im Leben braucht seine Zeit. Gras wächst auch nicht schneller,
wenn man daran zieht!
Gruß
KTM 950