Noch das kleinste Problem wäre die Zerstörung des EU-Stabilitätspakts. Es gibt keine grundsätzlichen Einwände gegen ein Konjunkturprogramm. Aber es gibt spezifische. Das von der Regierung geplante Programm wird vermutlich nicht wie gehofft antizyklisch wirken. Denn es ist wahrscheinlich, dass sich die Konjunktur nach drei Jahren der Wachstumsschwäche bald wieder erholt. Unter der Annahme, dass die USA und ihre Verbündeten Ende März oder Anfang April den Krieg gegen Irak beginnen und innerhalb weniger Wochen beenden, dürfte die Weltkonjunktur langsam wieder an Fahrt gewinnen.
Milde Erholung ab dem Frühjahr
In den USA hat sich zwar der private Konsum verlangsamt, aber die Wirtschaft ist überraschend robust geblieben. Im vierten Quartal, dem schlechtesten des letzten Jahres, betrug das reale Wachstum der US-Wirtschaft auf Jahresbasis immer noch 1,4 Prozent, über das gesamte Jahr 2002 sogar über drei Prozent. Es gibt viele Risiken, die einen Nachkriegsboom noch verhindern können - weitere Einbrüche an den Aktienmärkten, ein Anstieg des Ölpreises oder ein Absturz des Dollar. Das Szenario einer milden konjunkturellen Erholung ab diesem Frühjahr ist keineswegs sicher, aber kein anderes Szenario ist zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlicher.
In Deutschland ist die Wirtschaft in den Jahren 2001 und 2002 jeweils nur knapp über null Prozent gewachsen. Konjunkturforscher prognostizieren ein Wachstum von 0,2 bis 1,0 Prozent. Es wäre das dritte Jahr mit Quasi-Nullwachstum. Zum Vergleich: Allein um die Arbeitslosenquote stabil zu halten, braucht Deutschland ein Wachstum von ungefähr zwei Prozent.
Diese Ausgangslage ist allen bekannt. Unklarheit herrscht darüber, inwieweit das schwache Wachstum strukturell und inwieweit es zyklisch bedingt ist. Es sind hier beide Komponenten im Spiel. Im Konjunkturzyklus befinden wir uns sicherlich näher am unteren Ende als am oberen. Eine Konjunktur kann aber auf unterschiedliche Weise schwanken. Während des Boomjahres 2000 erzielte Deutschland ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent. Das war das höchste Jahreswachstum seit dem inflationären Wiedervereinigungsboom. Und es gelang nur unter den irrationalen Bedingungen der so genannten New Economy.
Milliardenspritze wirkt schädlich
Jürgen von Hagen, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bonn und designierter Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, berechnete vor kurzem, dass das jährliche deutsche Potenzialwachstum mittlerweile auf einen Wert von 0,8 bis 1 Prozent zurückgegangen ist. In der Regierung selbst sieht man das strukturelle Wachstum dagegen noch bei einer Größenordnung von 1,5 bis 2 Prozent.
Meist kann man diese Strukturdaten erst nach vielen Jahren genau bestimmen. Wenn die Schätzung von Hagens richtig ist, liegt das für dieses Jahr projizierte Wachstum bereits in der Nähe des Potenzialwachstums. Eine Konjunkturspritze würde dann ökonomisch verpuffen. Dieses Szenario hätte für Wirtschaft und Sozialsysteme beinahe katastrophale Konsequenzen. Um aus einer derartig starken strukturellen Wachstumskrise herauszukommen, bedarf es harter Reformen. Nicht die Reformen, von denen das Wirtschaftsministerium spricht, sondern Reformen, die in Deutschland als weitgehend inakzeptabel gelten. Wir reden hier nicht von Kündigungsschutz oder Ladenschluss, sondern von erheblichen Senkungen der Lohnnebenkosten, der Etablierung eines effizienten Billiglohnsektors und der weitgehenden Entrümpelung des Wirtschafts- und Arbeitsrechts.
Das Szenario eines Potenzialwachstums von einem Prozent würde bedeuten, dass die Arbeitslosenzahl demnächst auf fünf, dann auf sechs Millionen ansteigt. Die Sozialkassen würden ihre steigenden Defizite durch Gebührenerhöhungen decken, was wiederum Kaufkraft und Konsum beschädigte. Der Teufelskreis ginge so lange weiter, bis harte Reformen unausweichlich sind.
Das andere Szenario ist weniger dramatisch, gleichwohl weniger wahrscheinlich. Die Optimisten behaupten, es handele sich nur um eine schwere zyklische Depression, verursacht durch den Zusammenbruch des New-Economy-Booms und den extremen Wertverfall an den Börsen. Nach dem Krieg werde alles besser, und die Diskussion um Strukturreformen ebbe ab.
Ökonomisch gesehen ist dies also ein Paket für Optimisten. Wenn die Regierung das Programm missbraucht, um notwendige Reformen aufzuschieben, dann ist der Stimulus sogar wirtschaftlich schädlich, und zwar in allen Szenarien. Genau das befürchte ich.
© 2003 Financial Times Deutschland
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Calexa
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