Der Aktienmarkt braucht wahrscheinlich Jahrzehnte, um den alten Höchststand wieder zu erreichen.
Köln - „Leider ist der Eindruck weit verbreitet, man könne das Geld gleich verbrennen, statt in Aktien zu investieren“, bedauert Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktien Institut (DAI) in Frankfurt. Der oberste Werbetrommler für die Aktienanlage hat es in diesen Tagen besonders schwer. Aktien haben für viele endgültig ihren Glanz verloren. Die Aufbruchstimmung Ende der 90er Jahre, als plötzlich auch Hausfrauen und Studenten glaubten, vor allem mit Technologiewerten an der Börse schnell ein Vermögen machen zu können, ist in Frustration umgeschlagen. Drei Jahre Aktienbaisse hintereinander haben in den Depots der deutschen Aktionäre tiefe Spuren hinterlassen, die Anleger lecken ihre Wunden.
Vor genau drei Jahren, da war die Welt der Anleger noch in Ordnung, als der Deutsche Aktienindex Dax mit 8136 Punkten seinen Höchststand erreichte. Gestern fiel das Aktienbarometer kurzzeitig sogar unter 2400 Punkte. Der Absturz des Index beträgt damit über 70 Prozent.
Sensationell gut
An dem katastrophalen Gesamteindruck können auch einzelne positive Ausreißer nichts ändern. Der Aktienkurs der Altana AG etwa hat sich seit März 2000 um 100 Prozent erhöht. Auch Adidas (plus 45 Prozent) und Henkel (plus 15 Prozent) schnitten vergleichsweise sensationell gut ab. Doch die Liste der herben Enttäuschungen ist ungleich länger. Die Deutsche Telekom brach in dem Zeitraum um glatte 90 Prozent ein, die Commerzbank und die Hypo-Vereinsbank traf es kaum weniger stark. Schlechter Trost: Die Aktien im „Wachstums“-Segment Neuer Markt schlossen sogar noch schlechter als der Dax ab. Der Nemax-Index krachte von 10 000 Punkten in der Spitze auf gut 300 Punkte herunter.
Eine Zeit lang haben sich die privaten Anleger nicht mit ihren Verlusten abfinden wollen und geglaubt, die sinkenden Kurse seien eine günstige Gelegenheit zum Einstieg oder zum Nachkauf, um ihre Einstiegskurse zu „verbilligen“. Doch inzwischen liege der Gemütszustand vieler Anleger nach drei Jahren Baisse „irgendwo zwischen gefrorener Wut und zunehmender Gleichgültigkeit“, erklärt der Börsenpsychologe Joachim Goldberg. Immerhin helfe die Psyche, dass die Aktionäre ihren Einstandskurs verdrängt, ja vergessen haben. „Die Gewöhnung an schlechte Zustände ist wichtig, sonst würde man als Mensch ja oft verrückt“, meint Goldberg.
Ist irgendwann endlich mal wieder mit einer Wende zu rechnen? „Die Wahrscheinlichkeit, dass der Aktienmarkt in eine irrationale Ausverkaufssituation kommt, wächst täglich“, warnt stattdessen der Aktienstratege Christian Schmidt von der Hessischen Landesbank. Und auch der Börsenpsychologe hat wenig Aufmunterndes zu bieten. „Pessimisten zu Optimisten zu machen, das dauert viel länger als umgekehrt,“ meint Goldberg.
Angesichts trüber Konjunkturaussichten und angespannter weltpolitischer Lage sieht es an den Börsen in der Tat verhalten aus. Und die künftige Kursentwicklung vorhersagen zu wollen ist Kaffeesatzleserei, geben Experten wie Carsten Krüger vom Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) zu bedenken: „Ob der tiefste Punkt schon erreicht ist, weiß niemand.“
Doch gerade weil die Aktien derart in den Keller gegangen sind, sehen die ersten Optimisten schon wieder Hoffnungsschimmer. „Wer antizyklisch vorgehen möchte, was auch sinnvoll ist, sollte jetzt einsteigen“, rät Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Stuttgart immerhin zu Aktienfonds. „Der Anlagezeitraum sollte allerdings nicht zu kurz sein“, empfiehlt Carsten Krüger. „Wer über 20 Jahre investiert, hat in der Regel gute Renditen zu erwarten.“ Für die Aktionäre, die unbeirrt an ihren Aktien festgehalten haben, ist dies nur ein schwacher Trost. Es dürfte Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte dauern, bis der Dax alte Höhen erreichen wird. Selbst wenn der Index jedes Jahr um zehn Prozent klettert, würde erst im Jahr 2015 die alte Höchstmarke von gut 8000 Punkten wieder überschritten.
Verlockend für einen (Wieder-) Einstieg an der Börse könnte wegen der niedrigen Kurse die derzeit hohe Dividendenrendite mancher Aktien sein. Bei einem Kurs von gut 12 Euro und einer angekündigten Dividende von 0,90 Cent wirft jede Bayer-Aktie eine Bruttorendite von über sieben Prozent ab - weit mehr, als derzeit mit Anleihen zu erzielen ist.
Andere Dividendenrenditen liegen noch höher, vor allem auch bei den mittelgroßen Werten des M-Dax. Doch Vorsicht: Die zuletzt gezahlten Dividenden sind für dieses Jahr und auch für die weitere Zukunft vielfach nicht gesichert, wie das Beispiel Telekom zeigt, die die Ausschüttung komplett ausfallen lässt.