Enron - Paradebeispiel für innovatives Management

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Enron - Paradebeispiel für innovatives Management

 
08.02.02 18:19
Der texanische Energiekonzern ist pleite. Und doch wird das Unternehmen in einem neuen Managementbuch als Beispiel für zukunftsfähige Unternehmensführung vorgestellt.

Jeff ist blitzgescheit. Investmentbanken und Consultingfirmen balgen sich um den Top-Absolventen der Harvard Business School. Der junge Mann entscheidet sich für eine Karriere beim renommiertesten Beratungshaus der Welt, bei McKinsey. Schnell steigt er dort auf, wird Teilhaber und übernimmt die Verantwortung für das gesamte Geschäft mit Chemie- und Energieunternehmen.

Er wittert seine Chance, als die Energiebranche dereguliert wird. Dem Chef eines unbedeutenden, regionalen Betreibers von Gaspipelines schlägt er vor, das Unternehmen um eine internetgestützte Plattform für den Energiehandel zu erweitern und ihn zum Manager zu machen. Der Plan gelingt, der Erfolg ist frappierend.

Jeff erhält immer mehr Macht, krempelt den Konzern um, lässt weltweit mit allem handeln, was nur handelbar ist. So peitscht er den Umsatz bis über die Marke von 100 Milliarden Dollar, macht das Unternehmen zum siebtgrößten der Vereinigten Staaten, wird schließlich dessen Chef und zieht sich – nach nur wenigen Wochen an der Spitze – aus „privaten Gründen“ zurück. Kurz danach werden Unregelmäßigkeiten in der Buchführung bekannt. Der Aktienkurs stürzt ins Bodenlose, der Konzern kracht zusammen.

Eine wahre Geschichte

Was sich liest wie der neueste Thriller von Erfolgsautor John Grisham, ist in Wahrheit die Story vom unaufhaltsamen Aufstieg des Jeffrey K. Skilling. Der Topmanager stand bis zum 14. August letzten Jahres an der Spitze des pleite gegangenen texanischen Energie- und Handelskonzerns Enron Corporation. Die Details der Affäre enthüllt ein vor wenigen Tagen im Internet veröffentlichter Bericht, der dem US-Kongress als Unterlage für seine Ermittlungen dient. Hier wird beschrieben, wie das Management des Konzerns die Gewinne über ein komplexes System an Beteiligungen manipulierte, um sich selbst zu bereichern.

Der Untersuchung zufolge liegt die Hauptschuld am Zusammenbruch des Konzerns beim ehemaligen Finanzchef Andrew S. Fastow. Jeff Skilling jedoch trage eine „substanzielle Verantwortung“, so der Bericht. Er habe „aktiv“ geholfen, die Unternehmensergebnisse zu verschleiern und den mit der Konzernaufsicht betrauten Mitgliedern des Management Board Sand in die Augen zu streuen. Skilling bestreitet diese Vorwürfe.

Weitere Hintergründe dieser größten Pleite der Wirtschaftsgeschichte enthüllt – unabsichtlich – das Buch „Creative Destruction“, das 2001 in den USA ein Bestseller war und Ende März in Deutschland unter dem Titel „Schöpfen und zerstören“ erscheint. Das Werk stammt von Richard Foster, einem der führenden Köpfe bei der Beratungsfirma McKinsey & Company in New York, und Sarah Kaplan, vor kurzem noch bei McKinsey, jetzt am bekannten Massachusetts Institute of Technology in Boston tätig – und stellt Enron als ein Musterbeispiel für innovative Unternehmensführung dar.

Zweifelhaftes Paradebeispiel

Das inzwischen Konkurs gegangene Unternehmen wird als Paradebeispiel für die gelungene Umsetzung einer Strategie vorgestellt, neue Chancen am Rande einer Industrie oder in anderen Branchen zu nutzen und dafür Geschäftsfelder aufzugeben, die nicht zum Wachstumskurs passen.

Die Analyse, schreiben die Autoren, stütze sich maßgeblich auf Erkenntnisse „aus unseren persönlichen Beziehungen zu einigen der größten und erfolgreichsten Unternehmen der Vereinigten Staaten“. Solche Beziehungen bestanden auch zu Enron. Dessen damaliger Chef, Kenneth Lay, ließ sich von McKinseys Jeff Skilling beraten.

Die Leser erfahren, dass Skilling schon vor seinem Eintritt ins Management von Enron versucht hatte, Lay von der Idee zu begeistern, aus dem Energieversorger einen Energiehändler zu machen. Der Consultant präsentierte sein Konzept zunächst erfolglos dem Management des Unternehmens. Die Geschäftsleitung habe Skillings Idee „eher kühl“ aufgenommen, schreiben Foster und Kaplan. Doch dieser Mann wäre kein echter Berater, wenn er sich davon hätte entmutigen lassen. In zahlreichen Gesprächen mit Lay warb Skilling unverdrossen weiter für sein Konzept und erzielte den Durchbruch: „Am Ende schied Skilling bei McKinsey aus und übernahm bei Enron die Aufgabe, Enron Capital Trade (ECT) zu gründen“, heißt es im Buch.

Offiziell war Skilling bei seinem Eintritt in das Unternehmen Leiter des Bereichs Erdgaseinkauf und -verkauf. Der Bereich war typisch für den Zustand der Energieunternehmen vor der Deregulierung dieser Branche: Innovationen waren nicht gefragt.

Skillings Weg nach oben

Bei der Umgestaltung orientierte sich Skilling an Erfolgsrezepten, die er von Unternehmen Telekommunikationsbranche kannte, die bereits zuvor liberalisiert worden war. Mit Erfolg: „Ab 1992 wurden Terminkontrakte für Erdgas an der New Yorker Produktenbörse frei gehandelt – eine umwälzende Neuerung, die von Enron angeführt wurde. Praktisch von Anfang an brachte der neue Bereich der Muttergesellschaft 22 Prozent ihres Betriebsgewinns ein“, loben Foster und Kaplan ihren Ex-Kollegen.

Skilling stieg auf zum Chief Operating Officer, wurde Teil der Konzernleitung. Jetzt hatte er die Macht, die alte Hierarchie zu zerstören. In seiner neuen Organisation gab es lediglich drei Ebenen zwischen der Unternehmensspitze und einem einfachen Mitarbeiter. Die Bezahlung erfolgte stark leistungsorientiert.

Die Leistung ließ Skilling nicht nur am Umsatz messen. Auch die Kriterien Lernfähigkeit, Führungsqualitäten, das Knüpfen von Kontakten und „Innovationsfreude“ tauchten in den Beurteilungsschemata auf. Skilling setzte diese Änderungen gezielt dazu ein, die alten Mitarbeiter aus dem Unternehmen zu drängen. „Man konnte neue, fähige Leute einstellen, um die komplexen Kontrakte zu entwerfen und auszuhandeln, und diejenigen, die zur Änderung ihrer mentalen Modelle nicht in der Lage waren, gingen“, heißt es im Buch.

Ungewohnte Freiheiten

Skilling ließ hoch qualifizierte junge Leute anwerben und gab ihnen Freiheiten, die anderswo undenkbar gewesen wären. Sie konnten Geschäfte mit einem Volumen von fünf Millionen Dollar abschließen, ohne die Zustimmung des Managements einholen zu müssen. Skilling ermunterte sie, ihren Fuß in neue Geschäftsfelder zu setzen und dabei, wie es im Buch heißt, „wenn nötig, bestehende Geschäfte zu kannibalisieren“.

Natürlich beschäftigen sich Foster und Kaplan auch mit dem Problem der Kontrolle von solchermaßen entfesselten Managementkräften, und zwar am Beispiel des Technologiekonzerns Thermo Elektron: „In diesem Fall entschied sich der Kampf zwischen Eigenverantwortung und Kontrolle, zumindest fürs erste, zugunsten der Kontrolle“, bedauern die Autoren, die bis Redaktionsschluss keine Zeit für ein Interview fanden. Bleibt nachzutragen, dass Thermo Elektron im Gegensatz zu Enron noch im Markt ist.

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Das Buch "Schöpfen und Zerstören" erscheint im März im Verlag Carl Ueberreuter, Frankfurt am Main.



Quelle: wiwo.de / Von RAINER STEPPAN

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