Der 6. Februar 2003 könnte sich zum Wendepunkt im Prozess gegen die früheren EM.TV-Vorstände Florian und Thomas Haffa entwickeln. Für die meisten Beobachter völlig überraschend beantragt die Staatsanwaltschaft einen neuen Sachgutachter.
Angeklagte und Verteidigung rangen nach dem Beweisantrag von Staatsanwalt Peter Noll um Fassung. Insbesondere zwischen Thomas Haffas Verteidiger Rainer Hamm und dem Staatsanwalt wird der Tonfall zunehmend ruppiger. Und den beiden Angeklagten im dunklen Maßanzug, die bislang ruhig und routiniert auf die Fragen der Anklage antworteten, hat die Entscheidung wohl die Sonnenbräune aus dem Gesicht getrieben.
Dabei ist dieser Schritt nur die logische Konsequenz aus der zunehmenden Kritik am bisherigen Gutachten des Sachverständigen Bernd Rudolph. Kaum nachvollziehbar ist etwa, weshalb Rudolph die Börsenumsätze der EM.TV-Aktie zum Zeitpunkt von Ad-hoc-Meldungen vernachlässigt hat und sich rein auf die Schlusskurse stützte.
Dabei sind Intraday-Kurse und -Volumina ein unverzichtbarer Indikator, um die Marktbeeinflussung von Ad-hoc-Meldungen zu ermitteln. BO hatte bereits in der Printausgabe vom 30. Januar auf diesen Umstand hingewiesen und erhebliche Zweifel am bisherigen Prozessgutachten angemeldet.
Darüber hinaus hatte der die Anklage vertretende Wirtschaftsprofessor Wolfgang Ballwieser gravierende Verstöße im 2000er-Halbjahresbericht von EM.TV ausgemacht. So habe der Vorstand entgegen der internationalen Rechnungslegungsstandards IAS und US-GAAP die Umsätze der zugekauften Jim Hanson Company regelwidrig bereits in der Halbjahresbilanz verbucht - immerhin ein Betrag von fast 16 Millionen Euro.
Man darf gespannt sein, welche Argumente die Verteidigung am 13. Februar, dem nächsten Sitzungstag, vorlegen wird. Geprellte Anleger können in jedem Fall wieder hoffen, dass die ehemaligen Börsenlieblinge doch noch wegen Kursbetrugs und der falschen Darstellung von Unternehmensverhältnissen verurteilt werden. Für den Tatbestand der Marktmanipulation sieht das deutsche Strafgesetzbuch bis zu drei Jahre Haft vor.
Noch Investierte sind gut beraten, sich schnellstmöglich von ihren Anteilen zu trennen. Ein Käufer für die Jim Hanson Company ist immer noch nicht gefunden. Dabei hatte Firmenchef Werner Klatten betont, dass Jim Hanson bis Ende 2002 unbedingt verkauft werden müsse. Was Klatten natürlich verschweigt: Interessenten können pokern und auf Kampfpreise aus einer Insolvenzmasse hoffen.
Ende September verfügte EM.TV noch über einen Barmittelbestand von 84,3 Millionen Euro und verbrannte fünf Millionen Euro monatlich. Das bedeutet, dass Ende 2003 die Mittel ausgingen.
Empfehlung: VERKAUFEN
Kurs am 7. Februar: 0,86 Euro
Rückschlagspotenzial: Totalverlust droht