Eine Weihnachtsgeschichte für den Nemax !

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Nobody II:

Eine Weihnachtsgeschichte für den Nemax !

 
22.12.00 17:29
Anbei noch eine nette Geschichte aus der FTD !


Das Kapital: Wie Prinz Weitsicht ein Königreich bewertet hat - ein Märchen

Es war einmal ein König in fortgeschrittenem Alter, der sich um seine Nachfolge zu sorgen begann. Salomon, so hieß der für seine Weisheit berühmte Monarch, betrachtete wohlgefällig seine Tochter Fortuna, rief sein Kabinett zusammen und schilderte den Ernst der Lage.

Der Erste Minister wusste wie so oft einen Ausweg: "Hoheit, Ihr braucht einen klugen Mann für Eure Tochter. Gebt doch demjenigen den Zuschlag, der Euch sagen kann, wieviel Taler man für Euer Königreich zahlen muss." Salomon war überzeugt.

Die Neuigkeit verbreitete sich im Nu. All die Prinzen, die schon viel über Fortunas langes blondes Haar und ihre meerblaue Augen gehört hatten, machten sich sofort auf den Weg. Salomons Beamte hatten alle Hände voll zu tun, jene abzuwimmeln, die nur irgendwelche Summen in den Schlosshof riefen, ohne sie begründen zu können. Sie ließen schließlich drei Prinzen vor, die ihnen den ernsthaftesten Eindruck machten.


Zunächst betrat Prinz Unbedarft den Saal, in dem der König mit seinen Höflingen Besucher zu empfangen pflegte, und begann: "Den genauen Wert Eures Reichs, Hoheit, erfahrt Ihr nur, wenn Ihr Euer Vermögen mitsamt Schulden veräußert. Also Eure Tiere, Eure Wälder, Eure Ländereien und Euer Gold. Ich schätze, das dürfte insgesamt acht Millionen Taler einbringen."


Danach stürmte Prinz Übermut herein: "Die Sache ist ganz einfach. Meinem Vater hat ein anderer König vor einiger Zeit rund zehn Millionen Taler für unser Reich geboten. Vergleiche ich Euer großes Reich mit unserem, dürfte das Eurige mindestens dreimal so viel wert sein. Bei Euch leben fast dreimal so viele Bauern. Euer Land ist genauso ertragreich. Zudem seid Ihr nur von friedliebenden Königen umgeben. Wir dagegen sind immer wieder von Überfällen kriegslüsterner Raubritter bedroht. Euer Königreich ist also mindestens 30, wenn nicht sogar 40 Millionen Taler wert."


Als letztes kam Prinz Weitsicht. Der Prinz, in seiner rechten Hand einen Rechenschieber haltend, hob an: "Hoheit, Ihr müsst Euch überlegen, wie hoch die Gewinne sein werden, die Ihr künftig aus Eurem Königreich erwarten könnt. Eure Bauern entrichten derzeit jährlich eine Million Taler an Abgaben. Erhaltet Ihr diesen Betrag auch in jedem künftigen Jahr und zahlen Euch die Geldhändler zehn Prozent Zinsen, dann ist Euer Königreich zehn Millionen Taler wert."


Der Prinz machte eine kleine Pause und fuhr fort: "Allerdings haben die Bauern in der Vergangenheit mit neuen Arbeitsweisen jährlich fünf Prozent mehr erwirtschaften können. Das können sie auch in der Zukunft schaffen. Da sich ihre Abgaben an Euch an der Ernte orientieren, wachsen auch Eure künftigen Gewinne. Mit einfacher Mathematik lässt sich sodann der Wert Eures Reichs errechnen. Ihr teilt den jährlichen Gewinn durch den Unterschied von Zinssatz und Wachstumsrate." Er hielt erneut inne. "Das ergibt zwanzig Millionen Taler", fügte er nach kurzem Blick auf sein Rechenschieber hinzu. "Natürlich kennt niemand die Zukunft. Die von mir getroffenen Annahmen können sich als falsch erweisen. Aber sie erscheinen mir vernünftig."


Salomon schickte die drei Prinzen fort. Ein jüngerer, aufstrebender Minister rief ungeduldig aus: "Hoheit, Ihr müsst Prinz Übermut auswählen. Er hat doch den höchsten Wert ermittelt. Und natürlich hat er auch Recht damit." Im Kabinett war zustimmendes Murmeln zu vernehmen. Da erhob sich der Erste Minister: "Es ist in der Tat verführerisch, was uns der junge Herr erzählt hat. Aber bedenkt, Hoheit, Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das Gebot für das Königreich seines Vaters. Wissen wir, wer es unter welchen Umständen gemacht hat? Vielleicht war es ein Scharlatan. Vielleicht würde der König heute fünfzig Millionen und morgen nur noch zwei Millionen Taler erhalten. Nein, wir sollten nicht auf Sand, sondern auf festem Grund bauen."


"Wen haltet Ihr für geeignet?", fragte Salomon. "Was Prinz Unbedarft gesagt hat, ist nicht verkehrt", erwiderte der Erste Minister. "Aber er hat etwas übersehen. Das Ganze kann mehr wert sein als die Summe der einzelnen Teile. Die Kühe geben Milch und helfen zugleich, die Äcker zu bestellen. Wer Eure Getreidefelder kauft, um aus Hopfen, Gerste und Malz Bier zu brauen, wird dafür von Gasthöfen weniger Geld bekommen, weil ihm Euer königliches Siegel fehlt. Was hingegen Prinz Weitsicht gesagt hat, überzeugt mich. Er schaut sich an, was Euch all Eure Bauern und Ländereien in der Zukunft erbringen könnten. Und das ist entscheidend. Ich schlage daher als künftigen Mann Eurer Tochter den Prinzen Weitsicht vor."


Salomon hörte sich das an und wog bedächtig sein ergrauendes Haupt. Der für seine Weisheit berühmte Monarch sprach schließlich: "Unser Erster Minister hat Recht. Prinz Weitsicht soll Fortuna bekommen." Der Prinz war überglücklich, in den meerblauen Augen versinken zu dürfen. Es war das erste Mal, dass es sich auszahlte, den Wert einer Sache in den künftigen Gewinne zu suchen. Die späteren Zeiten waren nicht immer danach. Das ist eine andere Geschichte, aber leider kein Märchen mehr.



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