Ein Paradies für Centfuchser

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Nassie:

Ein Paradies für Centfuchser

 
17.04.03 16:35

Auf dem deutschen Telefonmarkt herrscht ein buntes Treiben wie sonst nirgendwo auf der Welt - aber auch jede Menge Geheimniskrämerei

Die Deutschen sind Weltmeister im Sparen. Vor allem, wenn es ums Telefonieren geht. Centfuchser sozusagen. Und deshalb leben sie hierzulande im Paradies. Nicht nur, weil es jede Menge Anbieter gibt. Sondern auch, weil die extrem schnell agieren. Sie kalkulieren selbst mit jedem Cent. Ach was: sogar mit jedem Zehntel oder Hundertstel – und ändern virtuos die Tarife, manchmal sogar stündlich.

Wer also wirklich und immer profitieren will, der muss sich vor jedem Telefonat wieder neu informieren. Beispielsweise bei Tarifrechnern im Internet wie billiger-telefonieren.de oder teltarif.de. „Wir registrieren manchmal 30 bis 40 Tarifänderungen am Tag“, sagt Christian Füg von billiger-telefonieren.de. Mehr Markt geht wirklich nicht.

In Deutschland herrscht ein buntes Treiben wie sonst nirgendwo auf der Welt. Fast wöchentlich ändert sich auch die Szene. Noch Anfang April wagte sich ein neues Unternehmen (Maestro) an den Start. Am selben Tag stellte ein anderes seinen Dienst für Privatkunden ein (Interoute).

So geht es jetzt schon seit mehr als fünf Jahren. Damals, 1998, wurde das Telefongeschäft für Newcomer geöffnet. Ein Ferngespräch kostete 60 Pfennig pro Minute (siehe Grafik). Das weckte die Hoffnung auf eine schnelle Mark. Große Konzerne traten an, der Telekom im Festnetz Konkurrenz zu machen. Aber auch Hunderte von Klitschen. Viele sind zwar schon wieder verschwunden, etliche aber überlebten den Kampf.

Gut getarnt ins Rennen

Möglich wurde die Vielfalt durch ein weltweit fast einzigartiges Liberalisierungsmodell. Mit einem Minimalaufwand konnte sich jeder an das Netz der Deutschen Telekom koppeln, zahlte für die Nutzung der Leitungen eine staatlich festgelegte Gebühr und vermochte von der Differenz fürstlich zu leben. Zunächst jedenfalls. Außerdem konnten alle darauf bauen, dass die Telekom für sie das Geld eintreibt – von den eigenen abtrünnigen Kunden. Das war deshalb so wichtig, weil das Abkassieren eine teure Sache ist, die sich nicht jeder hätte leisten können.

Für Furore sorgte zunächst Mobilcom als der Telefon-Aldi. Doch dann mischten die wahren Discounter den Markt auf. Sie ließen die Tarife bis an die Schmerzgrenze schrumpfen. Finanzpolster waren nicht mehr drin, Investitionen kaum noch zu finanzieren. Das aber störte nur jene Anbieter, die sich auf Dauer von der Nabelschnur der Telekom lösen, also eigene Netze bauen wollten.

Zum Beispiel Arcor. Das Unternehmen gehört seit Anfang 2000 mehrheitlich zu Vodafone. Es wurde damals mitverkauft, als der britische Mobilfunker den kompletten Mannesmann-Konzern schluckte. Harald Stöber, der Arcor-Chef, ließ sich dadurch zwar nicht beirren, agiert seither aber als Exot im Mobilfunkimperium der Briten.

Arcor ist mit 4100 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro das Schwergewicht unter den Telekom-Rivalen – und der einzige Anbieter, der dem Exmonopolisten in der gesamten Breite seines Geschäfts Paroli bietet. Und: Stöber hat keine Angst vor der Öffentlichkeit. Damit ist er eine der Ausnahmen auf dem Markt. Der beherbergt Firmen, die sich hinter Nummern verschanzen, nur über Postfächer oder E-Mail zu erreichen sind und selbst die Anzahl der Mitarbeiter als Betriebsgeheimnis hüten. Tarnen und Tricksen heißt die Devise.

Ein Blick hinter die Kulissen fördert denn auch Erstaunliches zutage. Bei näherer Betrachtung schrumpft beispielsweise die Liste der voneinander unabhängigen Anbieter, die das Call-by-Call-Geschäft ohne Anmeldung betreiben, ziemlich drastisch zusammen. Fast jedes Unternehmen hat mindestens noch eine Tochter im Rennen. Auch echte Großfamilien haben sich gebildet. Fast 20 der insgesamt rund 40 Firmen oder Marken ranken sich beispielsweise nur um zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung: die 01051 Telecom und die 01058 Telecom.

Einer Zellteilung gleich, generieren sie immer neue Unternehmen. Zu 01051 gehört beispielsweise auch die 01081 Telecom AG. Bestritten wird indes, dass auch TeleDiscount, Telebillig, Teledump, und wie sie alle heißen, zur Familie gehören. Nur „eine enge Kooperation“ räumt Thomas Rühmer, Vorstand der 01081, ein. Man biete den Firmen sozusagen eine „Plattform“. Wie und wo auch immer: Rund 20 Mitarbeiter würden beschäftigt, größtenteils „Softwarefreaks“, heißt es im Internet. Präsentiert wird dort freilich nur eine kleine Truppe von 13 Leuten. Und man habe ganz und gar nicht die Absicht, „dieses Team großartig zu verstärken“. Zum Umsatz und Gewinn will Rühmer gar nichts sagen. Selbst die Firmenadresse hält er geheim.

Noch verschlossener gibt sich Sascha Zimmermann, der Sprecher von 01058. Er rechnet selbst die Zahl der Mitarbeiter zu jenen „Interna, die nicht in die Öffentlichkeit gehören“. Dafür bestätigt er freimütig, dass es weitere zehn Töchter gibt, die als Pennyphone, Phonedump oder ähnlich firmieren. Und: Alle zusammen gehören wiederum zu Callax, die gleichwohl unter eigenem Namen am Markt vertreten ist.

Kein Wunder, das bei derlei Wirrwarr und Geheimniskrämerei die Spekulationen nur so ins Kraut schießen. Nicht verstummen will das Gerücht, das selbst 01051 und 01058 zusammengehören. Nach einer Connection zwischen beiden befragt, widersprechen sowohl Rühmer als auch Zimmermann – und das ganz energisch.

Die Tricks der Technikfreaks

Wie auch immer: Beiden geht es offensichtlich darum, sich in der unübersichtlichen Gemengelage mit möglichst vielen Marken an die Spitze der Ranglisten zu bugsieren. Denn bei den minimalen Preisunterschieden kommt es darauf an, stundenweise als Billigster ganz oben zu stehen oder wenigstens während einiger Tage im Monat unter den Ersten präsent zu sein. Deshalb „jagt eine Sonderaktion die nächste“, so Müller von teltarif.de.

In der Regel laufen die kurzfristigen Preisknüller über 0190-0-Nummern. Die sind zwar eigentlich eher aus dem zwielichtigen Milieu der Sexhotlines bekannt. Dort sind sie ganz besonders teuer. Weil man sie aber auch sehr niedrig tarifieren kann, nutzen die Telefon-Discounter diese Nummern für die Vermittlung von günstigen Fern- und Auslandsgesprächen. Und nicht nur das.

Die findigen Technikfreaks griffen zu einem weiteren Trick: Sie nutzen diese 0190-0-Nummern auch, um Ortsgespräche billiger anbieten zu können; wie bei Ferngesprächen im Call-by-Call-Verfahren. Offiziell soll das zwar erst von April an gestattet sein. Doch das kümmert die jungen Wilden wenig.

Komfortabel ist die Sache freilich nicht. Der Anruf beim Nachbarn gerät zur mühsamen Prozedur. Denn die zu wählende Nummer ist mit rund 15 Ziffern ellenlang. Das tun sich wohl nur echte Centfuchser an. Und: „Man sollte unbedingt darauf achten, die Stadtvorwahl immer mitzuwählen und sich möglichst nicht zu vertippen“, rät Müller. Sonst landet man tatsächlich schon mal bei einer teuren Sexhotline.

Das bunte Treiben ist selbst in den Reihen der Telekom-Rivalen umstritten. „Die skurrile Konstruktion“ des Telefonwettbewerbs in Deutschland sei einzigartig in der Welt, moniert Roman Schwarz, Geschäftsführer von Tele2 in Deutschland und der Schweiz. Der schwedische Konzern beschäftigt in 22 Ländern rund 2000 Mitarbeiter, schreibt insgesamt rund 3,4 Milliarden Euro Umsatz und konnte sich in Deutschland nach eigenen Angaben direkt hinter Arcor positionieren.

Das Dilemma der Beamten

Insbesondere kritisiert Schwarz: „Weder Karstadt übernimmt heutzutage das Inkasso für Aldi, noch bezahlen Passagiere ihr Flugticket bei der Lufhansa für Flüge mit dem Konkurrenten und Billiganbieter Ryan Air.“ Briefkastenfirmen lockten die Kunden mit Dumpingangeboten und änderten die Tarife stündlich. Die Verbraucher freuten sich im ersten Moment über billige Tarife der Schnäppchenjäger, ärgerten sich allerdings dann über eine miserable Netzabdeckung und einen nicht vorhandenen Kundenservice.

Auch die so genannten City-Carrier sind ziemlich sauer. Den regionalen Telefongesellschaften, wie Netcologne in Köln oder Hansenet in Hamburg, macht vor allem eines zu schaffen: Schon bald wird es – wie bislang nur bei Fern- und Auslandsgesprächen – auch bei Telefonaten im Ortsbereich offiziell möglich sein, im Call-by-Call-Verfahren, also von Fall zu Fall, einen alternativen Anbieter zu wählen. Die City-Carrier ärgert das deshalb, weil sie als Einzige sehr viel Geld in Infrastrukturen investierten, um der Telekom auch in den Ortsnetzen Paroli bieten zu können. Ihre Sorge: „Es wird zu folgenschweren Wettbewerbsverzerrungen kommen, wenn jetzt neue Anbieter ohne eigenes Netz zu unangemessen niedrigen Kosten in diesen Markt einsteigen können“, warnt Rainer Lüddemann, Geschäftsführer des Breko. Das ist der Verband der regionalen Telefongesellschaften.

Doch das Gesetz wurde – auf Druck der Europäischen Kommission – bereits im Herbst vergangenen Jahres verabschiedet. Jetzt geht es nur noch darum, die konkreten Bedingungen für die neuen Anbieter festzulegen. Das ist der Job der Regulierungsbehörde. Sie will bis Ende April entscheiden.

Bis zum kommenden Herbst wollen die Beamten des Wirtschaftsministeriums derweil ein weiteres Mammutprojekt durchziehen. Sie müssen ein opulentes Paket von gleich fünf EU-Richtlinien in nationales Recht umsetzen. Dabei geht es um das Telekommunikationsgesetz, kurz TKG genannt, das den Rahmen für den Wettbewerb festzurrt. Das bisherige Regelwerk wird von Grund auf renoviert. Doch ganz egal, wie die Beamten des Ministeriums oder die der Behörde agieren: Sie haben gar keine Chance, es allen recht zu machen. Denn vorbei sind die Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war: die Telekom gegen den Rest der Branche. Die ist inzwischen so zersplittert, dass es keinen gemeinsamen Nenner mehr gibt.

Deshalb war es ziemlich mutig, als die Vordenker des Wirtschaftsministers vor wenigen Wochen ihren Arbeitsentwurf öffentlich präsentierten. Bislang gingen jede Menge Stellungnahmen ein. Unisono wird bemängelt, dass die EU-Vorgaben zu kompliziert und unklar seien. Und noch eines schreckt so gut wie alle: Brüssel will künftig viel stärker mitmischen als bisher. Das bedeutet, dass die Entscheidungswege nicht nur länger, sondern auch verschlungener werden. Das mögen Investoren gar nicht gern.

Die billigen Jakobs stimmt wenigstens eine Botschaft froh: Die Telekom wird für ihre Konkurrenten auch weiterhin das Inkasso übernehmen müssen; vorerst bis zum Jahre 2006. Grünes Licht also für das Centfuchser-Geschäft.

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