Ein Hoch auf die Spekulationsblasen

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Ein Hoch auf die Spekulationsblasen

 
10.08.03 12:24
Der Sonntagsökonom
Ein Hoch auf die Spekulationsblasen
Von Patrick Welter

10. August 2003 Es gilt heute als schick, den Boom der Informationstechnik und des Internets Ende der neunziger Jahre als Geschichte des Versagens zu beschreiben. Betont wird, wieviel Kapital an den Aktienmärkten "verbrannt" worden sei, wie gierige Manager unschuldige Anleger betrogen haben und wie sehr die Weltwirtschaft unter den rezessiven Folgen der zerplatzten Träume leide. Doch steht das Urteil über die "New Economy" noch aus.

Erst mit dem Abstand von Jahren werden sich positive und negative Folgen der Informationstechnik für die Wirtschaft einigermaßen sicher einordnen lassen. Alles, was heute darüber geschrieben wird, strahlt den Charme des Unreifen aus.

Kleine englische Eisenbahnblase

Wie gut, daß sich aus früheren Spekulationsblasen zumindest vorläufige Schlüsse auf heutige Entwicklungen ziehen lassen. Bestens für den Vergleich geeignet ist die Entwicklung der Eisenbahnen in England im 19. Jahrhundert, meint der Finanzjournalist und -berater Robert Miller. Zwischen 1820 und 1850 zogen zahlreiche private Kapitalgesellschaften im freien Wettbewerb ein weit gespanntes Eisenbahnnetz über England. Das Publikum schwärmte von den Möglichkeiten der neuen Technik und zeichnete eifrig Aktien. Kommentatoren riefen euphorisch ein neues Zeitalter aus. Die Begeisterung schwappte wiederholt über, so daß Spekulationsblasen entstanden: die kleine Eisenbahnblase in den zwanziger und die große Spekulation in den vierziger Jahren. Viele Gesellschaften gingen unter; der Boom wurde von einer scharfen Rezession abgelöst.

All das könnte auch die Ereignisse rund um das Internet Ende des zwanzigsten Jahrhunderts beschreiben. Kennziffern wie die Aktienkursentwicklung damals und heute zeigen erstaunliche Parallelen. Nicht umsonst sind sich Eisenbahnen und die Informationsautobahn sehr ähnlich. Beides sind offene Techniken, die - im Gegensatz etwa zum einseitigen Fernsehen - den Nutzern einen beidseitigen Austausch von Gütern oder Informationen ermöglichen. Beide Techniken setzen darauf, daß Netzwerkökonomien mit ihren Größenvorteilen entstehen. Je mehr Orte und Menschen am Netz hängen, desto größer der Vorteil für jeden einzelnen.

Planerische Attitüde in Frankreich

Was aber lernen wir aus der Eisenbahngeschichte für heute? Die unregulierte Entwicklung der Eisenbahn in England hat dazu geführt, daß das Eisenbahnnetz deutlich schneller und umfangreicher ausgebaut wurde als etwa in Frankreich. Dort versuchte der Staat sich als Zentralplaner, was die Entwicklung verlangsamte. Daraus folgt: Wettbewerb auf freien Märkten treibt die Entwicklung und die Entdeckung der Möglichkeiten neuer Techniken besser voran als planerische Attitüde, die die Kosten dann auch noch dem Steuerzahler aufbürdet. Versuche des Staates, im Informationszeitalter angeblich bessere Standards zu setzen oder vermeintliche Monopolisten wie Microsoft auszuschalten, sind gefährlich, weil sie den Fortschritt hemmen.

Gescheitert im Dienst der Gesellschaft

Was folgt für unser Urteil über Spekulationsblasen? Handelt es sich um volkswirtschaftliche Verschwendung von Kapital? Nein. Wenn Wettbewerb notwendig ist, um Wissen über neue Technik hervorzubringen, dann muß die Gesellschaft auf einen großangelegten Prozeß von Versuch und Irrtum setzen. Fehler müssen begangen werden, um sie zu erkennen. Jedes Unternehmen, das in der Eisenbahnblase 1845 und in der Internet-Spekulation 2000 unterging, scheiterte im Dienste der Informationsgewinnung. Den Nutzen trägt der Konsument, oftmals erst Jahre später.

"Spekulationsblasen sind manchmal der Preis für die Entwicklung neuer Techniken", schreibt Miller. Spekulationsblasen verdichten den Zeitraum, in dem neue Erkenntnisse gewonnen werden. Die Eisenbahngeschichte zeigt, daß manche Strecken und Innovationen, die damals bankrotte Unternehmen planten, später wieder aufgegriffen wurden. Das Wissen, das vorerst unterging, ist nicht verloren. Wer kann heute schon sagen, welche Geschäftsideen der gestorbenen "dot.coms" in wenigen Jahren eine neue Zukunft haben?

Jammern über Spekulationsblasen unsinnig

Das Hohelied auf die Spekulationsblase verdeckt die negativen Seiten nicht. In der Eisenbahn- und in der Internet-Blase haben Aktionäre viel Kapital verloren - zum Nutzen der Verbraucher. In beiden Episoden haben manche Unternehmen ihre Aktionäre betrogen. Die Internet-Euphorie wurde durch die amerikanische Geldpolitik zusätzlich aufgeblasen.

All das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Spekulationsblasen wohl unvermeidlich sind, wenn die Vorteile neuer Techniken im Wettbewerb ausgereizt werden sollen. Ökonomen, die mit dem Wissen des Zurückblickenden eine ineffiziente Kapitalvernichtung geißeln, vergessen: Erst die realen Versuche und das tatsächliche Scheitern wirtschaftlich Handelnder haben dieses Wissen geschaffen. Jammern über Spekulationsblasen ist unsinnig. Ebensowenig darf ein Eskimo klagen, daß er einen Pelz anziehen muß, wollte er nicht frieren.

FAZ
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