- mit Hähnchenkeulen
Das haben die Amerikaner sich nicht träumen lassen: Russland verhängt ein Embargo gegen US-Geflügel - und George W. Bush ist machtlos, während Moskau ihm Lektionen in Sachen Kapitalismus, Hygiene und Humor erteilt.
Bush-Beine als Restposten: Hendl gibt's bald nur noch aus Dnjeprpetrowsk, nicht mehr aus Little Rock
Moskau/Washington - Es war am 11. März, an einem Montag, als US-Außenminister Colin Powell in drängender Angelegenheit seinen russischen Amtspartner Igor Iwanow ans Telefon holte. In Afghanistan klang gerade die letzte Sturmoffensive gegen Kämpfer der al-Qaida aus, im Nahen Osten jettete Bush-Vize Dick Cheney umher und mühte sich, Gefährten für eine Attacke auf Saddam Hussein zu finden. Die beiden Top-Diplomaten stritten derweil über Hähnchenbeine, Salmonellen und Hygieneparagrafen.
Bis Anfang März gab es amerikanische Hühnchen überall in Moskau oder Nowgorod, nun sind sie bis auf Reste weg, und der bekennende Geflügelfan George W. Bush ist schuld daran. Fast fühlt man sich im Russen-Reich an triste sozialistische Tage erinnert. Seit dem 10. März kommt offiziell keine Hühnerbrust aus Arkansas mehr nach Sibirien, keine Gans aus Mississippi an den Ural. Am 10. März nämlich hat der Kreml einen totalen Einfuhrstopp für US-Geflügel ausgerufen.
Kein Abfalleimer für "Bush-Beine"
Läppisch-lächerlich klingt das, nach Großmachtgehabe verklungener Jahrzehnte. Doch immerhin geht es um eine dreiviertel Milliarde Dollar für die Amerikaner, Hunderttausende Arbeitsplätze für die Russen - und wichtige Stimmen aus den Südstaaten, die Bush die Wiederwahl sichern könnten. Während US-Geflügelfarmer im Internet wieder einmal wider das Reich des Bösen wettern, freuen sich die Freihandelsanhänger: Das geschieht den US-Protektionisten recht.
Geflügelfreund Bush junior: Weltmachtsanspruch bei Nahrungsmittelhygiene
Denn die Russen revanchieren sich formvollendet. Anfang März hat der US-Präsident, schon ein Auge auf dem nächsten Wahlkampf, ausländische Stahlimporte in die USA durch Zölle verteuert. Mit verblüffender Gleichzeitigkeit begann die russische Polit-Kaste da laut über Qualitätsmängel amerikanischen Geflügels zu sinnieren, über Salmonellen-Befall, Antibiotika und allerlei Chemie im Import-Fleisch. Der russische Vizepremier gerierte sich gar als Streiter für mehr Qualität: "Russland ist nicht der Abfalleimer der Welt für mangelhafte Lebensmittel", tönte er. Dass es um Rache für die Strafzölle geht, nicht wirklich um Bazillen, ist dabei jedem klar. Eine besonders pikante Rache übrigens insofern, als amerikanische Hähnchenkeulen im russischen Volksmund "Bush-Beine" heißen.
Der wahre Nationalvogel
Der Handelskonflikt erzählt allerlei über amerikanisches Selbstverständnis. Das gebratene Hühnchen taugte schon immer als Herold des US-Nahrungsimperialismus, ob nun als Chicken McNugget, als Kentucky Fried Chicken oder in der scheinbar naturbelassenen Form. Der Biss in die mit Heinz-Sauce getränkte Hähnchenkeule ist ein geheiligter Moment der US-Esskultur, und der Truthahn war stets der wahre Nationalvogel, vergesst den Adler. Kein Wunder also, dass die Amerikaner es den Russen übel nehmen, wie da der gute Ruf ihres Federviehs in den Dreck gezogen wird. "In Amerika gibt es eine Menge Menschen, die Huhn essen, und die scheinen mir nicht krank zu sein", giftet der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick gen Moskau.
Der Konflikt erzählt noch mehr über den Zustand russisch-amerikanischer Wirtschaftsbeziehungen. Die russische Politik hat bewiesen, dass sie ganz kleinkariert das Juristen-Abc buchstabieren kann, mit dem die Wichtigkeiten des globalen Kapitalismus versteckt und geregelt werden. Nicht mehr um Chruschtschow-Doktrinen drehen sich die Gespräche mit den Amerikanern, sondern um eine neue "Nahrungssicherheits-Doktrin". Geradezu nassforsch sind die Forderungen, die da aus Moskau kommen: Delegationen von russischen Experten wollen durchs US-Imperium reisen und Geflügelfabriken inspizieren - ganz so, wie Uno-Kontrolleure durch den Irak fahren und nach Waffen fahnden.
Ärger in den Hühnchen-Staaten
Rentnerin auf russischem Markt: Preisexplosion dank staatlicher Autarkiewünsche
Fast klingt bei den Russen eine hämische Freude durch, wenn sie dem übermächtigen Partner Bedingungen diktieren. Während die zwölfköpfige, hochrangige Hühnchenstreit-Verhandlungskommission der Amerikaner Eile anmahnt, geben sich die Bedrängten gelassen: Die Amerikaner hätten doch erst letzte Woche ein 800-seitiges Erklärdokument eingereicht, das müsse erst mal übersetzt werden.
George W. Bush hat mit seinen Strafzöllen eine elementare Regel missachtet: Zum Handel gehören immer zwei, mit Allmachtsansprüchen gewinnt man wenig. Wenn die Russen blockieren, verliert auch Bush.
Nach dem Kalten Krieg mag Amerika davon geträumt haben, die unterdrückten Massen Osteuropas mit Hightech-Produkten zu beglücken. Tatsächlich läuft das große Geschäft weiter mit Low-Tech aus der Landwirtschaft: Jeden fünften Export-Dollar, den die Amerikaner in Russland einnahmen, verdienten sie mit dem Verkauf von Hühnchen und Gänsen. Fast jedes zweite amerikanische Ausfuhr-Hühnchen verzehrt ein Russe, in 38 US-Bundesstaaten wird das Geflügel gepäppelt. Schon zeigt ein US-Magazin ein gigantisches Hendl auf dem Rasen vor dem Oval Office - und rechnet vor, dass Bush in "Hühnchen-Staaten" mehr Wählerstimmen verlieren kann, als er in Stahl-Staaten gewinnt.
Ausgerechnet Kirgisien!
Der Streit birgt noch eine Überraschung: Während im Hafen von St. Petersburg zeitweise tonnen- und containerweise Hühnchenkeulen lagerten, probt die Zweite Welt bei der Lebensmittelhygiene den Aufstand gegen die Erste. Der Einwand "Euer Huhn ist nicht hygienisch!" ist hergesucht, glaubwürdig bleibt er gleichwohl. Russische Veterinäre zücken ihre Reagenzgläser, finden in immer neuen Keulen-Lieferungen hohe Salmonellen-Dosen und nutzen damit Ängste über industrielle Tier-Produktion, die es im Westen genauso gibt.
Wenn die Russen über Antibiotika im Fleisch klagen, über Konservierungsmittel, lange Lagerzeiten und unerträgliche Zustände in der Massenhaltung, klatschen verunsicherte Konsumenten auch westlich von St. Petersburg Beifall. Und schon vor den Russen haben Kirgisien, die Ukraine und Moldawien - angeblich aus Hygienegründen - den Import von US-Geflügel gestoppt. Kirgisien!
Frust für Iwan Normalverbraucher
Bei aller Schadenfreude über die Blamage des obersten amerikanischen Stahlkochers: Im Handels-Hickhack kommt auch die russische Seite auf den zweiten Blick mies weg. Hier ist ein Land, das anderthalb Jahrzehnte nach Beginn der Perestroika nicht gelernt hat, Grundbedürfnisse seiner Bevölkerung zu stillen. 70 Prozent des Geflügels, das die Russen letztes Jahr kauften, wurde in Amerika großgezogen. Und hier ist ein Land, das ganz wie zu Zeiten des Sozialismus Autarkie-Politik auf Kosten der Bevölkerung treibt. Schon hoffen Fabrikanten und Politiker unverblümt vor TV-Kameras, dass die heimischen Hühnchenfarmer dank des Hendl-Embargos endlich flügge werden - in vielleicht eineinhalb Jahren. Der normale Russe muss derweil oft 30 bis 50 Prozent mehr Rubel fürs Huhn zahlen als vorher, wenn er überhaupt eins bekommt. Guten Appetit.