Duell der alten Männer

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Egozentriker:

Duell der alten Männer

 
17.02.02 15:39
Jassir Arafat und Ariel Scharon verkörpern mit ihrer Lebensgeschichte den Nahostkonflikt. Jetzt bekämpfen sich die Erzfeinde in ihrer vermutlich letzten Schlacht.


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Der Mann in Schussweite trug ein Armeehemd und eine olivgrüne Militärmütze. Die Finger spreizte er zum Siegeszeichen, obwohl er kapitulieren musste. Kinderleicht hätte ihn der israelische Soldat, der ihn durchs Visier beobachtete, töten können. "Doch wir hatten versprochen, ihn zu verschonen", erinnert sich Ariel Scharon erbittert, "heute bedauere ich, dass wir ihn nicht erschossen haben." Der Davongekommene war Jassir Arafat, der an jenem Septembertag 1982 mit seinen PLO-Kämpfern gedemütigt aus dem umkämpften Beirut abziehen musste.

In einer bitteren Ironie der Geschichte stehen sich die beiden Gegner von damals nun wieder gegenüber: Scharon, 73, damals Verteidigungsminister, führt heute Israel als Premier, Arafat, 72, damals Guerillaführer, ist gewählter Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete.

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Arafat mit Clinton und Barak in
Camp David: Mitverantwortlich für
Scharons Wahlerfolg?

Seit der einstige General nun die Regierungsgeschäfte des jüdischen Staates führt, mutiert der Nahostkonflikt immer mehr zum erbitterten Duell zweier alter, verfeindeter Männer. Die beiden Fossile des israelisch-arabischen Konflikts sind Experten des Schlachtfelds, aber nicht des Dialogs, schon gar nicht miteinander. Arafat widmete sein Leben der - größtenteils - gewalttätigen Befreiungsbewegung Palästinas, Scharon hat diese sein Leben lang bekämpft.

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Ihr einziges persönliches Treffen:
Scharon und Arafat beim Aushandeln
des Wye-Abkommens 1998

"Wie ich Rabin vermisse!"

Einmal nur trafen sich Scharon und Arafat am Verhandlungstisch. Das war im Oktober 1998 im amerikanischen Wye, als Scharon unter Premier Benjamin Netanjahu als Außenminister diente. Die beiden plauderten sogar miteinander, wie sich ein Scharon-Berater erinnert: "Arafat erzählte, wie er in den fünfziger Jahren als Ingenieur in Kuweit Straßen und Brücken gebaut hat, Scharon schwärmte vom Leben als Farmer". Doch er weigerte sich strikt, dem Palästinenser die Hand zu schütteln - bis heute.

Mit dem hartgesottenen Israeli, das weiß Arafat, wird er nie Frieden schließen. "Wie ich Rabin vermisse!", klagt er vor Besuchern ständig über den Verlust seines ermordeten Friedenspartners. So drückt er arabisch-elegant aus, wie sehr er Scharon verabscheut. Der Israeli schmäht seinen Rivalen dagegen öffentlich mit Hassnamen. Meist nennt er ihn "unseren Bin Laden", der keine Autonomiebehörde, sondern eine "Koalition des Terrors" anführe. "Arafat ist noch immer derselbe wie 1982 in Beirut", erklärte Scharon kürzlich, bevor er den Palästinenserchef in dessen Hauptquartier in Ramallah praktisch unter Hausarrest des israelischen Militärs stellte.

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Faktisch unter Hausarrest:
Arafat in Ramallah

Dabei hatten die beiden Rivalen am Beginn ihrer Biografie durchaus einen gemeinsamen Feind - die britischen Mandatsherren. Arafat kämpfte gegen die Engländer in Ägypten, Scharon in der Reihen der israelischen Untergrundbewegung Hagana.

Doch schnell begann Arafat als Studentenführer in den fünfziger Jahren in Kairo Mitstreiter gegen Israel zu mobilisieren, Scharon verdiente sich unterdessen erste Sporen als Terroristenjäger. 1953 schuf und führte er die berüchtigte Sondereinheit 101, das erste Elitekommando gegen arabischen Terrorismus. Als Arafat 1959 die palästinensische Befreiungsbewegung Fatah gründete, war Scharon auf der Karriereleiter des Militärs bereits auf dem Weg nach oben. Im Sechs-Tage-Krieg befehligte er eine Panzerdivision auf dem Sinai. Während er danach auf Sondermission im Ausland reiste, schmuggelte sich Jassir Arafat - mal als Arzt, mal als Schäfer verkleidet - ins gerade von Israel besetzte Westjordanland, um dort Truppen für den palästinensischen Kampf zu sammeln.

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Ein historischer Händedruck:
Premier Rabin holte Arafat
1993 aus der Isolation

Scharons Bulldozer-Taktik

Die Mission, die palästinensischen Milizen im Gaza-Streifen auszuräuchern, wurde Anfang der siebziger Jahre erneut dem schlachterprobten Scharon übertragen - ein Einsatz, der ihn bis heute nach seinen eigenen Worten mit "tiefer Befriedigung" erfüllt. In sieben Monaten gelang es Scharons Soldaten, mehr als hundert mutmaßliche Terroristen zu töten und rund 750 zu verhaften. Damals erfand Scharon die Taktik, jede Einsatztruppe von einem Bulldozer begleitet zu lassen, der verdächtige Häuser sofort platt walzte. Steine werfende Jugendliche wurden mit der Drohung abgeschreckt, beim nächsten Mal werde ihr Vater oder Bruder deportiert. An etwa 30 Familien statuierte Scharon ein Exempel. Ihre Väter wurden - nur mit Wasser und Brot versorgt - an der Grenze zu Jordanien ausgesetzt.

Der Einmarsch der Israelis 1982 in Beirut hatte zum Ziel, Arafats dort untergeschlüpfte PLO endgültig zu zerschlagen. Tatsächlich gelang es Scharon "diese bösartigen Kriminellen" aus der libanesischen Hauptstadt zu vertreiben. Doch sein Erzfeind ging ins Exil nach Tunis und führte den bewaffneten Kampf von dort weiter. Deshalb frohlockt Arafat bis heute: "Ich habe Scharon eine Lektion erteilt. Zeigen Sie mir einen Menschen, der sagt, dass die Israelis die Schlacht von Beirut gewonnen hätten." Tatsächlich verließen die letzten israelischen Soldaten erst 1999 den Südlibanon, wo sie unter hohen Verlusten eine so genannte Sicherheitszone okkupiert hielten.

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Auslöser von Intifada II:
Scharon beim Besuch des Tempelbergs

Die Schmach von Oslo

Gerne brüstet sich Arafat, Leutnant der Reserve der ägyptischen Armee, er sei "der einzige arabische General, der nie besiegt wurde". 1994 fügte er Scharon eine besondere Schmach zu: Der Gegner der Friedensverträge von Oslo musste zusehen, wie Arafat im Triumph nach Gaza und in die Westbank einzog, nun als Vorsitzender der neuen palästinensischen Autonomiebehörde.

Mit einem radikalen Schwenk zum Friedensprozess und der Anerkennung des Staates Israel war es dem langjährigen Terroristenführer gelungen, die Gunst der internationalen Gemeinschaft zu gewinnen und damit sein Überleben zu sichern.

Obwohl Scharon dem Palästinenserchef allein die Verantwortung für die Intifada zuschiebt, hat er selbst seinen Anteil am Ausbruch des Hasses. In der hochgespannten Phase nach dem Scheitern des Gipfels in Camp David war der übergewichtige Ex-Militär Ende September 2000 auf das Allerheiligste der Muslime in Jerusalem, den Haram-al-Scharif, marschiert, den die Juden als Tempelberg verehren. Die hochprovokante Geste löste Unruhen und damit jene Kette von Gewalttaten aus, die bald als zweite Intifada der Palästinenser gegen Israel Schlagzeilen machte.

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Neuerdings willkommen im Weißen Haus:
Scharon zu Besuch bei US-Präsident Bush

Roter Teppich für Scharon

Trotz mehrerer Verpflichtungen zum Waffenstillstand hat Arafat den Terror gegen Israel bis heute nicht gestoppt, an dem sich auch Kämpfer seiner eigenen Fatah-Organisation beteiligen. Scharon seinerseits schürt das Feuer immer wieder, indem er in Phasen abflauenden Kampfes Häuser platt walzen oder gesuchte Extremisten auf offener Straße liquidieren lässt. Das israelische Friedenslager beschuldigt ihn deshalb, er sei an einem Friedensvertrag gar nicht interessiert. Sein einziges Ziel sei es, Arafat zu erledigen und die palästinensische Autonomie zu zerschlagen. Arafat dagegen weckt seinerseits Zweifel, ob er willens und in der Lage ist, vom Guerilla- und Befreiungskämpfer in die Rolle des verantwortlichen Staatsmanns zu wechseln.

Doch aus Sorge, sein Sturz könne nur schlimmeres Chaos provozieren, halten Europa und selbst die USA, wenn auch zögerlicher, weiter an "Mr. Palestine" fest. "Das ist ein Konflikt mit einem anderen Volk", warnt Außenminister Schimon Peres, "nicht mit einem Mann."


© SPIEGEL ONLINE 2002
Egozentriker:

Zankapfel Jerusalem

 
17.02.02 15:52
Es ist ein "Heiliger Krieg" um eine "Heilige Stadt". Und der Leidensweg Jerusalems, das Israelis und Palästinenser gleichermaßen als ihre Hauptstadt betrachten, ist noch längst nicht zu Ende.


Die nach Osten gerichteten Wände ihrer Häuser ließen fromme Juden seit Jahrhunderten unverputzt. "Erst, wenn wir Hebräer wieder in Jerusalem sind", beteuerte vor einem halben Jahrhundert Baron von Rothschild, "brauchen wir diese ständige Erinnerung an unsere Schmach nicht mehr."

Der prominente französische Großunternehmer bezog sich auf den römischen Kaiser Titus, der die heilige Stadt im Jahre 70 nach Christus dem Erdboden gleichmachen ließ und ihre jüdischen Bewohner in die Diaspora trieb. Die Rückkehr nach Jerusalem war denn auch ein gemeinsames Ziel, das die über die ganze Welt zerstreuten und in unterschiedlichen Glaubensrichtungen zerspaltenen Juden zusammenhielt. Zwar gehen heute immer mehr Historiker davon aus, dass die jüdische Geschichte Jerusalems auf ein paar Jahrhunderte begrenzt war und "Jeruschalajim" keineswegs von israelitischen Stämmen erbaut wurde, sondern lange vor der Einwanderung der Hebräer ins Land, wo Milch und Honig fließen, von den semitischen Kanaanitern gegründet worden war, doch das änderte nichts am Stellenwert der heiligen Stadt im Mikrokosmos des Judentums.

Als Israel die Altstadt im Sechstagekrieg 1967 eroberte, ließen die Rothschilds die Ostmauer ihres Palais wieder verputzen, und der Judenstaat Israel annektierte den Ostteil der Stadt kurzerhand. Doch diese "Wiedervereinigung" blieb ein einsamer Akt. Die Vereinten Nationen erblickten darin eine gravierende Verletzung des Völkerrechts, selbst die USA, sonst immer auf Seiten Israels, weigern sich bis heute, Israels Oberhoheit über den nicht-jüdischen Ostteil der Stadt, also über das palästinensische Jerusalem, anzuerkennen.

Die einseitig und weitgehend gewaltsam betriebene Ausdehnung des Geltungsbereichs der israelischen Stadtverwaltung ging mit der Sprengung "illegaler" palästinensischer Häuser, der willkürlichen Vergrößerung der Stadtgrenzen auf Kosten arabischen Gemeindelands und der Einpflanzung als Provokation empfundener jüdischer Siedlungen - nicht selten mitten in arabischen Siedlungsgebieten - einher. Denn das bis 1967 vom arabischen Jordanien verwaltete historische Jerusalem wurde ausschließlich von moslemischen und christlichen Palästinensern, zu denen sich auch die 4500 Armenier rechnen, bewohnt. Die Zwangsvereinigung war eben keine Wiedervereinigung, wie sie etwa in Berlin stattgefunden hatte. Denn die zirka 250.000 Palästinenser Ostjerusalems unterscheiden sich von den 300.000 zum größten Teil aus dem westlichen Ausland eingewanderten Bewohnern des geografisch säuberlich abgetrennten jüdisch besiedelten Westjerusalem, der Hauptstadt des 1948 gegründeten jüdischen Staates Israel, nicht nur in Sprache, Schrift und Religion, sondern auch im soziokulturellen, geschichtlichen und damit auch politischen Selbstverständnis.

Die Zwangsisraelisierung nahm von Anfang an krasse Formen an. So ist es Palästinensern de facto verwehrt, in ihrer eigenen Heimatstadt Häuser zu bauen, jüdische Siedler aus Brooklyn erhalten dagegen staatliche Vergünstigungen. Um die Judaisierung zu forcieren, baut die israelische Stadtverwaltung einen immer undurchlässiger werdenden jüdischen Siedlungsring um die Altstadt, womit das arabische Ostjerusalem vom palästinensischen Westjordanland physisch abkapselt ist.

Die islamischen Heiligtümer, die Al Aksa Moschee und der auf der gleichen Esplanade errichtete islamische Felsendom, wo der Fußabdruck des Propheten zu bewundern ist, der von dort auf seinem Schimmel Burak die himmlische Reise nach Mekka angetreten hatte, grenzen unmittelbar an die jüdische Klagemauer und an das historische Stadtviertel der Altstadt. Jede tragfähige Übereinkunft zwischen Juden und Moslems, politisch ausgedrückt zwischen Israelis und Palästinensern, muss die Aufgabe der israelischen Souveränität über den heiligen Moscheenkomplex beinhalten.

In den 1993 getroffenen Oslo-Vereinbarungen hatten Israelis und Palästinenser das knifflige Jerusalem-Problem jedoch erst einmal ausgeklammert, um es in der Endphase des Friedensprozesses zu lösen. Die Intifada der letzten Monate lässt jedoch einen längeren Aufschub nicht mehr zu.

Der unermüdliche Nahostvermittler US-Präsident Bill Clinton schlug daher vor, dem avisierten unabhängigen Palästinenser-Staat die Herrschaftsrechte über die beiden Moscheen zuzugestehen, wogegen Israel die Klagemauer, das jüdische Altstadtviertel und den unteren Teil des Tempelbergs erhalten sollte. Denn viele Israelis glauben immer noch, dass unter der Aksa-Moschee Reste des jüdischen Tempels zu finden sind, die dort der legendäre König Salomon angeblich bauen ließ. Israels Noch-Premier Ehud Barak ließ Bereitschaft erkennen, diesen Kompromiss anzunehmen, wenngleich er sich im Wahlkampffieber von dem Gedanken wieder distanzierte.

Doch wie immer der politische Kampf um Jerusalem ausgehen mag, eins können die Palästinenser schon verbuchen: Die USA und die internationale Staatengemeinschaft akzeptieren den Gedanken, dass der Staat Palästina - dessen Entstehung ernstlich niemand mehr in Frage stellt - Ostjerusalem zu seiner Hauptstadt machen wird, Seite an Seite mit der israelischen Hauptstadt Westjerusalem. Der Vorschlag des Vatikans - in Jerusalem leben immerhin 20.000 arabischsprachige Christen -, Jerusalem zu einer internationalen Stadt zu machen wie ehedem das marokkanische Tanger, hat dagegen keine Chance mehr. Vielleicht wird noch viel Blut fließen, ehe Detaillösungen gefunden werden, doch der große Rahmen steht bereits fest. Schade nur, dass Extremisten auf beiden Seiten immer noch die Möglichkeit haben, den Leidensweg Jerusalems zu verlängern.


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