Von Anke Kreuels
7. März 2002 Die Geschichte der menschlichen Verfehlungen ist lang, viel länger als die der Heldengeschichten. Seit Eva ihren Adam im Paradies in die Versuchung führte - und dieser sich der Verlockung hingab - ahnen wir, dass der Mensch sich nur schwer der Versuchung entziehen kann.
Auch am Neuen Markt sind die Unternehmen, Investoren, Analysten und die Deutsche Börse den Verlockungen erlegen. Die Deutsche Börse, weil sie einfach zu viele Gesellschaften zugelassen hat, angetrieben von der Hoffnung, dass der Neue Markt bald schon die Standardwerte in den Schatten stellt. Zur Erinnerung: Als die Deutsche Börse mit der Londoner Stock Exchange fusionieren wollte, da sollten die Blue Chips an die Themse wandern und Frankfurt wollte sich ausschließlich dem Neuen Markt widmen.
Investoren haben Lehrgeld bezahlt
Würde sich heute nur noch die New Economy in Frankfurt treffen, so wäre dies sicherlich ein überschaubares Häufchen an Analysten, Investmentbankern und Anlegern. Mittlerweile hat die Deutsche Börse wieder alle Segmente im Fokus und arbeitet am richtigen Mix zwischen neuer und alter Welt.
Die Investoren haben ihr Lehrgeld bezahlt, sie dürften so schnell nicht mehr an eine Welt grenzenloser Kursgewinne glauben. Auch diejenigen, die in der Hausse blauäugig vom Sparbuch direkt an den Neuen Markt wechselten, kennen wieder die Grundregel der Geldanlage: Höhere Rendite gibt's nur gegen höheres Risiko.
Analysten brauchen Mut
Im eigenen System gefangen sind die Analysten, die nun ihr Image aufpolieren müssen. Zum einen gibt's den berechtigten Verdacht, dass sie die Handlanger der Investmentbanker sind. Beispielsweise ist es beinahe unmöglich eine Verkaufsempfehlung für eine Aktie auszusprechen, die die Kollegen an den Markt bringen wollen. Auf der anderen Seite verlieren sie mit halbherzigen Empfehlungen ihre Glaubwürdigkeit.
Für den Neuen Markt liegt das Problem zudem in der begrenzten Zahl der Analysten. Für viele Unternehmen gibt es gar keine Beobachter, für andere gerade einmal die Konsortialbanken. Die beschäftigen sich höchstens aus alter Verbundenheit noch mit der Gesellschaft - und mit entsprechenden Eigeninteressen. Aber es gibt mittlerweile sogar viele Konsortialbanken, die seinerzeit an den Börsengängen viel Geld verdient haben und heute ohne Umschweife zugeben, dass sich für sie die Beobachtung der Aktie nicht mehr lohnt.
Neue Gesetze nehmen Probleme auf
Das vierte Finanzmarktförderungsgesetz nimmt das Problem auf und verlangt, dass künftig Analysten offen legen, ob sie oder ihre Bank Aktien der betreffenden Gesellschaft haben. Um das Vertrauen langfristig wieder herzustellen, helfen Regeln aber wenig. Überzeugen kann nur, wer sich traut, auch unbequeme Meinungen zu vertreten. Auch wenn dies bedeutet, dass sich die Unternehmen verstimmt zeigen.
Der Katalog von Vorschriften für die Unternehmen am Neuen Markt ist lang. Die Börse selbst spricht von den strengsten Börsenregeln der Welt. Auch viele Finanzmarktexperten halten den rechtlichen Rahmen für den Neuen Markt, mit den jüngsten Erweiterungen wie einer Delisting-Regel, strukturierten Quartalsberichten und der Meldepflicht für Aktiengeschäfte von Vorstand und Aufsichtsrat für umfassend.
Persönlicher Reichtum ist falsche Antriebskraft
Die Novellierung der Finanzmarktgesetze wird weitere Schwachstellen für den Finanzplatz Deutschland beheben. Vor allem die größeren Befugnisse des Bundesaufsichtsamtes für Wertpapierbesitz sollten dafür sorgen, dass beispielsweise Insidertatbestände künftig besser geahndet - und nicht als Kavaliersdelikte abgetan werden können. Verbesserungen wären aber noch möglich. So sollten sich Schadensersatzforderungen nicht nur gegen die Unternehmen, sondern auch gegen die Verantwortlichen richten. Denn nur wenn die Verursacher selbst haften, nehmen sie es mit der Ehrlichkeit vielleicht wieder genauer.
Aber das größte Problem des Neuen Marktes vermögen auch die strengsten Gesetze nicht zu verhindern. Wenn es Vorstände mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, wenn sie sich weniger von der unternehmerischen Idee als von der Hoffnung auf schnellen persönlichen Reichtum leiten lassen, dann versagen die Gesetze. Sicherlich ist es derzeit noch ein Manko, dass viele Vorstände mit Betrügereien wie bei Metabox, Comroad oder auch EM.TV ungestraft davon kommen.
Der Markt wird's regeln
Aber fraglich ist, ob die Aussicht auf eine fette Strafe die Gebrüder Haffa animiert hätte, Buchführung zu studieren anstelle Yachten zu steuern. Auch die Fantasie bei Metabox und Comroad bezüglich neuer Aufträge und Geschäftspartner wäre wohl kaum gedämpft worden. Selbst wenn sie gewusst hätten, dass man für lebhafte Hirngespinste auch ins Gefängnis kommt. „Die Legislative wird immer - das ist seit Urzeiten so - in ihren gesetzgeberischen Schritten bestimmten Marktveränderungen hinterher laufen. Die Rafinesse Einzelner ist in der Regel größer als die Gesetzgebungsgeschwindigkeit der Regierung und des Parlaments“, sagt etwa Rüdiger von Rosen, Leiter des Deutschen Aktieninstituts.
Der Neue Markt wird sich selbst bereinigen. Bereits heute achten Anleger akribisch darauf, welche Prognosen die Unternehmen abgegeben haben und was sie melden. Sie haben gelernt zwischen Public Relations und Fakten zu unterscheiden. Und bei Zweifeln am Management bleiben Investoren heute lieber einmal außen vor, bevor sie Kursverluste riskieren. Aber eines ist klar: Vor Betrug kann man sich nicht schützen, weder durch sorgfältige Analyse noch durch Gesetze. Selbst die Aussicht auf die Vertreibung aus dem Paradies konnte Adam nicht dazu bringen, der Versuchung zu widerstehen.
das Zentrum der Macht
7. März 2002 Die Geschichte der menschlichen Verfehlungen ist lang, viel länger als die der Heldengeschichten. Seit Eva ihren Adam im Paradies in die Versuchung führte - und dieser sich der Verlockung hingab - ahnen wir, dass der Mensch sich nur schwer der Versuchung entziehen kann.
Auch am Neuen Markt sind die Unternehmen, Investoren, Analysten und die Deutsche Börse den Verlockungen erlegen. Die Deutsche Börse, weil sie einfach zu viele Gesellschaften zugelassen hat, angetrieben von der Hoffnung, dass der Neue Markt bald schon die Standardwerte in den Schatten stellt. Zur Erinnerung: Als die Deutsche Börse mit der Londoner Stock Exchange fusionieren wollte, da sollten die Blue Chips an die Themse wandern und Frankfurt wollte sich ausschließlich dem Neuen Markt widmen.
Investoren haben Lehrgeld bezahlt
Würde sich heute nur noch die New Economy in Frankfurt treffen, so wäre dies sicherlich ein überschaubares Häufchen an Analysten, Investmentbankern und Anlegern. Mittlerweile hat die Deutsche Börse wieder alle Segmente im Fokus und arbeitet am richtigen Mix zwischen neuer und alter Welt.
Die Investoren haben ihr Lehrgeld bezahlt, sie dürften so schnell nicht mehr an eine Welt grenzenloser Kursgewinne glauben. Auch diejenigen, die in der Hausse blauäugig vom Sparbuch direkt an den Neuen Markt wechselten, kennen wieder die Grundregel der Geldanlage: Höhere Rendite gibt's nur gegen höheres Risiko.
Analysten brauchen Mut
Im eigenen System gefangen sind die Analysten, die nun ihr Image aufpolieren müssen. Zum einen gibt's den berechtigten Verdacht, dass sie die Handlanger der Investmentbanker sind. Beispielsweise ist es beinahe unmöglich eine Verkaufsempfehlung für eine Aktie auszusprechen, die die Kollegen an den Markt bringen wollen. Auf der anderen Seite verlieren sie mit halbherzigen Empfehlungen ihre Glaubwürdigkeit.
Für den Neuen Markt liegt das Problem zudem in der begrenzten Zahl der Analysten. Für viele Unternehmen gibt es gar keine Beobachter, für andere gerade einmal die Konsortialbanken. Die beschäftigen sich höchstens aus alter Verbundenheit noch mit der Gesellschaft - und mit entsprechenden Eigeninteressen. Aber es gibt mittlerweile sogar viele Konsortialbanken, die seinerzeit an den Börsengängen viel Geld verdient haben und heute ohne Umschweife zugeben, dass sich für sie die Beobachtung der Aktie nicht mehr lohnt.
Neue Gesetze nehmen Probleme auf
Das vierte Finanzmarktförderungsgesetz nimmt das Problem auf und verlangt, dass künftig Analysten offen legen, ob sie oder ihre Bank Aktien der betreffenden Gesellschaft haben. Um das Vertrauen langfristig wieder herzustellen, helfen Regeln aber wenig. Überzeugen kann nur, wer sich traut, auch unbequeme Meinungen zu vertreten. Auch wenn dies bedeutet, dass sich die Unternehmen verstimmt zeigen.
Der Katalog von Vorschriften für die Unternehmen am Neuen Markt ist lang. Die Börse selbst spricht von den strengsten Börsenregeln der Welt. Auch viele Finanzmarktexperten halten den rechtlichen Rahmen für den Neuen Markt, mit den jüngsten Erweiterungen wie einer Delisting-Regel, strukturierten Quartalsberichten und der Meldepflicht für Aktiengeschäfte von Vorstand und Aufsichtsrat für umfassend.
Persönlicher Reichtum ist falsche Antriebskraft
Die Novellierung der Finanzmarktgesetze wird weitere Schwachstellen für den Finanzplatz Deutschland beheben. Vor allem die größeren Befugnisse des Bundesaufsichtsamtes für Wertpapierbesitz sollten dafür sorgen, dass beispielsweise Insidertatbestände künftig besser geahndet - und nicht als Kavaliersdelikte abgetan werden können. Verbesserungen wären aber noch möglich. So sollten sich Schadensersatzforderungen nicht nur gegen die Unternehmen, sondern auch gegen die Verantwortlichen richten. Denn nur wenn die Verursacher selbst haften, nehmen sie es mit der Ehrlichkeit vielleicht wieder genauer.
Aber das größte Problem des Neuen Marktes vermögen auch die strengsten Gesetze nicht zu verhindern. Wenn es Vorstände mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, wenn sie sich weniger von der unternehmerischen Idee als von der Hoffnung auf schnellen persönlichen Reichtum leiten lassen, dann versagen die Gesetze. Sicherlich ist es derzeit noch ein Manko, dass viele Vorstände mit Betrügereien wie bei Metabox, Comroad oder auch EM.TV ungestraft davon kommen.
Der Markt wird's regeln
Aber fraglich ist, ob die Aussicht auf eine fette Strafe die Gebrüder Haffa animiert hätte, Buchführung zu studieren anstelle Yachten zu steuern. Auch die Fantasie bei Metabox und Comroad bezüglich neuer Aufträge und Geschäftspartner wäre wohl kaum gedämpft worden. Selbst wenn sie gewusst hätten, dass man für lebhafte Hirngespinste auch ins Gefängnis kommt. „Die Legislative wird immer - das ist seit Urzeiten so - in ihren gesetzgeberischen Schritten bestimmten Marktveränderungen hinterher laufen. Die Rafinesse Einzelner ist in der Regel größer als die Gesetzgebungsgeschwindigkeit der Regierung und des Parlaments“, sagt etwa Rüdiger von Rosen, Leiter des Deutschen Aktieninstituts.
Der Neue Markt wird sich selbst bereinigen. Bereits heute achten Anleger akribisch darauf, welche Prognosen die Unternehmen abgegeben haben und was sie melden. Sie haben gelernt zwischen Public Relations und Fakten zu unterscheiden. Und bei Zweifeln am Management bleiben Investoren heute lieber einmal außen vor, bevor sie Kursverluste riskieren. Aber eines ist klar: Vor Betrug kann man sich nicht schützen, weder durch sorgfältige Analyse noch durch Gesetze. Selbst die Aussicht auf die Vertreibung aus dem Paradies konnte Adam nicht dazu bringen, der Versuchung zu widerstehen.
das Zentrum der Macht