DM-Tauschrausch

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DM-Tauschrausch

 
31.05.02 08:05
DM-Tauschrausch

Wiedersehen und Schlange stehen

Von Eva Bahner

Anfang des Jahres wollten sich die Deutschen nicht von ihrer D-Mark trennen, jetzt stehen sie Schlange, um sie los zu werden. Noch immer stürmen Tausende täglich in die Landeszentralbanken, um ihre allerletzte Mark in Euro umzutauschen.

Hamburg - Eine Ameise krabbelt über Rockos Rücken, während er mit vier Anzugträgern im Aufzug des Bankgebäudes in der Hamburger Ost-West-Straße nach oben fährt. In der Hand hält der 30-jährige Obdachlose einen inzwischen selten gewordenen Schein, der für viele bereits zum Sammlerstück geworden ist. Für Rocko nicht. Er will die zehn Mark, die er auf der Reeperbahn geschenkt bekommen hat, zahlungskräftig machen, und zwar im zweiten Stock.

Er ist nicht der Einzige, der die alte Mark so schnell wie möglich los werden will. Die Menschenschlange beim Bargeldumtausch in der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank Hamburg, wie die Landeszentralbank nach der Bundesbankreform vor vier Wochen nun offiziell heißt, reicht von den Kassenschaltern bis zum Aufzug. "Es dauert ungefähr 30 Minuten", gibt der Mann vom Ordnungsdienst auf Anfrage bereitwillig Auskunft. Sobald eine der beiden Aufzugstüren aufgeht, empfängt er die herausströmenden Menschen mit der Frage: "Münzen oder Banknoten oder beides"? Denn danach werden die ungeduldigen Kunden auf die Schlangen verteilt.

Ein ganz normaler Vormittag für die Angestellten der Hauptverwaltung Hamburg, die von 8.30 bis 13.00 Uhr an den Schaltern das so genannte "Jedermanngeschäft" abwickeln. Bis zu 600 Menschen kommen täglich in die Hamburger Zweigstelle der Bundesbank, um die allerletzten Mark-Scheine und -Münzen in Euro umzutauschen. "Besonders groß ist der Andrang nach Feiertagen, wie zum Beispiel nach Pfingsten, wenn viele Leute zu Hause sind und beim Aufräumen noch altes Geld finden", sagt Christoph Kreienbaum, Pressesprecher der Hamburger Hauptverwaltung. Münzen und Scheine im Wert von 300.000 bis 500.000 D-Mark laufen täglich durch die Hände der Kassenwärter. "Rein rechnerisch hätte demnach jeder, der in der Schlange steht, noch 1000 Mark in der Tasche", sagt Kreienbaum.

Manchmal auch mehr, erzählt einer der "Schlangenwärter", wie sie der Pressesprecher nennt. Ein älterer Mann hatte einen Laden übernommen und war bei der Renovierung auf alte Bekannte gestoßen: In der Seitenverkleidung waren 80.000 Mark versteckt. An solchen Tagen gleicht der Kassenbereich des Bundesbankablegers einer Lotto-Annahmestelle. Wie kurz vor der Auszahlung ihres Hauptgewinns strahlt eine junge Türkin, die sich mit einem Zwillingswagen in die Gruppe der Wartenden eingereiht hat. Sie hatte einen mysteriösen Umschlag im Schrank gefunden. Als sie den Brief öffnete, überraschte sie zwar nicht ein ausgefüllter Lottoschein, dafür aber ein altbekannter Schein, und zwar im dreistelligen Bereich.

Für andere Wartende kommt der Umtausch weniger überraschend, sondern einfach verspätet. "Wenn die Leute im Krankenhaus sind, können sie ja wohl kein Geld tauschen", sagt ein älterer Herr, nachdem er gerade 4000 Mark in Euro verwandelt hat. Auch eine ältere Dame, die eigentlich in Spanien lebt, hatte bisher noch keine Gelegenheit zum Umtausch gefunden. Pure Absicht ist der reichlich späte Umtausch der Einnahmen eines Konkursverwalters. Wolfgang Peters von der Firma Treugarant hatte gehofft, den Kassenbestand von drei unterschiedlichen Unternehmen in Höhe von 2000 Mark im Mai schneller umtauschen zu können. Weit gefehlt.

Doch auch wenn es ums Geld geht, die Geduld hat hat ihre Grenzen. "Das ist ja schlimmer als im Februar", schimpft ein Mann mittleren Alters mit kariertem Anzug. Als sich eine Mittdreißigerin nach vorne durchkämpft, um zu schauen, wohin die Schlange führt, wird sie sofort zurückgepfiffen. Eine Frau, die aus dem Aufzug kommt, dreht sich sofort auf dem Absatz um, als sie die Menschenmassen sieht. "Da komme ich in einem Jahr wieder."
 
Grund zur Eile gibt es wahrlich nicht, denn die neun Hauptverwaltungen der Deutschen Bundesbank, die aus den Landeszentralbanken hervorgegangen sind, tauschen Mark bis in alle Ewigkeit um, und zwar kostenlos und unbegrenzt. Dennoch herrscht nicht nur im Norden Hochbetrieb. In der Hauptverwaltung Hannover sind es laut Angaben des Pressesprechers Joachim Nagel 300 bis 400 Personen pro Tag, die die alte Währung los werden wollen. In der Stuttgarter Hauptverwaltung tauschen ungefähr 250 Privatkunden am Tag alte Mark in Euro um. "Der Ansturm ist ungebrochen, und das schon seit Wochen und Monaten", sagt Gerhard Lorch, der in der Hauptverwaltung Stuttgart für den baren Zahlungsverkehr zuständig ist. Er kann sich das plötzliche Auftauchen der alten Münzen und Scheine nur mit dem Jahreszeitenwechsel erklären: "Die Winterklamotten werden in den Schrank gehängt und da taucht schon in der einen oder anderen Tasche noch ein Markschein auf."

Der Sommer, der im Norden bekanntlich etwas auf sich warten lässt, ist auch in der Hamburger Hauptverwaltung angekommen. Viele haben alte Scheine in Jacken, eine ältere Dame hatte 100 Mark in ihrer Theaterhandtasche gefunden. Auch über transatlantische Umwege landen alte Mark-Scheine wieder da, wo sie herkommen. Der Blaue, den Jan Nemecky im Geldbeutel trägt, war schon in Mexiko. "Ein verzweifelter Mexikaner hat alle angesprochen, die deutsch sprechen, weil er zu spät gemerkt hat, dass das Geld, das einer seiner Schwester für deutsche Bücher mitgeben wollte, hier gar nichts mehr wert war." So hat der 29-Jährige die 100 Mark wieder in die Heimat mitgenommen. "Ich hab ihm 50 Dollar dafür gegeben. Ich weiß gar nicht, wer jetzt eigentlich bei dem Deal Verlust gemacht hat." Auch die Scheine und Münzen im Wert von 80 Mark, die der italienische Geschäftsmann in einer weißen, zusammengeknoteten Plastiktüte in der Hand hält, waren zumindest schon einmal in Italien. "Ich arbeite sechs Monate in Deutschland, und da haben mir meine Freunde deutsches Urlaubsgeld zum Umtauschen mitgegeben", erzählt er.

Nach Angaben der Deutschen Bundesbank sind 84 Prozent der erwarteten D-Mark-Münzen, das sind 28,5 Milliarden Stück, bisher eingegangen. Rund 21 Milliarden Stück haben die Frankfurter als verschollen gemeldet. Der Wert der noch umlaufenden D-Mark-Münzen beträgt 7,7 Milliarden D-Mark, der der Scheine 12,3 Milliarden D-Mark. "Ich vermute, dass der Ansturm in den nächsten Wochen und Monaten noch anhält", sagt Lorch von der Hauptverwaltung Stuttgart. Er selbst habe im Handschuhfach seines Autos noch einen alten Schein gefunden, sagt der Banker.

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