Gegen die rasche Euro-Einführung in den EU-Beitrittsländern ist Mickey D. Levy, Chefvolkswirt der Bank of America, im STANDARD-Interview
"Von einer Erweiterung der Eurozone halte ich nichts."
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Bank of America
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Mickey D. Levy, Chefökonom
DER STANDARD: Die Konjunkturhoffnungen in Europa beruhen auf einem Aufschwung in den USA. Ist dieser bereits absehbar? Zuletzt gab es ja wieder pessimistischere Signale.
Levy: Ich glaube, ein Aufschwung ist realistisch. Die Risiken für eine Wirtschaftserholung sind kleiner geworden. Viele Daten sprechen für eine schrittweise Erholung mit Wachstumsraten von bis zu drei Prozent im dritten und vierten Quartal dieses Jahres. Die Fundamentaldaten, etwa das Konsumentenvertrauen, schauen bereits deutlich besser aus. Auch das Steuersenkungsprogramm von Präsident Bush sollte helfen.
DER STANDARD: Das hohe Budget-und Leistungsbilanzdefizit der USA oder das Neunjahreshoch der Arbeitslosenrate sind keine Konjunkturrisiken?
Levy: Nein. Es ist zwar keine Frage, dass das Beschäftigungsniveau hinterherhinkt. Aber das Vertrauen in die Wirtschaft erholt sich, ebenso die private Nachfrage, das sollte auch ein Wachstum in der Beschäftigung zulassen. Die US-Arbeitslosenrate wird aber bei ungefähr sechs Prozent bleiben, weil das Arbeitskräfteangebot stärker wächst als die Nachfrage.
DER STANDARD: Deutschland wird mit einem Budgetdefizit von etwas mehr als drei Prozent der "kranke Mann Europas" genannt. In den USA klettert das Defizit heuer auf vier Prozent.
Levy: Das US-Defizit ist sehr hoch, ich weiß. Aber der beste Weg, von diesem hohen Niveau herunterzukommen, ist noch immer höheres Wirtschaftswachstum. Wir hatten in der Vergangenheit schon höhere Budgetdefizite und sie haben definitiv nicht verhindert, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kam.
DER STANDARD: Wachstum anzukurbeln bedeutet in der Regel, höhere Defizite in Kauf zu nehmen, zumindest kurzfristig.
Levy: Ja. Auch das deutsche Defizit ist nur ein Symptom für das zu geringe Wirtschaftswachstum und die ausbleibenden Steuereinnahmen. Deutschland hat eine Antiwachstumspolitik, mit hohen Steuern und zu hohen regulatorischen Hürden auf dem Arbeitsmarkt. Ich empfehle strukturelle Reformen, die die Lücke zwischen den hohen Lohnkosten für Beschäftigte und dem niedrigen Lohn, den die Arbeiter am Ende des Tages bekommen, reduzieren. Auch Steuersenkungen sind nötig. Kurzfristig höhere Defizite würden sich über mehr Wachstum selbst finanzieren.
DER STANDARD: Der EU-Stabilitäts-und Wachstumspakt lässt aber keine höheren Defizite zu, obwohl eine Reformdebatte läuft.
Levy: Das Defizitkriterium greift in der Tat zu kurz. Der Pakt hat zwar zu durchschnittlich geringeren Budgetdefiziten in den zwölf Euroländern geführt, aber nichts an den zu hohen Staatsausgaben und Steuerniveaus geändert.
DER STANDARD: Nobelpreisträger Robert Mundell hat gefordert, dass die EU-Beitrittsländer, auch Großbritannien, rasch den Euro einführen sollten.
Levy: Von einer Erweiterung der Eurozone halte ich nichts. Die Währungsunion ist doch schon heute zu groß. Das ist das gleiche Problem wie mit dem Stabilitätspakt, wo alle Länder über einen Kamm geschoren werden. Die Europäische Zentralbank würde sich noch schwerer als jetzt tun. Wie soll eine Geldpolitik für Länder mit Inflationsraten von unter einem Prozent wie in Deutschland und einer Hand voll Staaten mit Inflationsraten von deutlich über drei Prozent ausschauen?
DER STANDARD: Die EU hat dafür, nach der Erweiterung gedacht, mit einem Schlag ein höheres durchschnittliches Wirtschaftswachstum als die USA.
Levy: Nur die Wachstumsraten zu vergleichen und davon einen gewissen Wettbewerb abzuleiten bringt sehr wenig. Wir leben nicht in einer Nullsummenwelt. Es geht allen besser, wenn alle Volkswirtschaften schneller wachsen.
DER STANDARD: US-Ökonomen geben immer gute Ratschläge, wie Europa zu mehr Wachstum kommt. Aber auch die USA leben nicht im Paradies, wenn man sich etwa die enormen Probleme der Pensionsfonds ansieht. Welche Strukturreformen hätten den die USA nötig?
Levy: Sie haben völlig Recht. Die größte Langzeitreform in den USA muss eine Reform auf dem Sektor der sozialen Sicherheit sein, von den Pensionen bis zum Gesundheitswesen. Im Pensionsbereich gehen wir etwa den Weg der Anhebung des Pensionsalters, aber klarerweise sind auch wesentlich radikalere Schritte denkbar, etwa eine verstärkte Privatisierung in diesem Bereich. Aber auch hier ist höheres Wirtschaftswachstum der wichtigste Punkt.
DER STANDARD: Was denken Sie im Wachstumszusammenhang über die Entwicklung des Euro-Dollar-Verhältnisses? EU-Ökonomen sagen, die USA setzen ihre Währung als strategische Waffe ein, die nur sehr kurzfristig wirkt, langfristig die US-Probleme etwa in der Leistungsbilanz aber erhöhen wird.
Levy: Mein Gefühl geht sehr stark in die Richtung, dass der Dollar nicht als strategische Waffe der US-Administration eingesetzt wird. In der gesamten Periode seit der Euroeinführung hat es keine klassischen Interventionen der US-Zentralbank gegeben, um den Dollarkurs zu heben oder zu drücken. Die einzige Währungspolitik der USA ist es, zuzulassen, dass der Dollar schwanken darf und der Markt über das Kursniveau entscheidet.
DER STANDARD: Die US-Exportwirtschaft ist aber jetzt wieder wesentlich konkurrenzfähiger.
Levy: Ja gut, aber gleichzeitig wird die US-Kaufkraft geschwächt. Die beiden Effekte sollten sich aufheben, wir haben da wie gesagt keine spezifische Dollarpolitik. Andererseits ist die starke Aufwertung des Euro sehr negativ für Kerneuropa, speziell Deutschland, das wegen der wesentlich größeren Exportabhängigkeit stark unter Druck gerät. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 16.5.2003)
"Von einer Erweiterung der Eurozone halte ich nichts."
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DER STANDARD: Die Konjunkturhoffnungen in Europa beruhen auf einem Aufschwung in den USA. Ist dieser bereits absehbar? Zuletzt gab es ja wieder pessimistischere Signale.
Levy: Ich glaube, ein Aufschwung ist realistisch. Die Risiken für eine Wirtschaftserholung sind kleiner geworden. Viele Daten sprechen für eine schrittweise Erholung mit Wachstumsraten von bis zu drei Prozent im dritten und vierten Quartal dieses Jahres. Die Fundamentaldaten, etwa das Konsumentenvertrauen, schauen bereits deutlich besser aus. Auch das Steuersenkungsprogramm von Präsident Bush sollte helfen.
DER STANDARD: Das hohe Budget-und Leistungsbilanzdefizit der USA oder das Neunjahreshoch der Arbeitslosenrate sind keine Konjunkturrisiken?
Levy: Nein. Es ist zwar keine Frage, dass das Beschäftigungsniveau hinterherhinkt. Aber das Vertrauen in die Wirtschaft erholt sich, ebenso die private Nachfrage, das sollte auch ein Wachstum in der Beschäftigung zulassen. Die US-Arbeitslosenrate wird aber bei ungefähr sechs Prozent bleiben, weil das Arbeitskräfteangebot stärker wächst als die Nachfrage.
DER STANDARD: Deutschland wird mit einem Budgetdefizit von etwas mehr als drei Prozent der "kranke Mann Europas" genannt. In den USA klettert das Defizit heuer auf vier Prozent.
Levy: Das US-Defizit ist sehr hoch, ich weiß. Aber der beste Weg, von diesem hohen Niveau herunterzukommen, ist noch immer höheres Wirtschaftswachstum. Wir hatten in der Vergangenheit schon höhere Budgetdefizite und sie haben definitiv nicht verhindert, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kam.
DER STANDARD: Wachstum anzukurbeln bedeutet in der Regel, höhere Defizite in Kauf zu nehmen, zumindest kurzfristig.
Levy: Ja. Auch das deutsche Defizit ist nur ein Symptom für das zu geringe Wirtschaftswachstum und die ausbleibenden Steuereinnahmen. Deutschland hat eine Antiwachstumspolitik, mit hohen Steuern und zu hohen regulatorischen Hürden auf dem Arbeitsmarkt. Ich empfehle strukturelle Reformen, die die Lücke zwischen den hohen Lohnkosten für Beschäftigte und dem niedrigen Lohn, den die Arbeiter am Ende des Tages bekommen, reduzieren. Auch Steuersenkungen sind nötig. Kurzfristig höhere Defizite würden sich über mehr Wachstum selbst finanzieren.
DER STANDARD: Der EU-Stabilitäts-und Wachstumspakt lässt aber keine höheren Defizite zu, obwohl eine Reformdebatte läuft.
Levy: Das Defizitkriterium greift in der Tat zu kurz. Der Pakt hat zwar zu durchschnittlich geringeren Budgetdefiziten in den zwölf Euroländern geführt, aber nichts an den zu hohen Staatsausgaben und Steuerniveaus geändert.
DER STANDARD: Nobelpreisträger Robert Mundell hat gefordert, dass die EU-Beitrittsländer, auch Großbritannien, rasch den Euro einführen sollten.
Levy: Von einer Erweiterung der Eurozone halte ich nichts. Die Währungsunion ist doch schon heute zu groß. Das ist das gleiche Problem wie mit dem Stabilitätspakt, wo alle Länder über einen Kamm geschoren werden. Die Europäische Zentralbank würde sich noch schwerer als jetzt tun. Wie soll eine Geldpolitik für Länder mit Inflationsraten von unter einem Prozent wie in Deutschland und einer Hand voll Staaten mit Inflationsraten von deutlich über drei Prozent ausschauen?
DER STANDARD: Die EU hat dafür, nach der Erweiterung gedacht, mit einem Schlag ein höheres durchschnittliches Wirtschaftswachstum als die USA.
Levy: Nur die Wachstumsraten zu vergleichen und davon einen gewissen Wettbewerb abzuleiten bringt sehr wenig. Wir leben nicht in einer Nullsummenwelt. Es geht allen besser, wenn alle Volkswirtschaften schneller wachsen.
DER STANDARD: US-Ökonomen geben immer gute Ratschläge, wie Europa zu mehr Wachstum kommt. Aber auch die USA leben nicht im Paradies, wenn man sich etwa die enormen Probleme der Pensionsfonds ansieht. Welche Strukturreformen hätten den die USA nötig?
Levy: Sie haben völlig Recht. Die größte Langzeitreform in den USA muss eine Reform auf dem Sektor der sozialen Sicherheit sein, von den Pensionen bis zum Gesundheitswesen. Im Pensionsbereich gehen wir etwa den Weg der Anhebung des Pensionsalters, aber klarerweise sind auch wesentlich radikalere Schritte denkbar, etwa eine verstärkte Privatisierung in diesem Bereich. Aber auch hier ist höheres Wirtschaftswachstum der wichtigste Punkt.
DER STANDARD: Was denken Sie im Wachstumszusammenhang über die Entwicklung des Euro-Dollar-Verhältnisses? EU-Ökonomen sagen, die USA setzen ihre Währung als strategische Waffe ein, die nur sehr kurzfristig wirkt, langfristig die US-Probleme etwa in der Leistungsbilanz aber erhöhen wird.
Levy: Mein Gefühl geht sehr stark in die Richtung, dass der Dollar nicht als strategische Waffe der US-Administration eingesetzt wird. In der gesamten Periode seit der Euroeinführung hat es keine klassischen Interventionen der US-Zentralbank gegeben, um den Dollarkurs zu heben oder zu drücken. Die einzige Währungspolitik der USA ist es, zuzulassen, dass der Dollar schwanken darf und der Markt über das Kursniveau entscheidet.
DER STANDARD: Die US-Exportwirtschaft ist aber jetzt wieder wesentlich konkurrenzfähiger.
Levy: Ja gut, aber gleichzeitig wird die US-Kaufkraft geschwächt. Die beiden Effekte sollten sich aufheben, wir haben da wie gesagt keine spezifische Dollarpolitik. Andererseits ist die starke Aufwertung des Euro sehr negativ für Kerneuropa, speziell Deutschland, das wegen der wesentlich größeren Exportabhängigkeit stark unter Druck gerät. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 16.5.2003)