Die Utopien des Herrn Schrempp

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Die Utopien des Herrn Schrempp

 
27.04.03 13:53
Schrempps Welt-AG ist noch Utopie
Von Thomas Schmitt

Was macht Jürgen Schrempp eigentlich so zuversichtlich? "Wir werden langfristig die Nummer eins in der Automobilindustrie sein", tönte der Chef von Daimler-Chrysler auf der jüngsten Hauptversammlung in Berlin. Mal wieder. Denn: "Unsere Maßnahmen greifen." Und: "Unsere Entscheidungen bringen zählbare Ergebnisse." Natürlich laufe nicht immer alles rund. Aber nach fünf Jahren Daimler-Chrysler "kann ich mit großer Überzeugung sagen: Wir sind auf dem Weg nach vorn."  

Was soll er seinen Aktionären auch sagen? Zähne zusammenbeißen und bitte, bitte durchhalten. Das Desaster, das mit der Fusionsankündigung am 7. Mai 1998 begann, ist ja nicht zu übersehen. Und schon gar nicht zu beschönigen: Die deutsche Daimler und die amerikanische Chrysler haben seither ein Aktionärsvermögen von rund 66 Milliarden Euro vernichtet. Das sind 13,2 Milliarden pro Jahr, 36 Millionen pro Tag und und 25000 Euro in jeder Minute. Schwer faßbare Verluste, für die es wenig Entschuldigungen gibt. Denn die Konkurrenz zeigte, wie es anders und besser geht. BMW bewegte sich bravourös durch die Autokrise, weil die Münchner Ballast abwarfen und sich auf das Bauen guter Autos konzentrierten. Für Japans Toyota bleibt nichts unmöglich. Und selbst der bedrängte Marktführer General Motors (GM) schnitt im Urteil der Märkte wesentlich besser ab. Da hilft auch kein Verweis auf die miese Börsenlage. Wer gut wirtschaftet, den belohnen die Märkte oder bestrafen ihn wenigstens nicht so stark.  

Zwei Drittel Kursverlust vom Hoch in nur fünf Jahren sind jedenfalls ein miserables Zeugnis. Fast so schlimm wie am Neuen Markt. Doch hier geht es um den guten Stern aus Stuttgart. Ein Vorzeigeunternehmen, das aber offenbar mehr Geld vernichtet, als es reinholt. Was ist da bloß falsch gelaufen?  

"Dies ist eine historische Vereinbarung, die das Gesicht der Automobilindustrie verändern wird", sagte Schrempp am 7. Mai 1998. Zusammen mit Bob Eaton von Chrysler schuf er ein Mammut: 130 Milliarden Dollar Umsatz, 6,9 Milliarden Dollar Gewinn vor Steuern, 421000 Mitarbeiter. Das war die größte Fusion von zwei Industrieunternehmen bis dahin. Ein Konzern, der mehr Werte produzierte als Griechenland und pro Stunde 600000 Dollar verdiente. "Wir werden neue Märkte erobern, und wir werden die Rendite und den Wert für unsere Aktionäre verbessern", versprach Schrempp. "Wir sind ideal aufgestellt für den Markt von morgen", assistierte Eaton: "Weltklasse-Produkte und -Marken ergänzen sich hervorragend." Die Gewinne stimmten, die Perspektiven auch. Brav applaudierten stets kritische Kleinaktionäre: "Sie haben uns viel Gutes versprochen, und Sie haben Ihr Versprechen eingehalten", sagte einer auf der Hauptversammlung 1999. Auch Deutschlands mächtigster Fondschef, Christian Strenger von der DWS, erteilte seinen Segen: "Die ersten Schritte eines langen Eheweges haben Sie beeindruckend schnell und erfolgreich zurückgelegt." Welch eine Feier und welch böses Erwachen!  

Bei Chrysler versiegten nicht bloß die Gewinne, das angebliche Juwel steckte bald tief in den Miesen. "Die Firma produzierte zu teuer, brachte zu wenig Neues auf den Markt, überfrachtete ihre Autos mit teurer Elektronik und wurde sie angesichts der Konkurrenz von Honda, Toyota und VW nicht an die Kunden los", urteilte der Schriftsteller Peter Schneider in der "Zeit". Schrempp reagierte 2001, aber warum so spät? Finanzchef Manfred Gentz sah ein kulturelles Problem: "Wir haben uns über zwei Jahre lang gesagt, die Amerikaner müssen es besser wissen, wir greifen nicht ein."  

Vielleicht beschäftigte sich Schrempp auch zu sehr mit seiner "Welt-AG". Im Jahr 2000 eroberte er Asien auf dem Weg zur "globalen und starken Präsenz in allen wichtigen Automärkten". Da machte es nichts, daß der neue Partner Mitsubishi 17 Milliarden Euro Schulden mit sich herumschleppte. Schließlich sollte die 34prozentige Beteiligung nicht konsolidiert werden. Schrempp wollte "unterschiedliche Kulturen pflegen" und begeisterte selbst im April 2001 noch einen Journalisten dieser Zeitung: "Am Ende dieser Rede möchte man aufspringen und rufen: Ja, Jürgen! Mit dir an die Weltspitze! Doch dann denkt man an den Aktienkurs und schweigt."  

Dabei beließen es die Aktionäre ein Jahr später nicht mehr. Einige forderten neue Köpfe und die Abtrennung von Chrysler. DWS-Fondsmanager Klaus Kaldemorgen schimpfte: "Im Vergleich zu Mitsubishi war Chrysler fast eine Perle." Die Dividende sank von 2,35 auf einen Euro, doch knapp 94 Prozent der Aktionäre entlasteten den Vorstand. Gleiches Spiel in diesem April. Die Zahlen sind wieder besser, die Dividende steigt auf 1,50 Euro.  

Was brachte die Welt-AG bisher? "Jahre der Reparatur, Jahre der Krisenbewältigung", urteilt der Münchner Aktionärsanwalt Jörg Pluta. Einzige Hoffnung für gebeutelte Aktionäre: Vielleicht geht Jürgen Schrempps Vision ja doch noch auf. Wer weiß schon, wie die Automärkte in drei bis fünf Jahren aussehen, ob Daimler-Chrysler dann nicht von Erfolg zu Erfolg eilt? Die Branche hängt ja stark vom Auf und Ab der Weltkonjunktur ab.  

Bis dahin bleibt den treuen Daimler-Eigentümern hoffentlich eine - wenn auch - magere Dividende. Und jener letzte Satz, den Schrempp ihnen auf der Hauptversammlung 2003 zurief: "Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen."

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 27.04.2003, Nr. 17 / Seite 37
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