"Die Torheit der Regierenden"
von Dr. Friedhelm BuschSo schlimm auch die Hochwasserkatastrophe im Osten Deutschlands für die Betroffenen im Einzelnen gewesen sein mag, sie hat gezeigt, dass Solidarität mit den Opfern und tätige Nachbarschaftshilfe mehr sein können als lediglich leere Worthülsen, die man über die Massenmedien in die Öffentlichkeit trägt. Spontan haben die Bürger Gelder in Millionenhöhe gespendet, haben sie dringend benötigte Nahrungsmittel, Kleider und Material dorthin geschickt, wo die erste Not gelindert werden musste.
Auch ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung ist der hehre Gedanke der deutschen Einheit noch lebendig. Ohne Eigeninteresse und ohne Hintergedanken. Eine Erkenntnis, die im bundesdeutschen Alltag angesichts der andauernden Milliardenforderungen aus dem Osten längst verschwunden zu sein schien.
Um so befremdlicher war die Reaktion mancher Politiker, die sich in der ersten Stunde der Not mediengewandt und wortgewaltig als kühne Macher präsentierten, ohne Wenn und Aber jedem Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe versprachen. Keiner dürfe nach der Flut schlechter gestellt sein als vorher, verkündete Kanzler Schröder entschlossen seinem Volk, ohne zu wissen, wie hoch die Schäden sein würden. Und die Finanzierung wurde gleich mitgeliefert: Die zweite Stufe der Steuerreform, also die steuerliche Entlastung des Mittelstandes und kleinerer Einkommen, werde verschoben.
Die wirtschaftliche Vernunft - ein Opfer der Fluten?
Was zuvor, nach der bereits erfolgten Senkung der Körperschaftssteuer, als unbedingt notwendige Maßnahme zum Erhalt der sozialen Symmetrie von der Regierung selbst gefeiert worden war, nun wurde es zur Behebung eines allgemeinen finanziellen Notstandes über den Haufen geworfen. Als Trostpflaster für die enttäuschten Einkommenssteuerzahler wird zeitgleich die Körperschaftssteuer vorübergehend wieder erhöht.Dass diese Steuermaßnahmen nicht im Geringsten ausreichen würden, jedem flutgeschädigten jeden Schaden zu ersetzen, haben die Fachleute im Umfeld des Kanzlers sehr schnell erkannt. Inzwischen wurde das Versprechen Gerhard Schröders auf eine Entschädigung der Unternehmen beschränkt. Aber auch dafür wird das Geld aus der verschobenen Steuerreform wohl kaum reichen.
Im Gegenteil: Die Maßnahme der Bundesregierung, die in Wirklichkeit einer Steuererhöhung gleicht, wird sehr wahrscheinlich der deutschen Wirtschaft einen erheblichen Schaden zufügen und den erhofften Aufschwung der Binnenkonjunktur bremsen, bevor er überhaupt eingetreten ist.
Mithilfe der verringerten Steuersätze sollten die Bürger und die Wirtschaft zu mehr Konsum und zu höheren Investitionen angeregt werden, um die gegenwärtige Wirtschaftsflaute in Deutschland endlich zu beenden. Stattdessen werden nun de facto Steuern erhöht, ohne dass das tatsächliche Ausmaß der Schäden, die Leistungen der Versicherungen und finanzielle Hilfen aus Brüssel feststehen. Offensichtlich wurde auch die wirtschaftliche Vernunft ein Opfer der Fluten.
Ein schlechtes Vorbild für Europa?
Gleichviel, wie die Bilanz der Flutkatastrophe am Ende aussehen wird, für den Kanzler und seinen Finanzminister gibt es schon heute - gewollt oder nicht gewollt - zwei positive Aspekte: Es entfällt nicht nur eine teure Steuerreform, die angesichts der leeren Kassen wohl kaum ohne eine höhere Verschuldung hätte verwirklicht werden können, es wird auch viel Verständnis in Europa geben, wenn Deutschland angesichts der wirtschaftlichen Folgen des Hochwassers die Maastricht-Kriterien verletzt.Frankreich und Italien werden mit großem Elan dem deutschen - schlechten - Vorbild folgen. Die Politik der finanzpolitischen Vernunft wirf auf der Strecke bleiben. Die Konsequenzen kann man heute schon erahnen: Höhere Inflationsraten, daraus resultierend steigende Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften. Am Ende wird eine stabilitätsorientierte EZB mit den Folterinstrumenten einer verschärften Zinspolitik drohen und die Zinsen anheben.
Dass die Bundesregierung angesichts der Konjunkturflaute und der bisherigen hohen Arbeitslosigkeit ohnehin die finanzpolitischen Vorgaben Brüssels nicht einhalten kann, wird eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit ohne größere Schwierigkeiten vertuschen können. Aus welchen Gründen auch immer, die europäische Stabilität gerät unter deutscher Führung in gefährliches Gewässer.
Versäumte Chancen
Dabei hätte diese Regierung die Gelegenheit nutzen können, zum Ausgleich der Flutschäden die Reformen anzugehen, die seit Jahrzehnten ganz oben auf der Tagesordnung deutscher Politik stehen: Den Wildwuchs im Sozialetat zurückschneiden und dadurch die Lohnnebenkosten senken, durch eine flexible Arbeitsmarktpolitik mehr Arbeit schaffen oder durch den Abbau konkreter Erhaltungssubventionen, wie zum Beispiel im Steinkohlebergbau, Mittel freisetzen, die in die Ausbildung im Osten investiert werden.Möglichkeiten, Sinnvolles zu tun, gäbe es mithin zuhauf. Aber nicht einmal in Ansätzen hat man in Berlin versucht, in einem 250 Milliarden-Euro-Etat umzuschichten und zu sparen, um Mittel für die Bewältigung der Schäden freizusetzen. Steuererhöhungen waren zu allen Zeiten auf dieser Welt ein wohlfeiler Weg, wenn es galt finanzielle Probleme auf die Schnelle zu lösen, ohne sich um die späteren Folgen zu kümmern.
Man muss kein Prophet sein, um die Gründe dieser Beschränkung zu sehen: Veränderungen im Sozialbereich, Streichung von Subventionen oder auch Eingriffe in die Lohn- und Tarifpolitik - sie sind unbedingt notwenig, um unser Gesellschaftssystem auf lange Sicht in Frieden und Freiheit zu erhalten. Aber all diese Maßnahmen führen postwendend zu lautstarken Protesten derer, die von diesen Zahlungen und Rechten vortrefflich leben, zu Lasten der steuerzahlenden Allgemeinheit.
Machterhalt als oberste Maxime
Wer also am lebenden Holz herumschneiden will, gefährdet unmittelbar die eigene politische Macht. Und wer ist dazu schon bereit, selbst, wenn er begreift, dass falsches Handeln am Ende alle und jeden und damit auch ihn selber ins Unglück führt.Die Weltgeschichte belegt eindrucksvoll diese Torheit der Regierenden.