AN DEN BÖRSEN handeln die Investoren derzeit nach der Devise „Augen zu und durch“. Obwohl der Krieg in Afghanistan weiter geht und sich die Rezession immer breiter macht, steigen die Kurse. So legte der Dax in der vergangenen Woche 7,13 Prozent auf 4910,07 Punkte zu. Am Neuen Markt verbuchte der Nemax-50 ein Plus von 6,05 Prozent, der Nebenwerteindex MDax schaffte einen Zuwachs von 1,48 Prozent.
DER VERGLEICH DER Zugewinne bei den drei Kursbarometern zeigt, dass vor allem die liquideren, häufiger gehandelten Standardwerte gefragt waren. Dies deutet darauf hin, dass sich institutionelle Investoren (Banken, Versicherungen, Investmentfonds) engagierten. Bei den Großanlegern sei nach wie vor die Angst groß, „die nächste Hausse zu verpassen“, begründet die Landesbank Baden-Württemberg diesen Trend.
DENNOCH ÜBERWIEGT bei den Analysten derzeit die Skepsis. Die Bankgesellschaft Berlin warnt: „Die Aktienmärkte nehmen in Form steigender Aktienkurse eine Wende der Konjunktur vorweg, die sich in den Wirtschaftszahlen noch gar nicht abzeichnet. Ein solcher fundamental noch nicht untermauerter Kursaufschwung birgt für den Fall, dass sich die Konjunkturerholung entgegen heutiger Erwartungen stärker hinausschiebt, größere Rückschlagsrisiken.“ Das Geldinstitut glaubt, dass der Dax erst dann die Marke von 5200 Punkten überwinden könne, wenn „die erhoffte Konjunktur- und Ertragswende durch harte ökonomische Fakten unzweifelhaft bestätigt worden ist“.
IN DIESER WOCHE könnte es bereits einige böse Überraschungen geben. Damit rechnet zumindest HSBC Trinkaus & Burkhardt. Allein elf Unternehmen, deren Papiere im Dax enthalten sind, legen ihre Quartalsberichte vor. Den Auftakt machen am Montag Degussa und Henkel, gefolgt von BASF und Infineon (Dienstag), Lufthansa, Allianz, Bayer und Siemens (Mittwoch) sowie Eon, Linde und MLP (Donnerstag).
BEI DEN CHEMIETITELN BASF und Bayer erwarten die Analysten einen kräftigen Rückgang des Gewinns im dritten Quartal. Im Falle von Bayer schließen manche der Aktienexperten sogar nicht aus, dass auf Grund der anhaltenden Konjunkturschwäche eine weitere Gewinnwarnung erfolgen könnte. Bei BASF gelten die sinkenden Ölpreise als großer Unsicherheitsfaktor. Im zweiten Quartal war bei Europas größtem Chemiekonzern das Öl- und Gasergebnis noch um 53 Prozent geklettert. Es hatte damit praktisch zur Hälfte zum positiven Gesamtergebnis beigetragen.
AUF ROTE ZAHLEN müssen sich dagegen die Siemens-Aktionäre einstellen. Das liegt vor allem an der weltweiten High-Tech-Flaute. Im vierten Quartal des Ende September endenden Geschäftsjahres 2000/2001 dürfte erneut ein hoher Verlust entstanden sein. „Siemens wird zudem möglichst alle Belastungen noch in dieses Quartal packen“, sagte Theo Kitz, Analyst bei Merck , Finck & Co., zur dpa. Die soliden Gewinne aus dem Kraftwerksbereich, der Medizintechnik und von Osram würden das Ergebnis aber stabilisieren.
NOCH DÜSTERER SIEHT es bei Infineon aus. Bei Speicherchips, früher der Gewinnbringer, liegen die Preise derzeit weit unter den Herstellungskosten. Von Reuters befragte Branchenexperten rechnen mit einem Verlust vor Steuern und Zinsen von 667 Millionen Euro (Ebit). Das Ergebnis würde sich damit im Vergleich zum Vorquartal noch einmal um fast 12 Prozent verschlechtern. Enttäuschend könnten auch die Zahlen der Allianz ausfallen, warnt HSBC Trinkaus & Burkhardt. Der Versicherungsriese habe durch den erstmals teilweise einfließenden Verlust der Dresdner Bank mit einer zusätzlichen Belastung zu rechnen.
EINE STUNDE DER Wahrheit ist diese Woche ebenfalls für zahlreiche kleinere börsennotierte Gesellschaften. Unter den MDax-Werten veröffentlichen SGL Carbon, Stinnes, Salzgitter, Wella , Buderus, BHW Holding, K + S, Beru, Fielmann und Stada neue Geschäftszahlen. Am Neuen Markt sind unter anderem Mobilcom und die Discountbroker Comdirect Bank, DAB Bank und Consors an der Reihe.
AM DEUTSCHEN RENTENMARKT kam es in der vergangenen Woche überwiegend zu Kursgewinnen. Die Umlaufrendite öffentlicher Anleihen sank von 4,12 auf 4, 10 Prozent. Banken raten Anlegern derzeit davon ab, Langläufer zu kaufen. Die zehnjährige Bundesanleihe wirft eine Rendite von 4,27 Prozent ab. Auf diesem niedrigen Niveau dürfte das Kaufinteresse im kommenden Jahr nachlassen, meint die BHF-Bank. In den nächsten sechs Monaten könnte die Rendite wieder auf 4,5 Prozent anziehen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung