Wir leben in einer seltsamen Zwischenzeit. In Manhattan liegen noch an die 5000 Tote unter den Trümmern und jede Meldung über den Fortgang der Ermittlungen gegen die Massenmörder findet weltweit großes Interesse. Gleichzeitig wartet man auf den Gegenschlag; immer wieder hört man die Frage: Gibt es jetzt Krieg?
In Deutschland machen sich viele Menschen Sorgen, ob auch unser Land im Fadenkreuz der Terroristen ist. Fast alle erklären sich solidarisch mit Amerika, eine Mehrheit befürwortet den Einsatz des Militärs, deutlich weniger sind für eine Beteiligung der Bundeswehr.
Viele derer, die als kritische Intellektuelle durch die Lande und die Medien ziehen, tun das, was sie schon immer am liebsten getan haben. Unter Vorschützung des maximalen Durchblicks warnen sie vor allem Möglichen: vor der Unverhältnismäßigkeit der amerikanischen Antwort, vor der Gleichsetzung aller Moslems mit Terroristen, vor der Vereisung des innenpolitischen Klimas, vor dem Hurra-Patriotismus, vor der völkerrechtlichen Lage.
Antworten auf Fragen, die niemand stellt
Oft geben sie Antworten auf Fragen, die in diesem Moment niemand außer ihnen stellt. Und sie verhaken sich in Debatten über Gefahren, die randständig sind angesichts der Tatsache, dass in den USA Tausende sterben mussten, nur weil sie Amerikaner waren oder weil sie sich gerade am World Trade Center aufhielten.
Ein Beispiel. In der öffentlichen Debatte setzt kaum jemand die mehr als drei Millionen Muslime hierzulande mit Terroristen gleich. Unsere Nachbarn in Köln oder München, die zu Allah beten, haben mit dem Terrorismus so viel zu tun wie die allermeisten Deutschen mit rechtsradikalen Gewaltskins zu tun haben. Natürlich wird ausführlich darüber berichtet, dass die selbstmörderischen Massenmörder in den entführten Flugzeugen auch religiös motiviert gewesen sind.
Selbstverständlich versuchen wir Journalisten zu erklären, warum in manchen Terrorgruppen ein pervertiertes Islamverständnis zur Weltanschauung der Mörder gehört. Dies alles aber hat nichts mit Verurteilung einer Religion oder ihren Angehörigen zu tun. Trotzdem spulen die hiesigen Schlaumeier in hundert Talkshows ihre überhebliche Erkenntnis herunter, dass außer ihnen selbst doch kaum jemand differenziert denke.
Sehr beliebt ist in Deutschland auch die Bewertung der internationalen Politik nach juristischen Kriterien. Früher glaubten die Soziologen, sie verträten eine Universalwissenschaft. Heute beanspruchen dies die Juristen. Sie können sich endlos darüber auslassen, wann ein Krieg wirklich ein Krieg ist und ob ein Präsident nicht zuerst einen Durchsuchungsbefehl der UN erwirken sollte, bevor er die Special Forces in Marsch setzt.
Kein Anlass zum Alarmismus
Leider wird die Welt nicht von einem allgemein gültigen Gesetz oder einem globalen Strafgesetzbuch regiert – schon allein, weil es niemand frei von eigenen Interessen durchsetzen könnte. Die meisten Juristologen wissen immer genau, was man nicht tun darf – was dagegen zu tun ist, zum Beispiel nach dem Blutbad von Manhattan, wissen sie nicht.
Wenn sich die Bedrohungslage ändert, muss man reagieren – durch Überprüfung und vielleicht auch Verschärfung der Gesetze zur inneren Sicherheit; durch andere Schwerpunkte in der Außenpolitik; durch eine Reform der Reform der Bundeswehr. Allerdings besteht kein Anlass zum Alarmismus. Niemand in der Terrorszene nimmt Deutschland so wichtig wie es sich selbst nimmt.
Die Republik war bisher nur Zielscheibe hausgemachten Terrors. Der internationale Terrorismus hat sich immer nur gegen Israel und die USA gerichtet (auch die bombenden Algerier in Frankreich waren im weiteren Sinne hausgemachte Terroristen). Selbst nach dem Golfkrieg wurden außer den USA und Israel keine Staaten, die der Anti-Irak-Koalition angehörten, von Terroristen angegriffen.
Die Nato-Staaten werden bei bin Laden und Konsorten als Vasallen des jüdisch beherrschten Amerika gesehen. Warum sollten sie die Vasallen schlagen, wenn man die Herren treffen kann?
Quelle: Süddeutsche Zeitung