Die Story von Henry und Mary

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Dixie:

Die Story von Henry und Mary

 
19.07.01 08:09
A N A L Y S T E N

Die Story von Henry und Mary

Wie zwei US-Topanalysten durch dubioses Verhalten die Branche in Verruf brachten

Oh Henry! Er ist jung, blond, blauäugig und der bekannteste Analyst bei Merrill Lynch in
New York. Henry Blodget (35) verdient fünf Millionen Dollar im Jahr. Berühmt und reich
wurde er durch eine einzige Prognose im Dezember 1998. Bei einer Telefonkonferenz von
Analysten sagte er, dass die Amazon-Aktie, die damals schon bei 242 Dollar stand,
Potenzial für 400 Dollar habe.

Blodget hatte Recht und wurde zum Staranalysten. Bis der Kurseinbruch kam und Amazon
wie eine Sternschnuppe verglühte. Derzeit kostet die Aktie rund 20 Dollar. Und was hat
Blodget aus dem Desaster gelernt? Nichts. Heute empfiehlt er Amazon wieder.

Oh Mary! Nicht anders Blodgets große Rivalin Mary Meeker (41), die bei Morgan Stanley
Dean Witter für ein Jahresgehalt von 15 Millionen Dollar Internet-Aktien analysiert. "Diva of
the Internet" wurde sie auf dem Höhepunkt des Börsenbooms tituliert. Oder auch "Bloody
Mary", weil sie ihre Mitarbeiter triezt.

Meeker beobachtet derzeit 15 Dotcom-Aktien. Bis auf zwei stuft sie alle als "Strong Buy"
oder "Outperformer" ein, als hätte es einen Absturz der Internet-Aktien nie gegeben.

Henry und Mary pushten durch ihre überzogenen Prognosen den Internet-Boom. Sie taten
so, als seien sie Beobachter der Szene, dabei waren sie längst wichtige Akteure im
Börsenspiel. Fast täglich traten die Popstars der Internet-Welt bei den TV-Sendern CNBC
oder CNNfn auf und verbreiteten ihren unerschütterlichen Optimismus über die neue
Wirtschaft.

In ihren Research-Berichten jubelten sie die Jungunternehmen hoch. Sie schauten nicht auf

wirtschaftliche Erfolgsdaten wie Gewinn oder ähnlich antiquierte Maßeinheiten der alten
Wirtschaft. "Page Impressions" (Seitenaufrufe) waren für sie viel wichtiger.

Auch nachdem im Verlauf des vergangenen Jahres ihre heile Internet-Welt
zusammengebrochen war, hielten Blodget und Meeker an ihren überzogenen Prognosen
fest.

Die Arbeitgeber von Blodget und Meeker hatten großes Interesse daran, dass ihre beiden
Staranalysten den Internet-Boom anheizten. Die Investmentbanken konnten in diesem
euphorischen Umfeld einen IPO nach dem anderen platzieren und dadurch Millionen an
Provisionen kassieren. So nahm Morgan Stanley in drei Jahren fast eine halbe Milliarde
Dollar aus dem Geschäft mit Internet-IPOs ein.

Die Analysten halfen bei der Suche nach Börsenkandidaten. Mary Meeker brüstet sich
sogar: "Ich habe nie in meinem Leben ein IPO-Mandat einer Firma, die ich wollte, verloren."

Analysten, die sich als Investmentbanker betätigen, geben ihre Objektivität auf. Ein
Unternehmen, das sie selbst als IPO-Kandidaten geworben haben, können sie schwerlich
neutral bewerten. Die Antwort gibt Meekers Portfolio: Ihre "Strong-Buy"-Empfehlungen
betreffen fast nur Unternehmen, die Morgan Stanley an die Börse gebracht hat.

Nicht anders sieht es bei Blodget aus: Er empfiehlt meist Aktien von Firmen, die sein
Arbeitgeber Merrill Lynch börsenfähig gemacht hat. Wer kann da noch von Unabhängigkeit
reden?

Mit ihren durchsichtigen Spielchen diskreditierten Blodget und Meeker die ganze Zunft. Die
amerikanische Analystenschar sitzt plötzlich auf der medialen Anklagebank - und Blodget
bald auf der richtigen: Ein geprellter Anleger verklagte ihn und Merrill Lynch auf zehn
Millionen Dollar Schadenersatz.

Blodget habe wider besseres Wissen ein Unternehmen viel zu optimistisch beurteilt.

Die dubiosen Praktiken der Staranalysten haben immerhin bewirkt, dass die Unabhängigkeit
von Analysten inzwischen in den USA zu einem Thema geworden ist. Die Association of
Investment Management and Research (AIMR), eine Standesorganisation der Analysten,
arbeitet derzeit an einem neuen Berufskodex. Die Aufsichtsbehörde SEC untersucht einige
Fälle an der Wall Street. Und sogar der US-Kongress beschäftigt sich mit den
Interessenkonflikten.

Trotz der Kritik: Blodget und Meeker beharren bis heute auf ihren alten Positionen.

"Niemand ist für die Spekulationsblase verantwortlich", so Blodget, "Märkte benehmen sich
nun einmal so." Und Meeker sagt: "Es war allgemein bekannt, dass es sich um ein riskantes
und spekulatives Feld handelt."

Oh Henry! Oh Mary!

Wolfgang Hirn

Dixie:

Perfekte Marionetten

 
19.07.01 08:26
A N A L Y S T E N

Perfekte Marionetten

Mit immer neuen Kaufstudien waren sie wichtige Antreiber des Börsenhypes. Erst
der Crash entzauberte die Gurus. Was ist der Rat der Aktienexperten noch wert?
mm zeigt, wie Sie mit den Urteilen der Profis umgehen müssen.

Als Christopher Chandiramani im Frühjahr vergangenen Jahres die Aktie des Schweizer
Luftfahrtkonzerns SAir Group bewertete, machte er nichts anderes als seinen Job.

Gewissenhaft prüfte der Analyst der Züricher Investmentbank Credit
Suisse Bilanz, Strategie und Geschäftsaussichten der Airline, wog
Chancen und Risiken ab und kam schließlich zu einem negativen Urteil:
Das von der Fluggesellschaft angekündigte ausgeglichene Ergebnis,
schrieb Chandiramani auf den Internet-Seiten von Credit Suisse, werde
die SAir Group nicht erreichen. Im Gegenteil: Allein im ersten Halbjahr
2000 drohe ein Verlust von mindestens 625 Millionen Mark.

SAir-Group-Chef Philippe Bruggisser war ganz und gar nicht begeistert.
Der Konzernchef, nebenbei Verwaltungsratsmitglied der Bank,
beschwerte sich.

Mit Erfolg: Die Credit Suisse befürchtete den Abgang ihres Großkunden,
nahm die indirekte Verkaufsempfehlung umgehend von ihrer Webpage
und feuerte Chandiramani vier Tage, nachdem der Report an die
Öffentlichkeit gelangt war.

Der Fluglinie half dieser dreiste Rausschmiss wenig. Im vergangenen Jahr schrieb die SAir
Group einen Verlust von 3,6 Milliarden Mark, die Aktie stürzte ab, und heute gilt der
Konzern als Sanierungsfall.

Chandiramani, der inzwischen für eine Schweizer Investmentgesellschaft arbeitet, erhielt
als einzigen Trost für seine treffende Analyse eine Abfindung in Höhe von 250.000 Mark.

Die musste er sich allerdings mit anwaltlicher Hilfe von der Bank erstreiten.

So sieht es also aus mit der Unabhängigkeit der Analysten, jener Spezies, die für Profis und
Amateure ihre Urteile über die Chancen und Risiken von Aktien abgibt.

Die Schweizer Großbank findet sich in bester Gesellschaft. Allenthalben sind die
professionellen Ratgeber in Verruf geraten.

Die gigantische Vermögensvernichtung, die in den vergangenen Monaten am Neuen Markt
stattfand - sie ist nicht zuletzt auch auf das Versagen dieser Aktienjuroren
zurückzuführen.

Längst sind die Experten der Banken keine unauffälligen und neutralen Ratgeber mehr. Die
Analysten verstehen sich vielmehr als unverzichtbaren Teil der gigantischen
Gelddruckmaschine namens Börse, die den Banken seit Jahren Rekordgewinne beschert.

Nicht der Anleger ist es, der im Zentrum des Analysteninteresses steht. Es geht vor allem
um die großen Kunden der Bankhäuser:

Institutionelle Investoren wie zum Beispiel die Fondsgesellschaften: Sie wickeln als
Gegenleistung für die fundierten Untersuchungen ihre Wertpapiergeschäfte über die Bank
des Analysten ab und bescheren dem Kreditinstitut auf diese Weise hohe
Kommissionseinnahmen.

Unternehmen, die Fusionen oder Übernahmen planen: Für solche Zusammenschlüsse
wollen die Banken schmeichelhafte Studien sehen, um den Deal zu begleiten und so
stattliche Honorare zu kassieren.

Firmen, die einen Börsengang planen: Die Bank will den Schönheitswettbewerb um einen
der provisionsträchtigen Plätze im Emissionskonsortium gewinnen; da stört ein skeptischer
Analystenreport aus dem eigenen Haus natürlich.

Frage also: Kann der Anleger dem Rat der Banken überhaupt noch trauen? manager
magazin hat die merkwürdigen Methoden der Geldhäuser untersucht, legt die
Interessenkonflikte der Analysten offen und zeigt mögliche Lösungen für die Privat-anleger
auf.

Jonas Hetzer/Dietmar Palan/Christoph Seger





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