Besteuerung von multinationalen Unternehmensgruppen in den U.S.A.
Mit Urteil vom 20. Juni 1994 hat der U.S. Supreme Court (Barclays Bank v. Franchise Tax Board of California, slip op. 1 - 33) im Rahmen zweier miteinander verbundener certiorari-Verfahren (vgl. 28 U.S.C.A. §§ 1254, 1257; Sup. Ct. Rules 10 et seq.) entschieden, daß das bis vor kurzem in Kalifornien geltende System der Besteuerung von multinationalen Unternehmensgruppen ("Corporate Franchise Tax", Sondersteuer einer Corporation) nicht gegen die Bundesverfassung verstößt.
A. In den Vereinigten Staaten sind grundsätzlich zwei Systeme zur Ermittlung der Corporate Franchise Tax gebräuchlich. Die Höhe der Steuer bestimmt sich in beiden Systemen zunächst nach den Einkünften der Unternehmensgruppe. Bei Corporations, die auch außerhalb des besteuernden Staates tätig sind, stellt sich die Frage, wie aus den gesamten - manchmal weltweit erzielten - Unternehmenseinkünften derjenige Teil ermittelt wird, der Berechnungsgrundlage für die in dem betreffenden Staat geschuldete Sondersteuer ist.
I. Nach kalifornischem Recht wurde die Berechnungsgrundlage der Corporate Franchise Tax nach der "worldwide combined reporting" Methode festgestellt. Vereinfacht dargestellt sind danach zunächst die weltweiten Einkünfte der Unternehmensgruppe zu ermitteln. Ein bestimmter Prozentsatz dieses Gesamteinkommens bildete dann die Berechnungsgrundlage für die in Kalifornien geschuldete Corporate Franchise Tax. Die Höhe des Prozentsatzes bestimmte sich nach einer Formel, welche drei Faktoren berücksichtigte (Mitarbeiter, Vermögen und Umsatz). In dieser Formel wurde die Anzahl der Mitarbeiter, der Wert des Vermögens und die Höhe des Umsatzes innerhalb und außerhalb des Steuergebietes in Relation gesetzt. Die Methode ist u.a. deshalb umstritten, weil möglicherweise auch solche Einkünfte in die Berechnungsgrundlage einfließen, die nicht aus unternehmerischen Aktivitäten in dem besteuernden Staat resultieren. Kalifornien hat zwar diesbezüglich sein Steuersystem mit Wirkung Januar 1994 umgestellt. Da die "worldwide combined reporting" Methode aber noch immer in einigen Bundesstaaten angewandt wird, ist die Entscheidung des Supreme Court von aktueller Bedeutung.
II. In den meisten Bundesstaaten hingegen wird die Berechnungsgrundlage für die Corporate Franchise Tax nach der "seperate accounting" Methode ermittelt. Danach sind die verschiedenen weltweiten Einkünfte nicht durch eine mathematische Formel, sondern durch materielle Kriterien dem besteuernden Staat zuzuteilen. Grundsätzlich sind nur solche Einkünfte zu berücksichtigen, welche die im dem besteuernden Staat ansässigen Unternehmenseinheiten der international tätigen Gruppe erzielen.
B. Die Beschwerdeführer (Barclays Bank PLC, ein englisches Unternehmen der Barclays-Bank-Gruppe, und Colgate-Palmolive Co., die U.S. Muttergesellschaft der Colgate-Gruppe) wandten sich gegen das Besteuerungssytem des Bundesstaates Kalifornien. Dieses sei bundesverfassungsrechtlich u.a. unter dem Gesichtspunkt der "Interstate Commerce" und "Due Process clauses" zu beanstanden.
C. Der Supreme Court konnte keinen Verstoß gegen die Bundesverfassung feststellen.
I. Die "Commerce Clause" (vgl. U.S. Const., Art. I, §8, cl. 3) verleiht dem Congress die Kompetenz, "den internationalen Handel sowie den Handel zwischen einzelnen Bundesstaaten und mit den indianischen Stämmen" zu regulieren.
1. Diese Bestimmung wird schon seit Southern Pacific Co. v. Arizona ex rel. Sullivan, 325 U.S. 761, 769 (1945) dahingehend ausgelegt, daß sie auch den inneramerikanischen Handel beschränkende Gesetze von Bundesstaaten verbietet. Nach der Complete Auto rule (Complete Auto Transit, Inc. v. Brady, 430 U.S. 274, 279 (1977)) verstößt eine bundesstaatliche Steuer mangels Bestätigung durch den Congress dann gegen die Commerce Clause, wenn der Steuerzahler darlegen kann, daß
(1) diese Steuer sich auf eine Tätigkeit bezieht, ohne daß ein hinreichender Bezug zum besteuernden Staat besteht,
(2) die Steuer unangemessen hoch ist,
(3) sie den zwischenstaatlichen Handel diskriminiert oder
(4) sie unangemessen ist hinsichtlich der Gegenleistung des besteuernden Bundesstaates.
2. Das Gericht sah keinen Verstoß gegen die Complete Auto rule und wies insbesondere die Argumentation von Barclays zurück, wonach das kalifornische Besteuerungssytem schon deshalb eine diskriminierende Komponente habe, weil ausländische Unternehmen ihre Belege hinsichtlich ihrer Geschäfte in der ganzen Welt ins Englische übersetzen und die Beträge in U.S. $ umrechnen müßten. Schließlich enthielten die kalifornischen Steuervorschriften Bestimmungen (vgl. Cal. Code of Regs., Title 18, §25137-6(e)(1) (1985)), nach denen sich unter gewissen Umständen, insbesondere bei unangemessenem Aufwand, der Tax Board mit "vernünftigen Schätzungen" zu begnügen hat.
II. Diese Normen verstoßen auch nicht gegen das Gebot des "Due Process" (vgl. Amendments zur Bundesverfassung V und XIV, §1), wonach ein faires Verfahren zu gewährleisten ist.
1. Barclays war der Auffassung, daß ein solcher Verstoß vorläge, weil der Begriff der "vernünftigen Schätzungen" zu vage sei und daher die ausländischen Unternehmen im voraus nicht wüßten, ob ihre Schätzungen akzeptiert würden. Da Barclays keinen einzigen Fall anführen konnte, in dem Schätzungen als nicht vernünftig zurückgewiesen wurden, argumentierte Barclays, daß schon die Unbestimmtheit des Begriffs allein das Gebot des "Due Process" verletze, so daß eine Darlegung eines Falles, in dem der Steuerzahler Schaden erlitt, nicht erforderlich sei.
2. Der Supreme Court verwarf diese Argumentation u.a. deswegen, weil der Ermessens- spielraum des Tax Board durch die kalifornische Rechtsprechung weitgehend einge- schränkt wurde (vgl. 10 Cal. App. 4th, 1762, 14 Cal. Rptr. 2d, 549). Jedenfalls seien die verfassungsrechtlichen Grenzen nicht überschritten.
III. Eine Steuer, die den Handel mit dem Ausland betrifft, darf ferner weder zu einer Erhöhung des Mehrfachbesteuerungsrisikos führen (Container Corp. v. Franchise Tax Board, 463 U.S., 159, 184), noch darf sie die U.S.-Regierung behindern, "mit einer Stimme zu sprechen" (Japan Line, Ltd. v. County of Los Angeles, 441 U.S. 434, 449).
1. Der Supreme Court stellt fest, daß das kalifornische Besteuerungssytem von multinationalen Unternehmensgruppen nicht notwendigerweise zu einer Mehrfachbesteuerung führt und daß andere Systeme dieses Risiko nicht gänzlich beseitigen können; vielmehr führen auch andere Systeme in Einzelfällen zu einer Mehrfachbesteuerung.
2. Schließlich hindert das kalifornische Besteuerungssystem auch nicht die U.S. Regierung mit einer Stimme zu sprechen. Hätte der Congress die Einheitlichkeit der Besteuerung von multinationalen Unternehmengruppen insoweit für besonders wesentlich gehalten, so hätte er durch ein Bundesgesetz die "worldwide combined reporting" Methode verbieten können, was aber seit 1982 (Entscheidung im Fall Container Corp.) nicht geschehen ist. Während der letzten 30 Jahre wurde keiner der Gesetzesentwürfe, die das kalifornische System untersagt hätten, Gesetz. Der Supreme Court schließt daraus, daß die Einheitlichkeit der Besteuerung multinationaler Un- ternehmensgruppen nicht so wesentlich ist, daß die verschiedenen Besteuerungssysteme die U.S.-Regierung davon abhielten, "mit einer Stimme zu sprechen".
Aus diesen Gründen konnte der Supreme Court keinen Verfassungsverstoß feststellen.