HANDELSBLATT, Montag, 16. April 2007, 19:57 Uhr | |||
Wachstum 2007Wirtschaft strotzt vor ZuversichtDie deutsche Industrie hat zum Auftakt der Hannover-Messe ihre Wachstumserwartungen deutlich nach oben geschraubt. Im Maschinenbau laufen die Geschäfte unterdessen so gut, dass ein für die Arbeitnehmer fataler Trend der vergangenen Jahre zum Stillstand gekommen ist.
ari/jkn/gil HANNOVER Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erhöhte am Montag zu Beginn der weltgrößten Industrieschau seine Prognose für Deutschland auf bis zu 2,5 Prozent. Das ist ein halber Prozentpunkt mehr als zu Jahresanfang. BDI-Präsident Jürgen Thumann schließt nicht aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr zeitweise unter 3,5 Millionen sinkt. Das würde bedeuten, dass bis zu einer halben Million neue Stellen geschaffen werden. Ende März waren hier zu Lande 4,1 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Die Wachstumserwartungen hatten sich in den vergangenen Wochen bereits deutlich verbessert. Mehrere Forschungsinstitute und Banken hoben ihre Prognosen an. Mehrheitlich erwarten sie jetzt trotz der höheren Mehrwertsteuer ein Wachstum von zwei Prozent und mehr. Am Donnerstag legen fünf Institute ihr gemeinsames Frühjahrsgutachten vor.Viele Ökonomen sind davon überzeugt, dass sich der Aufschwung zumindest 2008 fortsetzt. Der Bundesbank zufolge steht Deutschland womöglich sogar erst am Anfang eines jahrelangen Aufschwungs. „Der Einstieg in das erste Quartal war günstig. Insofern besteht die Möglichkeit, dass wir unsere Prognose heraufsetzen“, sagte Bundesbankpräsident Axel Weber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Bislang rechnet die Bundesbank in diesem Jahr mit einem Plus von gut zwei Prozent Zu den besseren Aussichten tragen neben einer guten Stimmung in der Wirtschaft die deutliche Verbesserung am Arbeitsmarkt, eine Stabilisierung des Konsumklimas sowie gute Konjunkturdaten vom Export über die Industrieproduktion bis zur Bauleistung bei. Thumann rechnet damit, dass der Exportweltmeister Deutschland im laufenden Jahr seine Ausfuhren um bis zu zehn Prozent steigert. Wenn die Arbeitslosigkeit weiter sinke, werde dies auch den privaten Konsum ankurbeln, sagte er. Bis vor zwei Jahren wurde das deutsche Wirtschaftswachstum fast ausschließlich vom Export getragen. Seither kommen entscheidende Wachstumsimpulse auch von den Investitionen. Mit steigender Beschäftigung wächst die Chance, dass auch der private Konsum wieder dauerhaft zulegt. Allerdings warnte BDI-Präsident Thumann vor Übermut und mahnte weitere Strukturreformen an. Trotz der guten Wachstumsraten sei die deutsche Wirtschaft von einem nachhaltig höheren Wachstumspfad nach wie vor deutlich entfernt. Dies sehen führende Volkswirte ähnlich. Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), bezeichnet die derzeitigen Wachstumsaussichten als „erfreulich, aber im OECD- und europäischen Vergleich ist noch Luft nach oben“. Mit mehr als zwei Prozent liege das deutsche Wachstum immer noch nicht höher als das in den USA in schlechten Jahren, sagte Straubhaar dem Handelsblatt. Auch Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianzgruppe, warnt vor Überschwang. „Gefahren drohen insbesondere von der Währungs- und Kostenseite, sagte Heise. Es sei fraglich, ob die deutschen Exporteure ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten könnten, wenn jetzt die Löhne stärker stiegen als in den vergangenen Jahren. <!--nodist-->Lesen Sie weiter auf Seite 2: Bei den Maschinenbauern ist noch Luft nach oben <!--/nodist-->Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) teilt die Sorgen. Er plädiert für einen moderaten Tarifabschluss und spricht sich für erfolgsbezogene Regelungen aus. Insgesamt zeigte sich die deutsche Schlüsselindustrie aber sehr optimistisch. Ihre bisherige Branchenprognose von vier Prozent Wachstum sei „nicht in Stein gemeißelt“, teilte der Verband mit. Es könne auch mehr werden. Der VDMA hofft zudem, dass sich der positive Trend 2008 fortsetzt. Der Maschinenbau erlebt die längste Wachstumsphase seit mehr als 30 Jahren. 2007 erwartet der Verband einen Aufbau von 10 000 Jobs. Die Geschäfte der Branche laufen so gut, dass der Trend zu Produktionsverlagerungen ins Ausland gestoppt wurde. Die Auftragseingänge lägen derzeit weiterhin im zweistelligen Plus, und zwar im Inland wie auch im Ausland, sagte VDMA-Präsident Dieter Brucklacher. Dem folgten Investitionen im Inland Ausgesprochen positiv äußerten sich auch die Stahl- und Elektroindustrie. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl signalisierte, die Branche wolle 2007 rund 1,3 Milliarden Euro investieren. Der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes der Elektroindustrie, Gotthard Graß, hält ein höheres Wachstum der zweitgrößten deutschen Industriebranche als die bisher erwarteten fünf bis sechs Prozent für möglich. „Die bisherige Prognose ist nur der untere Rand“, sagte Graß. In vielen Bereichen würden zu enge Kapazitäten ein höheres Wachstum behindern. Es werde weltweit nur sehr zögernd in neue Kapazitäten investiert. Überraschend zurückhaltend ist dagegen die IT-Branche. Der Bitkom, die Dachorganisation der Informations- und Kommunikationsbranche, hält an seiner Wachstumsprognose von zwei Prozent fest. Die Stimmung sei zwar besser, berichtete Verbandspräsident Willi Berchtold. 78 Prozent der Hightech-Firmen erwarteten nach einer aktuellen Umfrage in diesem Jahr einen steigenden Umsatz.Doch der Bereich Telekommunikation „zieht die Zahlen nach unten. Für die Bereiche Software- und Dienstleistungen sind wir mit einem Plus von fünf bis sechs Prozent dagegen durchaus euphorisch“, sagte Bitkom-Chefvolkswirt Axel Pols. Hinzu kommt der anhaltende Preisverfall bei der Hardware, also Computern oder Netzwerkrechnern. <!-- ISI_LISTEN_STOP --> |