Gefeiert, gefallen - und jetzt?
Ihre Karriere war der Internet-Boom, ihr Absturz die Selbstüberschätzung – jetzt kämpfen die Helden von einst mit einer neuen Zeit.
Von Nina Bovensiepen
(SZ vom 29.8.2003) — Das Ambiente behagte dem Gastgeber ganz offensichtlich nicht. Ein kleiner, schmuckloser Konferenzraum im Münchner Hotel City Hilton, und von den Plätzen blieben die meisten unbesetzt, weil es nur fünf Journalisten interessierte, was Paulus Neef mitzuteilen hatte.
Das alleine muss einen Mann schmerzen, der in den trunkenen Zeiten der New Economy mit den Haffas und Mobilcom-Schmids für eine schillernde neue Wirtschaftselite stand. Freilich mühte er sich nach Kräften, diesem Eindruck entgegenzutreten. Einmal Unternehmer, immer Unternehmer, er fühle sich berufen, weiter kreative Ideen zu entwickeln, so Neef, der smart wie früher, aber deutlich zurückhaltender auftrat.
Der 43-Jährige hat nach einem unrühmlichen Abgang bei der von ihm gegründeten Multimedia-Agentur Pixelpark jetzt die nächste Firma ins Leben gerufen. Mit dieser schlüpft er bei dem früheren Konkurrenten GFT Technologies AG unter – was natürlich ein bisschen delikat ist.
Der verschwundene Sänger
Die Geschichte des Paulus Neef ist typisch für die kurzen, glanzvollen Jahre des Rausches, die abrupt in eine lange schmerzhafte Phase der Ernüchterung übergingen. Hochgearbeitet, die Leiter hinaufgeklettert, gefeiert, abgehoben – und dann gestürzt, gescholten und abgetaucht, ins Ausland, ins Private, in eine verschwiegene Nische.
Aufstieg und Fall vollzogen sich im Rampenlicht, dann ist es still geworden um viele der einstigen Lichtgestalten. Doch natürlich gibt es sie noch, einen Paulus Neef, der nun ein neues Standbein sucht, während er sich noch mit denen, die inzwischen das Ruder in seiner früheren Firma übernommen haben, streitet; einen Thomas Haffa, Stephan Schambach, oder Daniel David, der die erste Pleite des Neuen Marktes hinlegte.
Was macht so einer heute? Hat er Mut für einen Neuanfang? Hat er es überhaupt nötig zu arbeiten – oder hat er damals für immer ausgesorgt? Kann er sich noch blicken lassen in der High Society oder ist der Name für immer verbrannt? Hat er je für Fehler Rechenschaft ablegen müssen oder haben andere das Lehrgeld gezahlt?
Prominentestes Beispiel in der Kategorie "gerade noch davon gekommen" ist sicher Rudolf Zawrel, früherer Schlagersänger und Komponist. Er nannte sich Daniel David, als er seine Firma Gigabell am 11. August 1999, dem Tag der Sonnenfinsternis, an den Neuen Markt führte. "Wenn wir an die Börse gehen, geht die Sonne zwei Mal auf", lockte das High-Tech-Unternehmen.
Doch die Aktie war die erste am Neuen Markt, mit der die Anleger schon am Tag des Börsendebüts Geld verloren. In der Folge machten der gelernte Energieanlagenbauer Zawrel und seine Gigabell vor allem mit einer unwahrscheinlichen Burn rate auf sich aufmerksam – dem rasanten Tempo, mit dem das Unternehmen das an der Börse erlöste Geld verbrannte. Am 15. September 2000 implodierte diese Geschichte, das Geld war weg, der erste Insolvenzantrag am Neuen Markt wurde eingereicht.
Zawrel verschwand. Eine Spurensuche im Internet fördert ein im Jahr 2001 geführtes Interview mit Zawrel zutage, in dem er sein Bedauern äußert, dass er das Vertrauen der Aktionäre enttäuscht habe, gleichzeitig aber auf seine angeblich desolaten Finanzen verweist: "I have very little money left." Bei dem Insolvenzverwalter, der damals den Fall Gigabell übernahm, weiß man mehr. Das Ehepaar lebe inzwischen in Estepona bei Marbella.
Dorthin wurde Zawrel eine anhängige Klage zugestellt, denn im Oktober soll in Deutschland ein Prozess klären, ob der Mann zu einer Zeit, als die Gesellschaft schon die Insolvenz hätte anmelden müssen, noch Geld aus der Firma gezogen hat. Mit dem Erscheinen des Beschuldigten rechnet Insolvenzverwalter Dirk Pfeil freilich nicht – und Spanien wird ihn wegen der Vorwürfe auch nicht ausliefern.
Zu der finanziellen Situation Zawrels hat der mit dem Fall befasste Mitarbeiter Pfeils eine andere Einschätzung, als der gescheiterte Unternehmer selbst: "Wenn er das Geld nicht verprasst hat, müsste da noch ein Millionenvermögen sein."
Die Angeklagten
Wenn er Glück hat, dürfte Herr Zawrel also vergleichsweise unbeschadet davonkommen. Anderen gefallenen Stars der New Economy geht es da schlechter: Sie kämpfen vor Gericht um ihre Reputation und, soweit noch vorhanden, um Geld. Verloren hat diesen Kampf bereits Bodo Schnabel, der bisher größte bekannte Betrüger am Neuen Markt. Er wurde Ende vergangenen Jahres wegen Insiderhandels, Kursbetrugs und gewerbsmäßigen Betrugs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Mann hatte die Umsätze seiner Firma Comroad über Jahre hinweg größtenteils erfunden.
Seit dieser Woche muss auch der Gründer des Telekommunikationsunternehmens Mobilcom, Gerhard Schmid, einen Prozess fürchten: Die Staatsanwaltschaft Kiel wirft ihm vor, Geld veruntreut zu haben. Für den Mann, der einst die Telekom herausforderte, läuft es auch sonst schlecht. Nachdem Schmid, der an dem Kauf der UMTS-Lizenzen und dem Streit mit Großaktionär France Télécom scheiterte, den Chefsessel im Juni 2002 räumen musste, wird der 32-Prozent-Anteil, den der 51-jährige Pferdeliebhaber an seiner Firma noch hält, treuhänderisch verwaltet.
Die Aktien sind verpfändet
Die Aktien sind an Banken verpfändet. In diesem Jahr wurde das Insolvenzverfahren über Schmids Privatvermögen eröffnet. Seine Schulden hat der fränkische Maurersohn, der in der vom Manager Magazin regelmäßig veröffentlichen Liste der reichsten Deutschen im Jahr 2001 mit einem geschätzten Vermögen von 1,4 Milliarden Euro noch auf Platz 65 geführt wurde, einmal mit 200 bis 300 Millionen Euro angegeben. Es gibt auch höhere Schätzungen.
Finanziell deutlich besser gestellt, aber ebenfalls mit Gerichten befasst, ist Thomas Haffa, Gründer und früherer Vorstandschef des Medienunternehmens EM.TV, dessen Geschichte immer noch zu fantastisch klingt, um wahr zu sein: Früherer Schreibmaschinenverkäufer gründet eine Firma, die in den goldenen Zeiten des Neuen Marktes plötzlich mehr wert ist als die Lufthansa.
Haffa wird von Aktionären und Analysten gefeiert, Haffa lässt feiern auf Yachten in Cannes, Haffa bläst zum Kampf auf Disney und kennt auch sonst keine Grenzen – bis die Blase platzt. EM.TV scheiterte am Expansionsdrang. Im Juli 2001 trat Haffa zurück. Inzwischen hat das Landgericht München Thomas und seinen Bruder Florian zu Geldstrafen von 1,2 Millionen beziehungsweise 240.000 Euro verurteilt, weil sie falsche Halbjahreszahlen veröffentlicht haben sollen. Die beiden haben Revision eingelegt.
Thomas Haffa, der über den Verkauf eines kleinen Teils seiner Aktien einst rund 20 Millionen Euro erlöste und zurzeit noch 17,54Prozent an EM.TV hält, bereitet sich derzeit auf den zweiten Teil des Prozesses vor. Außerdem kümmert er sich um die Geschäfte seiner neuen Firma Air Independence, eine Fluggesellschaft, die Menschen, die sich das leisten können, exklusive Geschäfts- und Privatreisen anbietet.
Aus finanziellen Gründen hätte er das nicht nötig: Der 51-Jährige taucht mit einem geschätzten Vermögen von 200 bis 300 Millionen Euro auf Platz 229 unter den reichsten Deutschen auf. Auch wenn Haffa die öffentliche Anklage und der Ansehensverlust immer noch schmerzen, scheint er wieder mit seinem Leben im Reinen zu sein. Er reist viel durch die Welt, segelt Regatten und genießt das gesellschaftliche Leben, soweit er daran wieder teilnehmen darf.
Die Überlebenden
Weit weniger spektakulär und deutlich anders gelagert sind die Fälle von zwei Männern, die vor ein paar Jahren ebenfalls Wachstum, Wachstum, Wachstum und Internet predigten, um darüber letztlich zu fallen. Vor gut einem Jahr mussten kurz hintereinander der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Ron Sommer, und Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff ihre Schreibtische räumen.
Der promovierte Betriebswirt Middelhoff, der an der Zerreißprobe zwischen Gütersloh und New York, zwischen alter und neuer Ökonomie scheiterte, musste seinen Job am 28. Juli 2002 an den elf Jahre älteren Gunter Thielen abgeben. Middelhoff ging – mit einer Abfindung in zweistelliger Millionenhöhe. Die Rede ist von 20 oder 25 Millionen Euro. Jetzt arbeitet er für andere. Seit kurzem ist der 50 Jahre alte Vater von fünf Kindern als Partner und Leiter des Europageschäfts bei Investcorp unter Vertrag, einer Gesellschaft, die Geld vornehmlich aus den arabischen Ölstaaten in Firmenbeteiligungen investiert.
Bekannt wurde Investcorp, weil es Luxusfirmen wie Tiffany und Gucci übernahm und mit Gewinn an die Börse brachte.
Soweit, dass er schon wieder einen ausfüllenden neuen Job hätte, ist Ron Sommer, Jahrgang 1949, noch nicht. Der Mann, der die Deutschen zum Volk der Aktionäre machte und dem dann teure Einkäufe sowie der drastische Wertverfall der T-Aktie zum Verhängnis wurden, ist noch nicht ins öffentliche Leben zurückgekehrt. Die Tätigkeiten, denen er derzeit nachgeht, etwa ein Aufsichtsratsmandat bei der Münchener Rück und ein Beraterjob bei dem russischen Mischkonzern AFK, sind überschaubar.
Dafür widmet sich der grau melierte, stets gut gebräunte Mann, der auch über seine öffentlich zur Schau getragene Arroganz stolperte, seinen Vorlieben: Er hat einen Privatpilotenschein gemacht und verbringt viel Zeit in seinem Ferienhaus am Arlberg. Auch dank seiner Abfindung in Höhe von 11,6 Millionen Euro, die er damals erhielt, könnte Sommer sich das ruhige angenehme Leben noch lange leisten.
Beobachter glauben aber, dass er das gar nicht aushält. Der Mann mit dem Wiener Akzent werde bald wieder in einer prominenten Position auftauchen, heißt es. Das unterscheidet ihn von Betrügern wie Schnabel, Untergetauchten wie Zawrel und den vielen Namenlosen: Sie alle dachten in einer stürmischen Zeit, sie hätten ihr Glück gefunden – und scheiterten an der Wirklichkeit.