Selbst erfahrene Börsenprofis sind von der jüngsten Erholung europäischer Telekom-Aktien überrascht. Wochenlang zeigten sich Analysten angesichts milliardenschwerer Kosten für Lizenzen der nächsten Mobilfunk-Generation (UMTS) pessimistisch zu den Aussichten dieser Werte. Noch in der vergangenen Woche schrieb Frank Wellendorf von WestLB Panmure: "Die Kurse werden sich in den nächsten Wochen wahrscheinlich nicht so schnell erholen." Börsennotierte Unternehmen der Telekom-Branche in ganz Europa gewannen in wenigen Tagen mehr als zehn Prozent. Selbst Aktien der estländischen Eesti Telekom AS verteuerten sich an Frankfurter Börse noch um über zehn Prozent. Die Aktie der Deutschen Telekom legte nach einem Jahrestief von etwas mehr als 42 Euro am Dienstag zwischenzeitlich auf gut 48 Euro zu. Bis zum Börsenschluss verlor der Wert am gestrigen Mittwoch allerdings wieder 3,96 Prozent auf 47,07 Euro.
Überzeugende Erklärungen sind nicht leicht zu finden. "Das ist reine Psychologie. Die Stimmung hat gewechselt, nachdem der Markt die Aktien nach dem jüngsten Kursverfall für preiswert hält", begründet Wellendorf seine Fehleinschätzung. Es warnt jedoch davor, den jüngsten Aufschwung schon als Beginn eines dauerhaften Trends zu sehen. "Ich glaube, die Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Italien wird wieder Unsicherheit in den Markt bringen." Experten rechnen auch im Oktober in Italien mit einem Milliarden-Ergebnis bei der Versteigerung. Dort gibt es schon jetzt mehr Handys als Festnetzapparate.
Auch Roland Pfänder, Telekom-Analyst der BHF-Bank, sucht nach einem stichhaltigen Grund für die Erholung von Telekommunikations-, Technologie- und Medienaktien. "Es gibt keinen Auslöser dafür", sagt Pfänder. Die Vorliebe der Anleger für bestimmte Branchen sei auch Moden unterworfen. Nachdem die Kosten für die UMTS-Lizenzen bekannt und in den Kurse berücksichtigt seien, würden nun eher die Chancen der neuen Technologie gesehen.
Monatelang zeigten sich die Kurse der Telefongesellschaften wegen der Versteigerung von UMTS-Lizenzen in Europa schwach. Anleger waren besorgt, dass der Erwerb einer der teuren Lizenzen die Gewinne stark belasten. Bei der Versteigerung in Deutschland Mitte August stieg der Preis je Lizenz für die sechs siegreichen Unternehmen auf jeweils knapp 16,5 Millarden Mark (rund 8,46 Milliarden Euro). Mindestens weitere zehn Milliarden Mark wird die Betreiber der Ausbau des Funknetzes kosten.
Als Gewinner der UMTS-Einführung sahen Analysten deshalb in den vergangenen Monaten vor allem die Hersteller von Mobilfunkgeräten und Netzwerkausstatter wie die skandinavischen Anbieter Nokia und Ericsson. Sie können bereits verdienen, während die Telefongesellschaften noch mindestens zwei Jahre auf erste Umsätze warten müssten, lautete die gängige Begründung. Allerdings hätten sich inzwischen die Unternehmen darauf geeinigt, die Netze vollständig auf gegenseitiger Kreditbasis aufzubauen, sagt Christoph Vogt, Analyst der Privatbank MM Warburg. Diese müssten erst zurück gezahlt werden, wenn die Telefongesellschaften die ersten Einnahmen erzielten. Firmen wie Siemens, Alcatel oder Nokia seien gezwungen, Kredite aufzunehmen. Dies belastet das Ergebnis und damit die Aktien – das Vorgehen hatte auch schon in den USA zu Bedenken über die künftigen Geschäftszahlen der Netzwerkausrüster geführt.. (Rüdiger Schoß, dpa-AFX) (jk/c't)