Die PDS ist keine Partei, sondern ein Therapieprojekt: Warum niemand vor der SED-Nachfolgerin Angst haben muss
Von Tobias Dürr
Über keine gesellschaftlich bedeutsame Formation in Deutschland sind so viele Missverständnisse im Umlauf wie über die PDS. So halten nicht wenige Beobachter die Organisation, die 1990 das Erbe der SED antrat, inzwischen für eine "ganz normale Partei" - eine politische Partei sogar wie andere auch. In der Tat könnte man diesen Eindruck gewinnen. Schließlich hat die PDS eine Parteivorsitzende und einen Vorstand. Sie veranstaltet Parteitage und beteiligt sich - mit letzthin zunehmendem Erfolg - an Wahlen. Sie entsendet Abgeordnete in den Bundestag und in sämtliche ostdeutsche Landesparlamente; in - vorerst - einem Bundesland darf sie schon richtig mitregieren.
Weil die PDS obendrein ständig Programmdebatten betreibt, in denen es um Dinge geht wie "die Eigentumsfrage" oder die "Perspektiven des demokratischen Sozialismus", meinen manche, es müsse sich bei dieser Organisation um eine sehr linke und systemkritische Partei handeln. Dass sich die PDS eine "Kommunistische Plattform" leistet und eine vermeintlich verwegene junge Frau namens Sahra Wagenknecht, die auf Anfrage Stalin gut findet und den Mauerbau verteidigt, hat diesen Eindruck noch bekräftigt.
Aufrechte Antikommunisten alten Schlages warnen deshalb seit Jahr und Tag vor dem gefährlichen Treiben der PDS. Noch nicht allzu lange zurück liegt das beflissene, freilich eher kontraproduktive Wirken des christdemokratischen Pfarrers Peter Hintze gegen die "roten Socken". Sein Geist lebt fort; er durchzieht in diesen Tagen wieder einmal das alte Fronstadtmilieu der West-Berliner CDU, wo man noch immer fest an den unwandelbar umstürzlerischen Charakter der PDS glaubt. Für die antikommunistischen Warner und Mahner ist sie bis heute nichts anderes als eine Tarnorganisation, hinter deren freundlich angestrichener Fassade mindestens die Subversion der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgeheckt wird.
Das alles ist ziemlich falsch. Weder ist die PDS ist eine ganz normale Partei, noch im Ernst eine besonders linke oder sozialistische. Erst recht nicht geht von ihr irgendeine Gefahr für irgendwen aus. Das glauben, in einfältiger Eintracht, nur ihre habituellen Anhänger und Gegner, die ohne die Fiktion von der wichtigen politischen Funktion der PDS das wohltuende Selbstgefühl der eigenen Bedeutsamkeit einbüßen würden.
Nein, die PDS taugt überhaupt nur jenen als Anlass zu Hoffnung oder Furcht, die in ihr partout einen handlungsfähigen politischen Akteur sehen wollen. Doch gerade das ist sie am allerwenigsten. Denn in Wirklichkeit ist die PDS gar keine Partei. Viel eher ist sie ist ein Lebensgefühl - eine zum Milieu geronnene Mentalität, ein Kulturphänomen, das sich als Partei bloß kostümiert. Ausstaffiert mit den Insignien des politischen Betriebs führt diese Mentalität die Republik nun schon seit einem Dutzend Jahren an der Nase herum. Dass noch immer so viele darauf hereinfallen, ist das eigentlich Bemerkenswerte am Phänomen PDS. Natürlich, andere politische Parteien funktionieren ähnlich. Jedenfalls zum Teil. Regelmäßig ist es der selbstverständliche Einklang mit bestimmten gesellschaftlichen Milieus, mit deren Vorlieben und Ressentiments, der Parteien Stabilität und damit Erfolg verschafft. Kommt den Anführern die fraglose Loyalität der Anhänger erst einmal abhanden, werden sie zappelig, nervös und unbeständig. An diesem Leiden kränkeln die westdeutschen Parteien. Nach dem Verblassen der orientierenden Weltanschauungen sind sie ihres gesellschaftlichen Ortes nicht mehr sicher.
Nur für die PDS gilt das so nicht. Was die anderen zu wenig haben, hat sie zu viel. Wo jene nicht mehr Heimat sind, ist sie fast ausschließlich gerade dies. Mit ihren vielen Basisgruppen und Nebenorganisationen ist sie die Wärmestube einer zum Aussterben verurteilten Population, Schutzraum für die verrentete Dienstklasse des realen Sozialismus. Deren Lebensprojekt war die DDR, das zu ändern war es zu spät. In der neuen Ordnung nach 1989 sind diese Menschen nie wirklich angekommen: Sie wollten das nicht, sie konnten das nicht - und man hätte sie auch nicht gelassen.
So machten sich die Verbitterten und Verbohrten daran, sich ein eigenes hermetisches Refugium zu basteln. Das linderte ihr Trauma. "Ausgegrenzt zu sein tat zwar weh, war aber für manchen auch verlässlich identitätsstiftend", hat die Berliner PDS-Vorsitzende Petra Pau einmal hellsichtig angemerkt.
Wenigstens als großräumiges Sozialtherapie- und Integrationsprojekt ist die Partei demnach eine Erfolgsgeschichte: Was die Partei für sie bedeute, wollte die PDS unlängst unter ihren Mitgliedern ermitteln. "Der Ort, wo ich mich wohlfühle", antworteten darauf volle 96 Prozent. Das war eine gute Nachricht für die ganze Republik. Wer es behaglich hat, der stiftet schließlich keinen Unfrieden. Das paradoxe Verdienst, diese innergesellschaftliche Befriedung wider Willen vollbracht zu haben, ist der PDS kaum abzusprechen. Die ostdeutsche Transformation seit 1989 wäre ohne sie zweifellos noch viel holperiger verlaufen.
Langfristig und strategisch jedoch ist das nicht viel wert. Die politisch handlungsfähige Partei, in welche die hauchdünne Führungsschicht der PDS ihr binnenfixiertes Wohlfühlmilieu längst dringend transformieren will, dürfte auch in Zukunft nicht Gestalt annehmen. Zwar wird schon bald nichts mehr sein, wie es heute noch ist in der PDS: Wo volle zwei Drittel der Mitglieder über 60 Jahre alt sind und fast die Hälfte der Mitglieder bereits über 70, gehört zu dieser Prognose nicht viel Scharfsinn.
Doch mit Milieu und Mentalität könnte die PDS zugleich auch ihren erdigen Geruch nach ostdeutscher Heimat verlieren. Das mag sie endlich beweglicher machen, offener auch nach allen Richtungen - die verdrucksten Eingeständnisse der Schuld an Mauerbau und Zwangsvereinigung sind darauf ein Vorgeschmack. Irgendwann doch noch "angekommen" in dieser Republik und mutiert zur "ganz normalen Partei", wird die PDS erkennen, wie gut es sich lebte als Lebensgefühl. Es wird ihre beste Zeit gewesen sein.
Tobias Dürr ist Politologe und Chefredakteur der "Berliner Republik". Sein mit Franz Walter geschriebenes neues Buch "Die Heimatlosigkeit der Macht - Wie die Politik in Deutschland ihren Boden verlor" ist im Alexander Fest Verlag erschienen, hat 275 Seiten und kostet 39,80
Wer selber Leute kennt,die durch die "Übernahme der DDR" 1990 ihren Posten schlagartig innerhalb kurzer Zeit verloren,(wie die,die im Wirtschaftsministerium oder Verteidigungsministerium beschäftigt waren),die so aus ihrer Balanze geworfen waren,dass Sie sich monatelang danach nicht ans Telefon trauten,die dann Vertreter wurden,weil ohne Arbeit zu sein ehrenrührig wa, und deren Ehe danach durch die starke Belastung womöglich auch noch in die Binsen ging,kann die Aussage von Tobias Dürr nur bestätigen,dass die PDS hier unstrittig Heimat war für viele aus der Bahn geworfene alte SEDler.
Von Tobias Dürr
Über keine gesellschaftlich bedeutsame Formation in Deutschland sind so viele Missverständnisse im Umlauf wie über die PDS. So halten nicht wenige Beobachter die Organisation, die 1990 das Erbe der SED antrat, inzwischen für eine "ganz normale Partei" - eine politische Partei sogar wie andere auch. In der Tat könnte man diesen Eindruck gewinnen. Schließlich hat die PDS eine Parteivorsitzende und einen Vorstand. Sie veranstaltet Parteitage und beteiligt sich - mit letzthin zunehmendem Erfolg - an Wahlen. Sie entsendet Abgeordnete in den Bundestag und in sämtliche ostdeutsche Landesparlamente; in - vorerst - einem Bundesland darf sie schon richtig mitregieren.
Weil die PDS obendrein ständig Programmdebatten betreibt, in denen es um Dinge geht wie "die Eigentumsfrage" oder die "Perspektiven des demokratischen Sozialismus", meinen manche, es müsse sich bei dieser Organisation um eine sehr linke und systemkritische Partei handeln. Dass sich die PDS eine "Kommunistische Plattform" leistet und eine vermeintlich verwegene junge Frau namens Sahra Wagenknecht, die auf Anfrage Stalin gut findet und den Mauerbau verteidigt, hat diesen Eindruck noch bekräftigt.
Aufrechte Antikommunisten alten Schlages warnen deshalb seit Jahr und Tag vor dem gefährlichen Treiben der PDS. Noch nicht allzu lange zurück liegt das beflissene, freilich eher kontraproduktive Wirken des christdemokratischen Pfarrers Peter Hintze gegen die "roten Socken". Sein Geist lebt fort; er durchzieht in diesen Tagen wieder einmal das alte Fronstadtmilieu der West-Berliner CDU, wo man noch immer fest an den unwandelbar umstürzlerischen Charakter der PDS glaubt. Für die antikommunistischen Warner und Mahner ist sie bis heute nichts anderes als eine Tarnorganisation, hinter deren freundlich angestrichener Fassade mindestens die Subversion der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgeheckt wird.
Das alles ist ziemlich falsch. Weder ist die PDS ist eine ganz normale Partei, noch im Ernst eine besonders linke oder sozialistische. Erst recht nicht geht von ihr irgendeine Gefahr für irgendwen aus. Das glauben, in einfältiger Eintracht, nur ihre habituellen Anhänger und Gegner, die ohne die Fiktion von der wichtigen politischen Funktion der PDS das wohltuende Selbstgefühl der eigenen Bedeutsamkeit einbüßen würden.
Nein, die PDS taugt überhaupt nur jenen als Anlass zu Hoffnung oder Furcht, die in ihr partout einen handlungsfähigen politischen Akteur sehen wollen. Doch gerade das ist sie am allerwenigsten. Denn in Wirklichkeit ist die PDS gar keine Partei. Viel eher ist sie ist ein Lebensgefühl - eine zum Milieu geronnene Mentalität, ein Kulturphänomen, das sich als Partei bloß kostümiert. Ausstaffiert mit den Insignien des politischen Betriebs führt diese Mentalität die Republik nun schon seit einem Dutzend Jahren an der Nase herum. Dass noch immer so viele darauf hereinfallen, ist das eigentlich Bemerkenswerte am Phänomen PDS. Natürlich, andere politische Parteien funktionieren ähnlich. Jedenfalls zum Teil. Regelmäßig ist es der selbstverständliche Einklang mit bestimmten gesellschaftlichen Milieus, mit deren Vorlieben und Ressentiments, der Parteien Stabilität und damit Erfolg verschafft. Kommt den Anführern die fraglose Loyalität der Anhänger erst einmal abhanden, werden sie zappelig, nervös und unbeständig. An diesem Leiden kränkeln die westdeutschen Parteien. Nach dem Verblassen der orientierenden Weltanschauungen sind sie ihres gesellschaftlichen Ortes nicht mehr sicher.
Nur für die PDS gilt das so nicht. Was die anderen zu wenig haben, hat sie zu viel. Wo jene nicht mehr Heimat sind, ist sie fast ausschließlich gerade dies. Mit ihren vielen Basisgruppen und Nebenorganisationen ist sie die Wärmestube einer zum Aussterben verurteilten Population, Schutzraum für die verrentete Dienstklasse des realen Sozialismus. Deren Lebensprojekt war die DDR, das zu ändern war es zu spät. In der neuen Ordnung nach 1989 sind diese Menschen nie wirklich angekommen: Sie wollten das nicht, sie konnten das nicht - und man hätte sie auch nicht gelassen.
So machten sich die Verbitterten und Verbohrten daran, sich ein eigenes hermetisches Refugium zu basteln. Das linderte ihr Trauma. "Ausgegrenzt zu sein tat zwar weh, war aber für manchen auch verlässlich identitätsstiftend", hat die Berliner PDS-Vorsitzende Petra Pau einmal hellsichtig angemerkt.
Wenigstens als großräumiges Sozialtherapie- und Integrationsprojekt ist die Partei demnach eine Erfolgsgeschichte: Was die Partei für sie bedeute, wollte die PDS unlängst unter ihren Mitgliedern ermitteln. "Der Ort, wo ich mich wohlfühle", antworteten darauf volle 96 Prozent. Das war eine gute Nachricht für die ganze Republik. Wer es behaglich hat, der stiftet schließlich keinen Unfrieden. Das paradoxe Verdienst, diese innergesellschaftliche Befriedung wider Willen vollbracht zu haben, ist der PDS kaum abzusprechen. Die ostdeutsche Transformation seit 1989 wäre ohne sie zweifellos noch viel holperiger verlaufen.
Langfristig und strategisch jedoch ist das nicht viel wert. Die politisch handlungsfähige Partei, in welche die hauchdünne Führungsschicht der PDS ihr binnenfixiertes Wohlfühlmilieu längst dringend transformieren will, dürfte auch in Zukunft nicht Gestalt annehmen. Zwar wird schon bald nichts mehr sein, wie es heute noch ist in der PDS: Wo volle zwei Drittel der Mitglieder über 60 Jahre alt sind und fast die Hälfte der Mitglieder bereits über 70, gehört zu dieser Prognose nicht viel Scharfsinn.
Doch mit Milieu und Mentalität könnte die PDS zugleich auch ihren erdigen Geruch nach ostdeutscher Heimat verlieren. Das mag sie endlich beweglicher machen, offener auch nach allen Richtungen - die verdrucksten Eingeständnisse der Schuld an Mauerbau und Zwangsvereinigung sind darauf ein Vorgeschmack. Irgendwann doch noch "angekommen" in dieser Republik und mutiert zur "ganz normalen Partei", wird die PDS erkennen, wie gut es sich lebte als Lebensgefühl. Es wird ihre beste Zeit gewesen sein.
Tobias Dürr ist Politologe und Chefredakteur der "Berliner Republik". Sein mit Franz Walter geschriebenes neues Buch "Die Heimatlosigkeit der Macht - Wie die Politik in Deutschland ihren Boden verlor" ist im Alexander Fest Verlag erschienen, hat 275 Seiten und kostet 39,80
Wer selber Leute kennt,die durch die "Übernahme der DDR" 1990 ihren Posten schlagartig innerhalb kurzer Zeit verloren,(wie die,die im Wirtschaftsministerium oder Verteidigungsministerium beschäftigt waren),die so aus ihrer Balanze geworfen waren,dass Sie sich monatelang danach nicht ans Telefon trauten,die dann Vertreter wurden,weil ohne Arbeit zu sein ehrenrührig wa, und deren Ehe danach durch die starke Belastung womöglich auch noch in die Binsen ging,kann die Aussage von Tobias Dürr nur bestätigen,dass die PDS hier unstrittig Heimat war für viele aus der Bahn geworfene alte SEDler.