Die Motive derTrittbrettfahhrer

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vega2000:

Die Motive derTrittbrettfahhrer

 
16.10.01 09:38

„Anderen Angst machen, um die eigene Angst zu bewältigen“

Der Wiesbadener Polizei-Psychologe Rudolf Egg über die Motive von Nachahmungstätern, die mit Anschlägen drohen

Rudolf Egg ist Leiter der Kriminologischen Forschungsstelle in Wiesbaden, einer Einrichtung von Bund und Ländern. Sie wurde 1986 geschaffen, um Politiker, Behörden und Strafverfolger wissenschaftlich zu beraten. Der 53-jährige Egg ist Professor für Psychologie; mit ihm sprach Detlef Esslinger.

SZ: Um welche Charaktere handelt es sich bei Trittbrettfahrern?

Egg: Bei den meisten dürfte es sich um Menschen handeln, die sich damit aufwerten wollen. Wir hatten in der Vergangenheit es mit Männern zu tun, 30 oder 40 Jahre alt, die ihr Leben nicht in Übereinstimmung mit ihren Zielen bekamen. Deren Grundstimmung ist, dass sie auch einmal etwas Großartiges machen wollen. Auf sie wirkt eine Situation wie die jetzige als Auslöser. Und dann sehen sie, wie ganze Straßenzüge abgesperrt werden, wie die Medien berichten, und fühlen sich zur Nachahmung ermuntert.

SZ: Obwohl sie nicht einmal im Bekanntenkreis damit prahlen können?

Egg: Darauf kommt es ihnen nicht an. Sondern aufs eigene Selbstwertgefühl. Dass sie sich kurzfristig einreden können: Ich bin ein unerkannter großer Held.

SZ: Wie reagieren solche Menschen, wenn sie geschnappt werden?

Egg: Nun, ihre Grundannahme war ja, dass sie nicht erwischt werden können. Also sagen sie dann: Einen Schaden wollte ich gar nicht verursachen, es ist doch gar nichts passiert.

SZ: Das heißt wahrscheinlich, dass viele der Täter zuvor nie als Kriminelle in Erscheinung getreten sind?

Egg: Ja. Echte Kriminelle machen keine Trittbrettfahrer- Aktionen. So etwas ist denen fremd. Deren Straftaten sind instrumentell: Sie begehen einen Raub, weil sie Geld wollen. Aber warum eine Drohung in die Welt setzen? Davon haben sie doch nichts. Es sei denn, sie wäre Teil einer Erpressung. Aber das ist ja bei Trittbrettfahrer-Aktionen nicht der Fall. Trittbrettfahrer handeln nicht instrumentell, sondern expressiv.

SZ: Und weil es sich bei ihnen nicht um gewöhnliche Kriminelle handelt, hat die Polizei auch keine Daten über sie, was wiederum das Ergreifen so schwierig macht?

Egg: Das ist der eine Grund. Der andere ist, dass es naturgemäß dabei wenig Spuren gibt.

SZ: Handelt es sich bei ihnen um Menschen, die selber keine Angst haben?

Egg: Für manche könnte es, im Gegenteil, sogar eine spezielle Form der Angstbewältigung sein. Kleine Kinder haben oft Angst, von einem großen Tier gefressen zu werden. Also spielen sie einen Löwen oder Elefanten. Warum? Ja, wenn sie selber das gefährliche Tier sind, dann kann ihnen nichts mehr drohen. Ähnliche Muster der Konflikt- und Angstverarbeitung gibt es auch bei Erwachsenen. Nicht ganz so offensichtliche, aber es könnte sein, dass unter den Trittbrettfahrern Menschen sind, die in großer Angst sind, dass solche verseuchten Briefe auch in Deutschland auftauchen. Und dann bearbeiten sie ihre Angst, indem sie selber mit so etwas in die Welt gehen. Diese Drohung haben sie unter Kontrolle, davor brauchen sie sich nicht zu fürchten. Aber andere.

SZ: Das klingt etwas weit her geholt.

Egg: Aber ich würde es zumindest nicht ausschließen. Viele Menschen haben sich ja auch immer wieder die heranrasenden Flugzeuge und das einstürzende World Trade Center angesehen. Ein ganz typischer Mechanismus. Nicht, weil diese Menschen das so schön fanden, sondern weil dort etwas passiert ist, vor dem man selber doch auch Angst hat. Jeder hat diese unterschwellige Furcht vor einem Flugzeugabsturz. Und dann kann man sich selbst vor dem Bildschirm einreden: Ich bin hier, und mir geht’s noch gut. Es ist das wohlige Schaudern der Davongekommenen.

SZ: Die Medien können kaum verschweigen, wenn in Mainz oder Wiesbaden ganze Straßen abgesperrt werden. Zugleich bringen sie damit womöglich Nachahmer auf den Geschmack.

Egg: Die beiden Wiesbadener Zeitungen haben auf die Absperrung eines Stadtteils vergangene Woche sehr unterschiedlich reagiert. Das Tagblatt hat sehr ausführlich berichtet, auf Seite 1 und im Inneren. Der Kurier hat es nur als Meldung am Seitenrand gebracht, mit der Begründung, warum. Man kann darüber streiten, was besser ist.

SZ: Im Prinzip verbreiten Trittbrettfahrer aber nur Hysterie, nicht jedoch tatsächliche Gefahr?

Egg: Es könnten sich durchaus auch tatsächliche Gewalttäter aufgerufen fühlen. Die haben vielleicht nichts mit Osama bin Laden zu tun, finden aber: Mit den Amerikanern hat es doch gerade die Richtigen getroffen. Und jetzt, da diese die Afghanen bombardieren, dieses am Boden liegende Volk, setzen wir unsererseits ein Zeichen. Solche Täter verfügen nicht über Bio- Waffen. Aber sie drohen vielleicht damit.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
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