Realität zwingt zum Verzicht auf "Egoismus" in der Energiewirtschaft
Ein namhafter russischer Atomphysiker analysiert Wladimir Putins Artikel über die globale Energiepolitik.
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MOSKAU, 21. März (Akademiemitglied Jewgeni Welichow - für RIA Novosti).
Das Problem der globalen Energiesicherheit beunruhigt alle, weil es Momente enthält, die mit einer Bedrohung für die ganze Welt verbunden sind. Die rapide wirtschaftliche Entwicklung unserer Zivilisation verschärft den Konflikt zwischen Energiebedarf und den realen heutigen Möglichkeiten. Parallel existiert ein weiterer Konflikt: Zwischen einem intensiven Energieverbrauch und dessen Resultaten, die in einer anthropogenen Umweltbelastung zum Ausdruck kommen. Es entsteht die Gefahr einer globalen Einwirkung von Treibhausgasen auf das Klima.
Es gibt zwei Wege zur Lösung des globalen Energieproblems. Die erste Variante ist der "Egoismus in der Energiewirtschaft". Hier muss man Präsident Wladimir Putin beipflichten, der diesen Weg als eine "Sackgasse" bezeichnet hat. Dies würde bedeuten, dass sich die G8-Länder, die sogenannte "Wohlstandsmilliarde", auf sich selbst konzentrieren, während die anderen nach deren eigenem Ermessen überleben mögen. Dazu würde man allerdings Militärbündnisse, Flottenverbände usw. brauchen. All das wird zu großen Unannehmlichkeiten - internationalen Zusammenstößen verschiedener Ausmaße und einer Eskalation des Terrorismus - führen. Es wäre kurzsichtig, sich von denen abzuschirmen versuchen, die in eine schwere Lage geraten. Produktiv ist nur eine realistische, einheitliche und langfristige Politik. Gerade dieser Kurs könnte einen krisenfreien, sich eigendynamisch entfaltenden Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung der Welt gewährleisten.
Einerseits ist der globale Energieverbrauch gigantisch, andererseits leben zwei Milliarden Menschen überhaupt ohne Strom. Mit natürlichen Energieressourcen sind bei weitem nicht alle Länder ausgestattet und unter den G8-Ländern verfügt darüber nur Russland (zu einem gewissen Teil gilt das auch für Kanada). Das bedeutet, dass Russland fähig ist, die Energiesituation in der Welt zu beeinflussen. Putin, der vor kurzem den Themenkreis des bevorstehenden G8-Gipfels in Sankt Petersburg konzipierte, hatte auch früher mehrmals auf die Wichtigkeit dieses Problems hingewiesen.
Bereits beim Millennium-Gipfel in New York vor sechs Jahren schlug Russlands Staatschef vor, Schritte zu erwägen, die die Situation in der Welt stabilisieren könnten. Seine ständige Aufmerksamkeit für dieses Thema ist nicht bloß ein pazifistischer Aufruf - er zeugt von der Einsicht in die Globalität der Welt.
Die Situation mit Energieressourcen in der Welt wird immer schlechter. Erinnert sei allein an die galoppierenden Ölpreise. Für viele Länder sind die heutigen hohen Preise für diese wichtigste Energieressource eine Katastrophe, die die Gefahr einer absoluten Pleite in sich birgt.
In der Geschichte hat es zwar schon Fälle gegeben, wo politische Stress-Situationen und Kriege zu galoppierenden Preisen geführt haben, danach beruhigte sich aber die Lage. Noch vor 15 bis 20 Jahren war die Energie äußerst billig. Heute hat sich aber die Situation verändert und höchstwahrscheinlich für immer. Davon muss man auch bei der Auseinandersetzung mit dem Energieproblem und mit den Vorschlägen des russischen Präsidenten ausgehen, die in seinem in der westlichen Presse veröffentlichten Artikel formuliert wurden. Diese Vorschläge sind im Namen Russlands unterbreitet worden, das in der G8 den Vorsitz führt. Diese Thematik wurde auch beim jüngsten Treffen der Energieminister der G8-Länder in Moskau behandelt.
Ausgehend von der Einsicht, dass die Energiekrise keine vorübergehende Erscheinung ist, ist es wichtig, dass wir in globalen Dimensionen zu denken beginnen. Was bedeutet eine Krise? Sie bedeutet, dass sich die Ereignisse wie eine nukleare Kettenreaktion entwickeln, während die "Antwort-Kettenreaktion" darauf unzureichend ist. Es werden spontan Maßnahmen ergriffen, um dieses oder jenes Loch zuzustopfen, während die Welle der weiteren Ereignisse nicht zu stoppen ist. Als Folge entwickeln sich explosive kritische Situationen.
Die erforderlichen Maßnahmen müssen ausgehend von der Einsicht in diesen Prozess ergriffen werden. Wichtig, so Putin, ist die Suche nach Wegen zur Steigerung der Energieeffektivität, wozu neue Technologien anzuwenden sind. Spricht man von Russland, so muss man zugeben, dass wir Gas nicht besonders effektiv verbrennen, bei der Heizung von Wohnungen übermäßig viel Wärmeenergie verbrauchen sowie den Strom für die Beleuchtung unwirtschaftlich verschwenden.
Eine weitere wichtige Aufgabe der stabilen Entwicklung besteht in einer Stabilisierung, Erweiterung und Festigung der Märkte der wichtigsten Quellen der organischen Brennstoffe - Öl und Gas. Die Märkte müssen berechenbarer und lenkbarer sein. Sie müssen entsprechende Reserven haben sowie zugänglich und transparent sein.
Ich möchte auf die Wichtigkeit einer großen Aufgabe in der Gasindustrie hinweisen, bei deren Lösung Russland eine beachtliche Rolle spielen könnte. Gas wird hauptsächlich über Pipelines geliefert und lässt sich nicht wie Öl mit Tankschiffen überall hinbringen. Riesige Gasvorräte auf dem Arktischen Schelf Russlands könnten eine Quelle dafür sein, dass der globale Markt auf Flüssiggas umgestellt wird. Notwendig ist eine große Flüssiggas-Brücke zwischen Russland und Europa, die wir auch zu bauen beabsichtigen. Das Projekt erfordert natürlich internationale Anstrengungen und eine internationale finanzielle Unterstützung, die Umstände machen es aber unabdingbar.
Heute kann man nicht mehr mit einer wesentlichen Vergrößerung der Nutzung von Kohle rechnen, obgleich ihre globalen Vorräte noch beträchtlich sind. Mit diesem organischen Rohstoff sind große Transport- und Umweltprobleme verbunden. So wirkt sich die Kohleverbrennung in China bereits heute negativ auf die Umweltsituation in Japan aus. Aerosole und saurer Regen - all das macht unser Leben keinesfalls schöner.
Um die Umweltprobleme zu lösen und Möglichkeiten des Energieverbrauchs zu erweitern, muss der Atomenergiewirtschaft ein neuer Ansporn verliehen werden. Gerade die könnte ein wesentlicher und wirksamer Faktor bei der Bekämpfung der Krise sein.
Es gibt natürlich viele alternative Energiequellen, die gebraucht werden müssen: Sonne, Wind sowie Wasser- und Biomassenenergie. Die Dimensionen und das Entwicklungstempo dieser Quellen sind aber unzureichend, um die Dynamik der Energiekrise beeinflussen zu können.
Russlands Ressourcen gehören dem Staat, sie werden aber in einer staatlich-privaten Partnerschaft gefördert.
Es ist nicht möglich, damit zu rechnen, dass hier sich alles nur mit dem Geld der Steuerzahler allein stabilisieren lässt. Das Problem der Investitionen ist natürlich mit diversen Risiken verbunden. Ein Tankschiff mit 150 000 Tonnen Öl an Bord kann z. B. versinken. Ein Atomkraftwerk kann ausfallen. In beiden Fällen sind die Verluste gigantisch, ein Privatunternehmen könnte solche Risiken nicht tragen. Deshalb sind eine Verteilung der Risiken und die Festlegung der Anteile des Staates und dessen Partners äußerst wichtig. So müssen weltweit bis zum Jahr 2030 etwa 16 Billionen Dollar für die Entwicklung der Stromwirtschaft ausgegeben werden. Bei diesen Investitionen müssen sich aber die Geschäftsleute sicher sein, dass sie das Geld nicht verlieren, sondern auch einen Gewinn haben werden.
Im Bereich bedeutender internationaler Projekte kann man heute von einem großen Erfolg sprechen. Die USA, die EU, Japan, Russland, China, Indien und Korea haben vereinbart, ihre Ausgaben und Risiken beim Bau des weltersten Kernfusionsreaktors in Frankreich aufzuteilen. Ein entsprechender Vertrag ist nahezu fertig und wird, wie ich hoffe, im Juni, im Vorfeld des G8-Gipfels in Sankt Petersburg, unterzeichnet. Während das Geld heute investiert wird, soll die Anlage erst gegen 2030 fertig sein. Der Einfluss der Kernfusionskraftwerke auf die globale Energiewirtschaft wird in Zukunft riesig sein, nicht zufällig wird diese überaus starke Energiequelle als "irdische Sonne" bezeichnet". Die Kernfusionsreaktoren werden den kommenden Generationen dienen. Diese Projekte sind gerade die Tragpfeile der globalen Energiearchitektur, die nach Putins Worten den Nachkommen überlassen werden sollte, damit sie vor einem Energiekollaps und vor Konflikten geschützt werden.
Unser Autor: Akademiemitglied Jewgeni WELICHOW ist Präsident des Russischen Forschungszentrums "Kurtschatow-Institut" und Sekretär der Gesellschaftlichen Kammer Russlands.
de.rian.ru/analysis/20060321/44587770.html