Nach vier Jahren Boom rückt der Bullenmarkt seinem Ende näherAn den Börsen jagt ein Rekordhoch das nächste, und Unternehmen überbieten sich mit Ankündigungen von Übernahmen. Einiges deutet derzeit auf einen bevorstehenden finalen Gipfel hin. ra. Die Hausse nährt die Hausse, heisst es. Diese sprichwörtliche Erfahrungstatsache, mit der eine Marktphase beschrieben wird, in der steigende Aktienkurse das Publikum zu weiteren Käufen veranlassen, wodurch sich die Hausse weiter verstärkt, kennzeichnet in der Regel die letzte Phase eines Bullenmarktes. Führt das Verhalten der Anleger zum Überschiessen der Kurse, ist das Platzen der entstandenen Blase nicht fern. Die letzte Phase des Bullenmarktes endet laut Experten entweder mit einem psychologischen Schock, der den Kreislauf durchbricht, oder zur Überraschung aller ohne erkennbaren Grund, nachdem sich die Bullen ausgetobt haben. Wie nahe die Aktienbörsen nach vier Jahren Kursaufschwung derzeit dem Ende des Bullenmarktes sind, kann niemand wissen. Gewiss ist aber, dass sich die Hausse in einer Spätphase des Zyklus befindet. Wie vorausschauende Investoren agierenEine Hausse lässt sich in drei Phasen einteilen: In Phase eins harzt die Konjunktur, die Bilanzen der Unternehmen spiegeln die negative Entwicklung der Geschäftstätigkeit, Fusionen und Übernahmen (M&A) gibt es kaum, und die Öffentlichkeit hat genug vom Thema Aktien. Vorausschauende Investoren beginnen in dieser Zeit, trotz ungemütlicher Wirtschaftslage, ihre Positionen in Aktien auszubauen. In Phase zwei verbessert sich die Konjunktur und das Geschäftsklima für die Unternehmen, die Gewinne - und damit die Kurse - der Konzerne steigen, und die M&A-Tätigkeit zieht an. In Phase drei schliesslich brummt die Konjunktur, und die Unternehmen erzielen glänzende Gewinne. Es gibt eine grosse Zahl von Neuemissionen und positiven Firmennachrichten. Die Börse steht wieder im Zentrum des öffentlichen Interesses, und das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen läuft prächtig. Vor allem die Aussicht auf Übernahmen sorgt dabei für weitere Kursavancen - nicht die Gewinndynamik der Konzerne. Vorausschauende Investoren denken in dieser Phase darüber nach, wie sie Gewinne sichern. Angesichts von Rekordständen bei einigen führenden Indizes wie dem Dow Jones oder dem SMI und beinahe täglicher Ankündigungen von Fusionen und Übernahmen fällt es nicht schwer, zu erkennen, in welcher Phase sich die im historischen Vergleich bereits lange währende Hausse befindet. In der letzten Woche verzeichneten der Dow Jones sowie der SMI einmal mehr den höchsten jemals erreichten Wert. Und allein am gestrigen Montag wurden mit ABN Amro / Barclays, AstraZeneca / MedImmune sowie Iberia /British Airways drei Transaktionen angekündigt oder in Aussicht gestellt (vgl. Berichte im Wirtschaftsteil). Im ersten Quartal dieses Jahres gab es weltweit Käufe und Verkäufe von Unternehmen im Wert von 1,1 Bio. $. Inwieweit unter den Investoren bereits Euphorie herrscht, ist schwierig festzustellen. Angesichts der am vergangenen Freitag aufgrund möglicher Übernahmen förmlich explodierenden Aktienkurse von Banken spricht einiges dafür, dass die Marktteilnehmer mehr von Euphorie als von harten Zahlen geleitet werden. Zwar verweisen viele Finanzexperten von Banken stets darauf, dass Aktien im Vergleich mit Anleihen weiterhin attraktiver seien, die Kurs-Gewinn-Verhältnisse nicht überborden würden und die Konjunktur sowie die Unternehmensergebnisse robust seien. Doch ist klar erkennbar, dass die Gewinndynamik der Konzerne bereits nachlässt. Risiken wie die (zu Übertreibungen verleitende) hohe Liquidität, der steigende Ölpreis, geopolitische Unsicherheiten oder die Schwäche des US-Immobiliensektors, welche Börsianer derzeit eher ausblenden, könnten sich schnell auf das Geschäftsklima der Unternehmen und ihre Gewinne auswirken. Suche nach dem finalen GipfelTechnische Analytiker versuchen, die finale Gipfelbildung an den Börsen - und damit einhergehend die Euphorie im Markt - daran festzumachen, dass die Chart-Entwicklung eines Indexes und der dazugehörenden Advance-Decline- Linie (bildet sich aus dem Verhältnis von im Kurs gestiegenen und im Kurs gefallenen Aktien) nicht mehr parallel läuft. Dies ist derzeit bei vielen Indizes noch der Fall. Doch es gab in der Vergangenheit auch schon Gipfelbildungen, bei denen dieses typische Phänomen nicht auftrat. Wie nahe die Hausse ihrem Ende ist und ob im Markt bereits Euphorie herrscht, ist kaum zu sagen. Die Vergangenheit lehrt jedoch, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die Hausse mit der Euphorie stirbt. |
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