SPIEGEL ONLINE - 20. Juli 2002, 12:09
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Fehl-Ernährung
Die dicken Kinder von Deutschland
Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) hat die Lebensmittelwirtschaft angegriffen.
Sie gibt ihr eine Mitschuld am alarmierenden Trend zum Übergewicht bei Kindern.
Pommes Frites: Zu fett und überteuert
Hamburg - "Die Wirtschaft geht mit den Verbrauchern nicht ehrlich um", sagte Künast und bezog sich damit auf Werbeprinzipien der Nahrungsmittelindustrie, die Produkte als gut für die Entwicklung von Kindern hinstelle. Das Gegenteil sei oft der Fall. Süßigkeiten wie Schokoriegel oder Bonbons und Fast Food wie Tiefkühlpizza oder Pommes frites seien überzuckert, zu fett und zudem überteuert. "Eine Armada von Designern, sogar Akustikdesigner etwa für das "richtige Ploppen" bei Chips-Verpackungen, arbeitet daran, diese Produkte zu bewerben." Sie betonte: "Wir dürfen Eltern und Kinder mit der Lebensmittelwerbung nicht alleine lassen."
Nach Einschätzung der Ministerin sind die Hersteller maßgeblich mitverantwortlich für die verhängnisvolle Fehlernährung der Kinder und Jugendlichen. "In den letzten 15 Jahren hat sich der Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen mehr als verdoppelt", sagte sie. Jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche sei inzwischen zu dick. Das liege unter anderem auch daran, dass sich das Angebot an Kinderlebensmitteln in den vergangenen Jahren verdreifacht habe. Viele der Produkte seien mit Zusatzstoffen versehen, deren Wirkungen auf Kinder noch viel zu wenig erforscht seien. Künast forderte die Hersteller auf, gesündere Kinderlebensmittel zu produzieren, und kündigte Verhandlungen mit Branchenvertretern an.
Künast sprach auch die Zunahme von Allergien oder chronischen Erkrankungen an. Auslöser dafür sei immer öfter die Fehlernährung mit diesen Lebensmitteln. Die Folge seien massiv ansteigende Kosten im Gesundheitswesen und steigende Krankenkassenbeiträge, sagte Künast. "Eine Arbeitsteilung des Verdienens auf der einen und der Behebung der Folgewirkungen auf der anderen Seite darf es nicht geben."
Künast kündigte außerdem Gespräche mit den Kultusministern der Länder zum Thema Ernährung und Schule an. Sie bemängelte: "Die Versorgung in der Schule wird immer mehr zur Spardose der Länder." Folge sei eine stetig abnehmende Qualität des Essens für Kinder in Schulen, aber auch in Kindergärten und Kindertagesstätten. Außerdem komme das Thema in den Lehrplänen nicht mehr vor, Schulbücher wiesen gravierende Mängel auf. "Das Thema Ernährung gibt es in den Schulen nicht mehr", sagte Künast. "Die Kinder müssen aber mehr können, als eine Tüte Chips aufzureißen oder eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben."
Künasts Ministerium hat eine Verzehrstudie für Säuglinge und Kinder bis sechs Jahre auf den Weg gebracht. Leber und Niere dieser Kinder arbeiteten noch nicht wie die von Erwachsenen und könnten Schadstoffe schlechter abbauen. Erforscht würden die Essgewohnheiten, aber auch die detaillierte Aufnahme einzelner Inhaltsstoffe. "Die Ergebnisse müssen Basis sein für eine internationale Neubestimmung erlaubter Inhaltsstoffe." Erste Ergebnisse seien Ende nächsten Jahres zu erwarten.