Die Fed lockt die Anleger aus der Reserve
Das Parken von Geld wird schmerzvoll / Bei Staatsanleihen schwindet die Kursphantasie
dri. NEW YORK, 7. November. Amerikas Zentralbank (Fed) lockt die Anleger, die ihre Mittel in Geldmarktpapieren parken, aus der Reserve. Indem sie ihren Leitzins um weitere 50 Basispunkte auf nunmehr 2 Prozent herabschleuste, hat die Fed gewissermaßen sichergestellt, daß Inhabern von Geldmarktfonds nach Abzug von Inflation und Steuern eine negative reale Rendite winkt. Amerikaner haben derzeit in Geldmarktfonds fast 2,3 Billionen Dollar geparkt, eine Summe, die nahe an das Volumen der reinen Aktienfonds herankommt. Dieser Liquiditätsberg, der in den vergangenen 12 Monaten um rund 400 Milliarden Dollar gewachsen ist, nährt an der Wall Street seit Monaten die Phantasie der Aktienmarktstrategen. Von größeren Umschichtungen in den Aktienmarkt ist freilich noch nichts zu sehen. Der September hatte den Aktienfonds sogar einen Rekordabfluß beschert, und im Oktober dürfte die Bilanz der Zu- und Abflüsse fast ausgeglichen gewesen sein.
Neben Geldmarktfonds stehen vielmehr zunehmend Rentenfonds in der Gunst der Anleger. Ihre Nettomittelzuflüsse sind im bisherigen Jahresverlauf rund fünfmal höher als die der Aktienfonds. Es ist 10 Jahre her, seit die Anleger in Amerika mehr Geld in Rentenfonds als in Aktienfonds investierten. Der auf Anleihen spezialisierte Pimco Total Turn Fund ist in diesem Jahr sogar der amerikanische Publikumsfonds, der die meisten Mittelzuflüsse verbucht hat. Das Vermögen des zur Allianz-Gruppe zählenden Fonds hat inzwischen die Marke von 50 Milliarden Dollar überschritten. Und der Wertzuwachs dieses Jahres stellt sich auf 11 Prozent. Im Durchschnitt haben Rentenfonds bis Ende Oktober dieses Jahres eine Rendite von 5,6 Prozent erwirtschaftet, während der durchschnittliche Aktienfonds 21 Prozent verlor, heißt es bei dem Fondsspezialisten Lipper Inc.
Wer freilich jetzt noch glaubt, auf den Zug der Rentenfonds aufspringen zu müssen, läuft Gefahr, zu spät zu kommen. Dies gilt zumindest für Fonds, die stark in amerikanischen Staatsanleihen (Treasuries) investiert sind. Pimco-Manager Bill Gross, der Verwalter des Total Return Fund, sagt, daß die fortgesetzten Zinssenkungen der Fed seinen Fonds dazu zwingen, außerhalb des Marktes für Staatsanleihen nach höheren Renditen Ausschau zu halten. Der Treasury-Markt sei jetzt ziemlich ausgereizt. Gross: "Wir glauben, daß es bessere Gelegenheiten im Markt für Hypothekenanleihen und bald auch bei Unternehmensanleihen gibt."
Über die jüngste Zinssenkung der Fed ist Gross weniger begeistert. Es mache strategisch Sinn, etwas Pulver trockenzu halten, sagt der Fondsmanager. Kein General wolle sich dem Risiko aussetzen, alle Truppen aufzubrauchen. Und mit einem Leitzins von nur 2 Prozent habe die Fed nur mehr wenig in der Reserve. Freilich gibt es an der Wall Street auch Stimmen, die genau das bestreiten. In einem gewissen Sinne könne der Fed die Munition nicht ausgehen, sagt Robert DiClimente, der amerikanische Chefökonom von Salomon Smith Barney. Die Fed stelle die Munition vielmehr her. Anders.
Fortsetzung auf Seite 31.
formuliert: Man dürfe die Haltung und die Wirksamkeit der Geldpolitik nicht allein nach dem Niveau des Nominalzinses beurteilen. Vielmehr komme es auch auf die Fähigkeit der Fed an, die Liquidität zu verändern und die Inflationserwartungen zu beeinflussen. Und dabei erhöhe der Mut zu schnellem Handeln die Erfolgschancen sehr. Wenn man sich hingegen in einem Umfeld sinkender Inflationserwartungen langsam bewege, riskiere man politischen Stillstand und Ineffektivität, wie dies im Japan der frühen neunziger Jahre zu beobachten gewesen sei, sagt DiClimente.
"Je entschiedener die Fed handelt, desto wahrscheinlicher ist ihr Erfolg", sagt auch Bill Dudley, der amerikanische Chefvolkswirt von Goldman Sachs. Es sei besser, wenn die Fed über das Ziel hinausschieße und im nächsten Jahr die Zügel wieder anziehe, als daß sie nur halbherzig handele und damit die konjunkturelle Flaute konserviere. Dudley gehört denn auch zu dem wachsenden Kreis derer, die mit weiteren Zinssenkungen im Dezember und Januar rechnen. Allerdings dürfte die Fed dabei zu Trippelschritten von jeweils 25 Basispunkten zurückkehren. Der Zielsatz für Tagesgeld würde demnach auf 1,5 Prozent fallen. Ausgangspunkt der im Januar einsetzenden Zinssenkungskampagne war ein Leitzins von 6,5 Prozent.
Kritiker dieser aggressiven Zinspolitik bemängeln, daß die Fed nur mehr das kurze Ende der Zinskurve kontrolliere und die langfristigen Renditen auf die Zinssenkungen kaum reagiert hätten. Während beispielsweise die Rendite der staatlichen Schuldverschreibungen mit zwei Jahren Laufzeit seit Jahresbeginn um nahezu 300 Basispunkte auf 2,3 Prozent gefallen ist, hat sich die Rendite der zehnjährigen Treasuries um gut 90 Basispunkte auf 4,2 Prozent zurückgebildet. Die dreißigjährige (Long Bond) hat sogar nur um 65 Basispunkte auf 4,8 Prozent nachgegeben. Und dieser Renditerückgang ist auch noch zu einem Teil einer Knappheitsprämie zuzuschreiben, die diesen Papieren mit der Ankündigung des Schatzamtes zuteil wurde, keine weiteren Long Bonds mehr aufzulegen.
Allerdings greift der Blick auf die Renditeentwicklung dieses Jahres zu kurz. Die Renditen am langen Ende der Zinskurve sind schon auf der Zielgeraden des vergangenen Jahres wegen der sich abzeichnenden Zinswende deutlich gefallen. Die Fed eilte damit zu Beginn dieses Jahres den Marktrealitäten erst einmal hinterher, bevor sie schließlich selbst wieder den Takt vorgeben konnte. Seit Mai 2000, als die Fed letztmals die Zinsen erhöht hatte, ist die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe um rund 230 Basispunkte gefallen. Der durchschnittliche Zinssatz für dreißigjährige Hypotheken - in Amerika eine sehr wichtige Hausnummer, da zwei von drei Haushalten ein Eigenheim haben - ist seither von 8,7 Prozent auf 6,5 Prozent zurückgekommen. Auf diesem Zinsniveau haben Amerikaner letztmals in den sechziger Jahren ihre Hauskäufe finanziert. Nie zuvor wurde denn auch so eifrig refinanziert wie in diesen Tagen. Der hieraus resultierende Kaufkraftzuwachs trägt wesentlich dazu bei, daß die Verbraucherstimmung nicht völlig wegbricht. Die Rezession konnte die Fed zwar nicht verhindern, ohne das Zinspolster wäre es aber wohl noch schlimmer gekommen.
Die Zinssensibilität der Haushalte zeigt sich auch in der jüngsten Entwicklung der Autoverkäufe. Das Angebot zinsloser Kredite durch die großen Autohersteller in Detroit hat den Oktober zu einem der beiden besten Absatzmonate in der Geschichte der amerikanischen Automobilindustrie gemacht. Die kostspieligen Verkaufsfördermaßnahmen, die auch noch in den ersten November-Wochen beibehalten werden, dürften zwar tiefe Spuren in der Erfolgsrechnung der Autohersteller hinterlassen. Die Fed wird in diesem Verhalten der Autokäufer aber eine indirekte Bestätigung für ihre Politik des billigen Geldes sehen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2001, Nr. 260 / Seite 29
Das Parken von Geld wird schmerzvoll / Bei Staatsanleihen schwindet die Kursphantasie
dri. NEW YORK, 7. November. Amerikas Zentralbank (Fed) lockt die Anleger, die ihre Mittel in Geldmarktpapieren parken, aus der Reserve. Indem sie ihren Leitzins um weitere 50 Basispunkte auf nunmehr 2 Prozent herabschleuste, hat die Fed gewissermaßen sichergestellt, daß Inhabern von Geldmarktfonds nach Abzug von Inflation und Steuern eine negative reale Rendite winkt. Amerikaner haben derzeit in Geldmarktfonds fast 2,3 Billionen Dollar geparkt, eine Summe, die nahe an das Volumen der reinen Aktienfonds herankommt. Dieser Liquiditätsberg, der in den vergangenen 12 Monaten um rund 400 Milliarden Dollar gewachsen ist, nährt an der Wall Street seit Monaten die Phantasie der Aktienmarktstrategen. Von größeren Umschichtungen in den Aktienmarkt ist freilich noch nichts zu sehen. Der September hatte den Aktienfonds sogar einen Rekordabfluß beschert, und im Oktober dürfte die Bilanz der Zu- und Abflüsse fast ausgeglichen gewesen sein.
Neben Geldmarktfonds stehen vielmehr zunehmend Rentenfonds in der Gunst der Anleger. Ihre Nettomittelzuflüsse sind im bisherigen Jahresverlauf rund fünfmal höher als die der Aktienfonds. Es ist 10 Jahre her, seit die Anleger in Amerika mehr Geld in Rentenfonds als in Aktienfonds investierten. Der auf Anleihen spezialisierte Pimco Total Turn Fund ist in diesem Jahr sogar der amerikanische Publikumsfonds, der die meisten Mittelzuflüsse verbucht hat. Das Vermögen des zur Allianz-Gruppe zählenden Fonds hat inzwischen die Marke von 50 Milliarden Dollar überschritten. Und der Wertzuwachs dieses Jahres stellt sich auf 11 Prozent. Im Durchschnitt haben Rentenfonds bis Ende Oktober dieses Jahres eine Rendite von 5,6 Prozent erwirtschaftet, während der durchschnittliche Aktienfonds 21 Prozent verlor, heißt es bei dem Fondsspezialisten Lipper Inc.
Wer freilich jetzt noch glaubt, auf den Zug der Rentenfonds aufspringen zu müssen, läuft Gefahr, zu spät zu kommen. Dies gilt zumindest für Fonds, die stark in amerikanischen Staatsanleihen (Treasuries) investiert sind. Pimco-Manager Bill Gross, der Verwalter des Total Return Fund, sagt, daß die fortgesetzten Zinssenkungen der Fed seinen Fonds dazu zwingen, außerhalb des Marktes für Staatsanleihen nach höheren Renditen Ausschau zu halten. Der Treasury-Markt sei jetzt ziemlich ausgereizt. Gross: "Wir glauben, daß es bessere Gelegenheiten im Markt für Hypothekenanleihen und bald auch bei Unternehmensanleihen gibt."
Über die jüngste Zinssenkung der Fed ist Gross weniger begeistert. Es mache strategisch Sinn, etwas Pulver trockenzu halten, sagt der Fondsmanager. Kein General wolle sich dem Risiko aussetzen, alle Truppen aufzubrauchen. Und mit einem Leitzins von nur 2 Prozent habe die Fed nur mehr wenig in der Reserve. Freilich gibt es an der Wall Street auch Stimmen, die genau das bestreiten. In einem gewissen Sinne könne der Fed die Munition nicht ausgehen, sagt Robert DiClimente, der amerikanische Chefökonom von Salomon Smith Barney. Die Fed stelle die Munition vielmehr her. Anders.
Fortsetzung auf Seite 31.
formuliert: Man dürfe die Haltung und die Wirksamkeit der Geldpolitik nicht allein nach dem Niveau des Nominalzinses beurteilen. Vielmehr komme es auch auf die Fähigkeit der Fed an, die Liquidität zu verändern und die Inflationserwartungen zu beeinflussen. Und dabei erhöhe der Mut zu schnellem Handeln die Erfolgschancen sehr. Wenn man sich hingegen in einem Umfeld sinkender Inflationserwartungen langsam bewege, riskiere man politischen Stillstand und Ineffektivität, wie dies im Japan der frühen neunziger Jahre zu beobachten gewesen sei, sagt DiClimente.
"Je entschiedener die Fed handelt, desto wahrscheinlicher ist ihr Erfolg", sagt auch Bill Dudley, der amerikanische Chefvolkswirt von Goldman Sachs. Es sei besser, wenn die Fed über das Ziel hinausschieße und im nächsten Jahr die Zügel wieder anziehe, als daß sie nur halbherzig handele und damit die konjunkturelle Flaute konserviere. Dudley gehört denn auch zu dem wachsenden Kreis derer, die mit weiteren Zinssenkungen im Dezember und Januar rechnen. Allerdings dürfte die Fed dabei zu Trippelschritten von jeweils 25 Basispunkten zurückkehren. Der Zielsatz für Tagesgeld würde demnach auf 1,5 Prozent fallen. Ausgangspunkt der im Januar einsetzenden Zinssenkungskampagne war ein Leitzins von 6,5 Prozent.
Kritiker dieser aggressiven Zinspolitik bemängeln, daß die Fed nur mehr das kurze Ende der Zinskurve kontrolliere und die langfristigen Renditen auf die Zinssenkungen kaum reagiert hätten. Während beispielsweise die Rendite der staatlichen Schuldverschreibungen mit zwei Jahren Laufzeit seit Jahresbeginn um nahezu 300 Basispunkte auf 2,3 Prozent gefallen ist, hat sich die Rendite der zehnjährigen Treasuries um gut 90 Basispunkte auf 4,2 Prozent zurückgebildet. Die dreißigjährige (Long Bond) hat sogar nur um 65 Basispunkte auf 4,8 Prozent nachgegeben. Und dieser Renditerückgang ist auch noch zu einem Teil einer Knappheitsprämie zuzuschreiben, die diesen Papieren mit der Ankündigung des Schatzamtes zuteil wurde, keine weiteren Long Bonds mehr aufzulegen.
Allerdings greift der Blick auf die Renditeentwicklung dieses Jahres zu kurz. Die Renditen am langen Ende der Zinskurve sind schon auf der Zielgeraden des vergangenen Jahres wegen der sich abzeichnenden Zinswende deutlich gefallen. Die Fed eilte damit zu Beginn dieses Jahres den Marktrealitäten erst einmal hinterher, bevor sie schließlich selbst wieder den Takt vorgeben konnte. Seit Mai 2000, als die Fed letztmals die Zinsen erhöht hatte, ist die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe um rund 230 Basispunkte gefallen. Der durchschnittliche Zinssatz für dreißigjährige Hypotheken - in Amerika eine sehr wichtige Hausnummer, da zwei von drei Haushalten ein Eigenheim haben - ist seither von 8,7 Prozent auf 6,5 Prozent zurückgekommen. Auf diesem Zinsniveau haben Amerikaner letztmals in den sechziger Jahren ihre Hauskäufe finanziert. Nie zuvor wurde denn auch so eifrig refinanziert wie in diesen Tagen. Der hieraus resultierende Kaufkraftzuwachs trägt wesentlich dazu bei, daß die Verbraucherstimmung nicht völlig wegbricht. Die Rezession konnte die Fed zwar nicht verhindern, ohne das Zinspolster wäre es aber wohl noch schlimmer gekommen.
Die Zinssensibilität der Haushalte zeigt sich auch in der jüngsten Entwicklung der Autoverkäufe. Das Angebot zinsloser Kredite durch die großen Autohersteller in Detroit hat den Oktober zu einem der beiden besten Absatzmonate in der Geschichte der amerikanischen Automobilindustrie gemacht. Die kostspieligen Verkaufsfördermaßnahmen, die auch noch in den ersten November-Wochen beibehalten werden, dürften zwar tiefe Spuren in der Erfolgsrechnung der Autohersteller hinterlassen. Die Fed wird in diesem Verhalten der Autokäufer aber eine indirekte Bestätigung für ihre Politik des billigen Geldes sehen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2001, Nr. 260 / Seite 29