Kleine Kraftprotze - Teil2: Paragon (EuramS)
24.08.2003 09:25:00
Geld stinkt nicht, heißt es - bei Paragon ist man sogar einen Schritt weiter: Die Firma macht mit Gestank Geld. Wie das funktioniert.
von Tobias Meister / Euro am Sonntag
Haben Sie schon mal ein Stinktier überfahren? Wohl kaum. Diese eher unangenehme Spezies gibt es in freier Wildbahn nur in Nordamerika. Für die US-Bürger sind die kleinen gestreiften Tiere aber eine wahre Plage. Tausende von ihnen werden dort jährlich überfahren. Zwar ist der Schaden am Auto nur selten größer, dennoch hinterlassen die Stinktiere Todesgrüße der anderen Art: einen bestialischen Gestank, der sich mehrere Wochen lang im Auto hält. Es klingt witzig, ist aber wahr - genau dieses Stinktier-Problem könnte für die kleine Firma Paragon zum Türöffner für den US-Markt werden.
Das Unternehmen aus Delbrück in Ostwestfalen entwickelt Sensoren für die Auto-Industrie. Hauptumsatzträger sind so genannte Air-Quality-Systems (AQS) - Luftgütesensoren, mit deren Hilfe Schadstoffe in der Luft erkannt werden können. Im Ansaugkanal des Lüftungssystems angebracht, überwachen sie die eingeführte Luft auf Schadstoffe wie Kohlenmonoxid und Stickoxide - oder eben auch auf Stinktier-Ausdünstungen. Ab einer gewissen Luftbelastung schaltet die Klimaanlage automatisch auf Umluftbetrieb.
Ohne AQS muss der Fahrer die Luftqualität selbst überwachen und bei Bedarf manuell auf Umluft schalten. Großer Nachteil: Oft vergessen die Fahrer, von der verbrauchten Umluft wieder auf Frischluft umzuschalten. In den Luxus einer Paragon-Anlage kamen bisher aber nur Besitzer eines Oberklasse-Autos. Zu den Kunden der Ostwestfalen zählen große Autobauer wie Audi, BMW, VW und DaimlerChrysler.
Im Mai 2002 kam ein Großauftrag von BMW - der Durchbruch. Paragon soll AQS für alle neuen Modelle der Bayern herstellen. Bisher befinden sich die Produkte der Delbrücker bereits im 7er- und im neuen 5er-BMW. "Ich gehe davon aus, dass wir dieses Jahr für den 5er rund
150000 und kommendes Jahr schon 300000 Luftgütesensoren herstellen", sagt Paragon-Finanzvorstand Hans-Jürgen John. In den kommenden Jahren wird sich mit weiteren Modellwechseln bei BMW die Nachfrage automatisch auf 800000 Luftgütesensoren im Jahr erhöhen. Neben AQS hat Paragon noch drei weitere Sensoren für die Auto-Industrie im Angebot. So werden in vielen Pkw schon Positionssensoren eingebaut, die die Bedienung erleichtern. Diese überwachen etwa die Stellung des Schalthebels und unterstützen beim Schalten die Kupplung elektronisch. Mehr Sicherheit soll der Fahrer auch durch den Einsatz von Drucksensoren bekommen, die permanent Reifendruck und -temperatur überwachen. Und mit Hilfe von Akustiksensoren verbessert Paragon die Sprachverarbeitung in Freisprecheinrichtungen.
Das Unternehmen ist dabei, weitere Standbeine aufzubauen und entwickelt dafür auch Erkennungssysteme für Erdgas und Schwelbrände. "Das lag nahe, da wir durch die Erfahrung mit AQS nicht viel neu entwickeln mussten", so Finanzvorstand John. Bisher sind Sensoren zur Erkennung von undichten Gasleitungen europaweit jedoch nur in Großbritannien und Skandinavien gesetzlich vorgeschrieben.
Schon jetzt fürchten viele der 75 Millionen Gasheizungs-Besitzer in Europa aber Explosionen und würden freiwillig rund 250 Euro in ein Warngerät investieren, wenn sie damit ihre Sicherheit erhöhen können, so das Kalkül der Paragon-Manager. "Bis zum Jahr 2010 wollen wir hier einen Marktanteil von rund 15 Prozent. Eine Kooperation mit einem Unternehmen aus der Heizungs- und Sanitärbranche würde uns da sehr viel weiter bringen", sagt John.
Nicht zu vernachlässigen ist das ursprüngliche Paragon-Geschäft: Electronic Solutions. Das trägt noch immer rund 40 Prozent zum Konzernumsatz bei. Hier werden elektronische Baugruppen und komplette Geräte wie Gasanalyse-Apparaturen, Messgeräte-Verstärker und Industriewaagen für Kunden gefertigt, für die die Eigenproduktion unrentabel ist. Paragon ist hier Dienstleister. Im Gegensatz zum Sensorgeschäft hat man mit dieser Sparte den Sprung über den großen Teich schon geschafft und kürzlich US-Konkurrent Miquest übernommen.
Im Sensor-Geschäft lassen US-Großaufträge dagegen noch auf sich warten. Ein neu eröffnetes Büro in Detroit soll auch US-Autobauer wie Ford oder General Motors von den Paragon-Fühlern überzeugen. "Erste Kontakte verliefen ganz erfreulich", berichtet John. Und so hoffen bei Paragon alle, dass der weltweit einmalige Mini-Sensor, der auf Stinktier-Ausdünstungen reagiert, den Ostwestfalen das große US-Geschäft bringt. «
Unternehmen in Zahlen
Paragon wurde 1988 von Klaus-Dieter Frers, dem heutigen Vorstands-Chef, gegründet. Frers hält 52 Prozent der Aktien. Im ersten Halbjahr 2003 stieg der Gewinn vor Zinsen und Steuern um 26,3 Prozent auf 1,3 Millionen Euro, während der Umsatz leicht um ein Prozent auf 19,3 Millionen Euro sank. Gründe dafür waren der schwache Dollar und der Irak-Krieg. Die Prognosen sind recht optimistisch: "In den kommenden Jahren wollen wir im Konzern beim Umsatz durchschnittlich um 20 Prozent und beim Ergebnis deutlich überproportional wachsen", so Finanzvorstand John. Derzeit gibt es jedoch Probleme bei der US-Tochter Miquest: Von den geplanten sechs Millionen Euro Umsatz im Gesamtjahr fuhr sie im ersten Halbjahr erst 2,3 Millionen Euro ein.