Wenn der Pressefreiheit nichts Schlimmeres droht als Münteferings Strafanzeige, geht es ihr gut
Leser von Asterix wissen, dass die Gallier regelmäßig zur Ansicht kommen, die Römer seien verrückt geworden. Heutzutage sind es nicht die Römer, sondern die Deutschen, die verrückt geworden sind – insbesondere die Bild-Zeitung, SPD-Generalsekretär Müntefering und elf deutsche Chefredakteure: Der Bild–Zeitung hat es gefallen, aus der Miles-and-More- Affäre eine Staatsaffäre zu machen. Dem Generalsekretär der SPD fiel daraufhin nichts Schlechteres ein, als eine Strafanzeige gegen die Bild-Zeitung zu stellen. Und elf deutsche Chefredakteure haben dieser Anzeige wegen den Drang verspürt, die Pressefreiheit gegen Müntefering und Co. verteidigen zu müssen. Indes: Das aufgepumpte Getue schadet der Pressefreiheit mehr, als es ihr nützt.
Deutsche Aufgebrachtheit: Wenn die skandalgewohnten Franzosen über den Rhein schauen, mögen sie sich vor Lachen schütteln. Man muss aber gar nicht so abgebrüht sein wie die Franzosen, deren Staatspräsident wohl nur seiner Immunität wegen nicht vor Gericht kommt, um angesichts der jüngsten Serie von Übertreibungen zu sagen: Eure Sorgen möchte ich haben. Solange der Pressefreiheit hierzulande nichts anderes droht als eine Strafanzeige von Müntefering – dann geht es ihr ziemlich gut.
Man müsste sich allerdings Sorgen machen, wenn die Staatsanwaltschaft nun Redaktionsräume durchsuchen und Redaktionscomputer beschlagen würde, wie es leider in den vergangenen Jahren immer öfter aus nichtigem strafrechtlichen Anlass der Fall war. Doch so blöd, sich als Wahlkampfhelferin einspannen zu lassen, ist die Staatsanwaltschaft nicht. Sie wird Münteferings überflüssige Anzeige in einen roten Aktendeckel hüllen, ein Aktenzeichen darauf malen, sie aber dann möglichst schnell in der Ablage verschwinden lassen. Wer diese Strafanzeige und ein paar törichte (mittlerweile wieder zurückgenommene) Bemerkungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Stiegler zum Anlass nimmt, das ganz große Geläute einzuschalten um das Vaterland zu warnen, der betreibt exakt den Alarmismus, den er kurz vorher der Bild-Zeitung in der Miles-and-More-Affäre vorgeworfen hat. Das Land schreibt nicht das Jahr 1962, es gibt keine neue Spiegel-Affäre; und Kai Diekmann, der Chefredakteur der Bild–Zeitung, ist auch nicht, wie damals Rudolf Augstein, eingesperrt worden; kein Mensch tut ihm etwas. Es schreien allerdings diejenigen Politiker auf, denen die Bild–Zeitung auf den Fuß gestiegen ist. Das ist normal. Dagegen muss man sich nicht heldenhaft verteidigen.
Sollte die Politik allerdings (wie weiland Oskar Lafontaine im Saarland, in Reaktion auf angeblichen „Schweinejournalismus“) auf die Idee verfallen, einen speziellen Politikerschutz zu konstruieren unter dem Vorwand, das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu stärken, dann wäre der große Alarm veranlasst. Solange das nicht der Fall ist, sollte man die Kirche im Dorf lassen. Dieser Rat ist vielleicht nicht sehr anspruchsvoll, aber offensichtlich notwendig. Die Pressefreiheit ist ein zu wichtiges Gut, um sie in kleiner Münze herumzuwerfen.