Die besseren Kapitalisten

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Die besseren Kapitalisten

 
12.06.03 19:22
In ganz Europa beweisen Genossenschaften derzeit, wie erfolgreich demokratisch geführte Unternehmen sein können

Von Thomas Hammer

Eine Genossenschaft ist das perfekte Netzwerk. Einzelne Personen oder Kleinunternehmen schließen sich zusammen, bündeln ihre Interessen und teilen die so erzielten Vorteile unter sich auf. Als Einkaufsverband zum Beispiel können sie dann wie ein Großkunde auftreten und Mengenrabatte aushandeln. Rund 132000 genossenschaftliche Unternehmen gibt es in der Europäischen Union, getragen von mehr als 80 Millionen Mitgliedern.

Im Ausland sind die Gemeinschaftsunternehmen weit verbreitet: So befinden sich in Spanien viele Schulen in der Trägerschaft von Bildungsgenossenschaften, über die sowohl Eltern als auch Lehrer den Schulbetrieb beeinflussen können. In Italien bieten soziale Genossenschaften behinderten Menschen oder ehemaligen Strafgefangenen neue Arbeitsplätze. Eine besonders exponierte Stellung in der Wirtschaft haben die Genossen in der Schweiz. Nicht nur, weil dort die Raiffeisenbank-Gruppe der drittgrößte Anbieter von Bankdienstleistungen ist. Mit jeweils rund zwei Millionen Mitgliedern und Umsätzen in zweistelliger Milliardenhöhe sind die genossenschaftlichen Handelskonzerne Coop und Migros Marktführer im Einzelhandel.

Hierzulande ist die starke Gemeinschaft zwar ebenfalls verbreitet. Dennoch habe sie „ein Imageproblem“, sagt Heino Weller, Geschäftsführer des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Nürnberg-Erlangen. Oft werden mit ihr die Überbleibsel des Kommunismus wie landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften in der DDR assoziiert, darüber hinaus sind den Deutschen allenfalls noch landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaften oder genossenschaftliche Banken bekannt.

Die unterschiedlichen Ausprägungen innerhalb Europas – von sozial orientierten Organisationen bis zur Gemeinschaft für die Bündelung wirtschaftlicher Interessen – zeigen, dass hinter einer Genossenschaft sehr unterschiedliche Ideen und Wertvorstellungen stehen können. „Die Genossenschaft ist nicht nur ein Unternehmenstyp, sondern ein gesellschaftliches Mikrosystem von ganz besonderer, auch kultureller Sensibilität“, berichtet der Wirtschaftswissenschaftler Eberhard Dülfer von der Universität Marburg in einer Studie zum europäischen Genossenschaftswesen.

Das Paradebeispiel dafür liefert der schweizerische Handelskonzern Migros, der im Jahr 1925 von Gottlieb Duttweiler als Aktiengesellschaft gegründet wurde. Sechzehn Jahre später wandelte er die Firma in eine Genossenschaft um und schenkte die Anteile seinen Kunden. Damit wurden jedoch auch soziale und ethische Werte in die Statuten des Unternehmens eingebunden, die bis heute Bestand haben. So gibt es bei Migros weder Alkohol noch Zigaretten, und ein Prozent des Umsatzes im Großhandel kommt kulturellen und sozialen Projekten zugute – das sind jährlich immerhin gut 100 Millionen Franken. „Wir müssen wachsender eigener materieller Macht stets noch größere soziale und kulturelle Leistungen zur Seite stellen“, schrieb Duttweiler in die Statuten der Migros- Genossenschaft.

Billige Kredite für Mitglieder

In Deutschland konzentriert sich der Großteil der genossenschaftlichen Szene auf wenige Wirtschaftsbereiche. So sind im landwirtschaftlichen Sektor zahlreiche Erzeuger- und Vermarktungsgenossenschaften aktiv, deren Mitglieder zumeist aus dem Kreis der Landwirte stammen. Im Groß- und Einzelhandel haben sich ebenfalls einige bedeutende Genossenschaften wie Edeka, Rewe, die Sportartikelkette Intersport oder der Spielwaren-Handelsverbund Vedes etabliert. Dass diese Unternehmen meist nicht als Genossenschaft bekannt sind, liegt daran, dass mit Ausnahme der Coop- und Konsum-Verbrauchermärkte nur Ladenbesitzer zum Teilhaberkreis zählen und nicht etwa Kunden.

Die mitgliederstärkste Fraktion stellen die Genossenschaftsbanken, zu denen sowohl die Volks- und Raiffeisenbanken wie auch Sparda- und PSD-Banken zählen. Doch gerade dort ist vom genossenschaftlichen Idealismus vielerorts nur noch wenig übrig geblieben. „Bei vielen Volksbanken und Raiffeisenbanken wird die Mitgliedschaft als Instrument der Kundenbindung vernachlässigt“, bemängelt Weller. Die ursprüngliche Idee der finanziellen Selbsthilfe ist in den Hintergrund gerückt, im Wettbewerb mit anderen Bankengruppen sorgt die Rechtsform allein nur für wenig Profil. Mit der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft sind einige Volksbanken wie die Volksbank in Stuttgart oder die Vereinigten Volksbanken Böblingen oder Cochem sogar bewusst von der genossenschaftlichen Unternehmensform abgerückt.

Ein Teilhaber, eine Stimme

Das Gegenbeispiel liefert die Raiffeisenbank in Ebsdorfergrund bei Marburg. Dort erhalten die Teilhaber am Ende des Geschäftsjahres je nach Gewinnlage einen Bonus auf die Summe der Guthaben- und Kreditzinsen. Wer etwa 7000 Euro pro Jahr an Zinsen für seine Baufinanzierung zahlt, kann als Mitglied in guten Jahren mit einer Rückzahlung von 200 Euro rechnen. Kunden, die keine Anteile besitzen, gehen hingegen leer aus. „Diese Art der Mitgliederförderung wollen wir auch so fortführen“, sagt Vorstand Wiegand Schütz. Das Beispiel könnte Schule machen: Der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken hat mittlerweile eine Arbeitsgruppe zur Förderung neuer Mitgliedschaften eingerichtet. „Ein Programm mit neuen Modellen zur Mitgliedergewinnung und -bindung ist in Vorbereitung“, bestätigt der Verband.

Noch mehr Schubkraft könnte die genossenschaftliche Idee jedoch im Kreis der Technologiespezialisten und Freiberufler gewinnen, wo sich immer mehr Selbstständige vom Einzelkämpfertum verabschieden und einen Teil ihrer Leistung in partnerschaftliche Kooperationen einbringen. So zählt heute schon das auf Lohn- und Finanzbuchhaltung spezialisierte Softwarehaus Datev eG mit rund 39000 Steuerberatern und Anwälten als Teilhaber und 5300 Mitarbeitern zu den europäischen Branchengrößen. Den Beweis für das Wachstumspotenzial von Genossenschaften in Zukunftsbranchen liefert die Denic eG, die als Internet-Dienstleister sämtliche deutschen Netz-Adressen verwaltet und von den Providern als Mitgliedern getragen wird: Trotz Internet-Krise konnte die Zahl der Teilhaber von 56 Anfang 2000 auf mittlerweile 188 gesteigert werden.

Allerdings braucht so viel Miteinander ein starkes gemeinsames Interesse, um als Geschäftsmodell zu funktionieren. Schon zur Gründung müssen sich mindestens sieben Mitglieder finden, ihre Einlage leisten und die Satzung beschließen. Damit hört die Gleichberechtigung und -verpflichtung der Mitglieder nicht auf. Bei der Generalversammlung – sie ähnelt der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft – gilt der Grundsatz: Jeder Anwesende hat eine Stimme. Das gilt unabhängig davon, wie viele Anteile er besitzt. „Hier steht nicht das Kapital, sondern das einzelne Mitglied im Vordergrund“, sagt Genossenschafts-Forscher Weller. Dadurch hat jedes Mitglied gleich viel Verantwortung, und die Genossenschaft kann sich manches Problem der Aktiengesellschaften ersparen. Dann da kann es schon mal vorkommen, dass sich Großaktionäre über die Interessen der anderen hinwegsetzen.

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