„Die Baisse ist die Mutter der Hausse“
28. November 2002 Legt man die Charts von ausgeprägten Bullen- und Bärenmärkten aufeinander, dann fällt der frappierende Gleichlauf der Kursbewegungen unmittelbar auf. Unter der Prämisse, dass es bei dieser gleichgerichteten Entwicklung bleibt, ließe sich aus der Entwicklung des Nikkei 225 in den 90er Jahren tendenziell ableiten, wie es mit dem Dax weiter geht.
Vermögensverwalter Ottmar Wolf, Vorstand bei der Frankfurter Wallrich Asset Management AG, hat das Szenario durchgespielt und erklärt im FAZ.NET-Interview, wohin daraus abgeleitet die Reise beim Dax gehen könnte. Das wichtigste Fazit vorab: Rein rechnerisch müsste das Schlimmste hinter uns liegen.
Herr Wolf, was lässt sich aus dem Verlauf der Kursblasen ableiten, die sich beim Dow, dem Nasdaq, dem Nikkei und dem Dax bis zum Ende ihres jeweiligen Bullenmarktes gebildet hatten?
Es fällt auf, dass sich die genannten Bullenmärkte, sprich New Era Bull Market 1921-1929 in den USA, Immobilienblase von 1982-1989 in Japan und die New Economy bis zum Frühling 2000, in ihrem Verlauf und Ausmaß sehr ähnlich sind. So haben sich alle genannten Indizes innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Höchststand mindestens verdoppelt und fünf Jahre vor dem Top mindestens verdreifacht. Die annualisierte Rendite in den letzten acht Jahren vor dem Hoch lag bei jeweils über 20 Prozent. (siehe unten stehende erste Grafik: „Asset Price Bubbles im Vergleich“)
Setzte sich dieser Gleichlauf nach dem Platzen der Blase fort?
Im Prinzip schon. Wir haben den Dow Jones Industrial, der in den 20er Jahren als spekulatives Marktsegment galt (konservative Werte waren damals die Eisenbahn-Aktien) mit der Nasdaq verglichen. Die Entwicklung der Nasdaq in den letzten 2,5 Jahren ist sehr vergleichbar mit der Entwicklung des Dow Jones von 1929-1932. Allerdings waren die Verluste des Dow Jones noch etwas größer.
Darüber hinaus hat sich der Vergleich des Dax mit dem Nikkei aufgedrängt, da in den Medien, aber auch seitens unserer Kunden, immer wieder die Frage gestellt wurde, ob Deutschland das nächste Japan wird. Zu unserer eigenen Überraschung stellten wir fest, dass der Dax zwischenzeitlich sogar stärker verloren hat als der Nikkei zur vergleichbaren Zeit! Insofern konnten wir die von Baissiers geschürten Ängste bezüglich japanischer Verhältnisse bei Dax-Ständen von deutlich unter 3.000 Punkten nicht teilen. (siehe unten stehende zweite Grafik: „New Era Bull Market-Bubble vs. New Economy-Bubble“ sowie die dritte Grafik: „Nikkei 1989-1992 vs. Dax 2000-2002“)
Experten behaupten immer, Deutschland stünde besser da als Japan. Wieso ist der Dax dann aber sogar stärker eingebrochen?
Auch wir sind der Meinung, dass es um Deutschland heute weniger schlecht bestellt ist als um Japan zu Beginn der 90er Jahre. Den stärkeren Kurssturz des Dax führen wir neben der Überbewertung in Folge der Kursblase auf einen „System-Schock“ zurück. Drei kurze Beispiele: Erstens mussten die Versicherungen aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Solvenzkennziffern und dem gesetzlichen Mindestzins bei Lebensversicherungen im Spätsommer und Herbst zwangsweise verkaufen.
Zweitens bestehen bei der „Deutschland AG“ immer noch enorme Überkreuzbeteiligungen, etwa zwischen Allianz und Münchner Rück. So fiel die Allianz-Aktie wegen firmenspezifischer Probleme mit der Dresdner Bank stark und riss die Münchner Rück mit. Daraufhin verlor die Beteiligung der Allianz an der Münchner Rück an Wert und die Allianz wurde abgestuft, das heißt, eine klassische Abwärtsspirale kam in Gang. Drittens ist das verstärkte Auftreten von Hedge-Fonds gerade hier zu Lande ein neues Phänomen: Mit den immer weiter sinkenden Kursen fühlten sich die Leerverkäufer bestätigt und bauten ihre Short Positionen weiter aus.
Was ist für die Nasdaq und den Dax zu erwarten, wenn die ungewöhnlich hohe Übereinstimmung bei den Kursverläufen weiterhin anhält?
Die Projektion der Kursverläufe hat ergeben, dass beide Indizes vor einer neuen Phase stehen. Nach der Hausse bis Anfang 2000 und der jetzt fast dreijährigen Baisse steht uns jetzt wahrscheinlich ein volatiler Seitwärtstrend bevor - dieser kann analog zu den 30er Jahren in Amerika oder auch den 90er Jahren in Japan durchaus lange anhalten, möglicherweise bis 2010. Die Range für den Nasdaq würde dann zwischen 700 und 2.500 Punkten liegen und der Dax würde sich zwischen 2.800 und 4.500 Punkten bewegen. Das ist zugegebenermaßen keine sehr verlockende Perspektive. Aber einschränkend sei nochmals erwähnt: Diese Projektion beruht darauf, dass sich die Märkte weiterhin so entwickeln, wie in der Vergangenheit nach dem Platzen von Kursblasen. (siehe unten stehende vierte und fünfte Grafik: „Nasdaq Comp.: Projektion bis 2010“ und „Dax: Projektion bis 2010“)
Zu welcher Taktik raten Sie den Anlegern vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse?
Der Anleger muss sich zumindest mit dem Szenario einer längeren Seitwärtsbewegung vertraut machen. Nachhaltige Kursgewinne wie in den 90er Jahren wären dann durch einfaches Kaufen und Halten von Standardwerten leider nicht mehr zu erzielen.
Auch wenn das Schlimmste hinter uns liegen könnte, war es doch vermutlich so, dass kaum ein Anleger in Japan in den 90er-Jahren etwas am Aktienmarkt verdient hat. Dürfte nicht auch das schwierige Timingproblem beim Dax viel von den potenziell denkbaren Gewinnen wieder aufsaugen?
In der Tat gilt das Market-Timing als die schwierigste Herausforderung im Portfoliomanagement. Wir empfehlen daher, sich in Zukunft verstärkt auf die Dividenden zu konzentrieren. Einige europäische Blue Chips rentieren mit vier bis fünf Prozent. Wenn der Anleger die jedes Jahr sicher einfahren kann, würden auch schon geringe Kursgewinne zu einer ordentlichen Rendite führen. Außerdem sollte man überlegen, in Aufschwungphasen die Aktienquote zu senken und im Gegenzug die Rentenquote zu erhöhen. Unternehmensanleihen guter Bonität werfen zur Zeit eine Verzinsung von vier bis sieben Prozent ab, je nach Schuldner und Laufzeit.
Wenn man den Vergleich weiterspielt und als Grundlage die Entwicklung des Nikkei bis heute nimmt, dann müssten sich ganz langfristig orientierte Anleger beim Dax über das Jahr 2010 hinaus noch auf einiges gefasst machen, oder?
Richtig ist, dass es in Japan seit rund 13 Jahren mehr oder weniger bergab geht. Allerdings gab es dort keine Phase, die so grausam war, wie an den westlichen Märkten die Zeit zwischen März 2000 und Anfang Oktober 2002. Insofern sehen wir zumindest kurzfristig weiteres Erholungspotenzial für den Dax.
Nimmt man die US-Aktienmärkte als Orientierungsmaßstab - und das erscheint uns geeigneter als Japan - so kann der Langfristanleger sogar verhalten optimistisch in die Zukunft blicken. Eine Analyse des S&P 500 hat gezeigt, dass auf eine Serie von schlechte Aktienjahren immer wieder neue Haussephasen folgten. Hier galt das alte Motto: „Die Baisse ist der Vater der Hausse“. (siehe unten stehende sechste Grafik: „Jahresrenditen S&P 500“)
28. November 2002 Legt man die Charts von ausgeprägten Bullen- und Bärenmärkten aufeinander, dann fällt der frappierende Gleichlauf der Kursbewegungen unmittelbar auf. Unter der Prämisse, dass es bei dieser gleichgerichteten Entwicklung bleibt, ließe sich aus der Entwicklung des Nikkei 225 in den 90er Jahren tendenziell ableiten, wie es mit dem Dax weiter geht.
Vermögensverwalter Ottmar Wolf, Vorstand bei der Frankfurter Wallrich Asset Management AG, hat das Szenario durchgespielt und erklärt im FAZ.NET-Interview, wohin daraus abgeleitet die Reise beim Dax gehen könnte. Das wichtigste Fazit vorab: Rein rechnerisch müsste das Schlimmste hinter uns liegen.
Herr Wolf, was lässt sich aus dem Verlauf der Kursblasen ableiten, die sich beim Dow, dem Nasdaq, dem Nikkei und dem Dax bis zum Ende ihres jeweiligen Bullenmarktes gebildet hatten?
Es fällt auf, dass sich die genannten Bullenmärkte, sprich New Era Bull Market 1921-1929 in den USA, Immobilienblase von 1982-1989 in Japan und die New Economy bis zum Frühling 2000, in ihrem Verlauf und Ausmaß sehr ähnlich sind. So haben sich alle genannten Indizes innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Höchststand mindestens verdoppelt und fünf Jahre vor dem Top mindestens verdreifacht. Die annualisierte Rendite in den letzten acht Jahren vor dem Hoch lag bei jeweils über 20 Prozent. (siehe unten stehende erste Grafik: „Asset Price Bubbles im Vergleich“)
Setzte sich dieser Gleichlauf nach dem Platzen der Blase fort?
Im Prinzip schon. Wir haben den Dow Jones Industrial, der in den 20er Jahren als spekulatives Marktsegment galt (konservative Werte waren damals die Eisenbahn-Aktien) mit der Nasdaq verglichen. Die Entwicklung der Nasdaq in den letzten 2,5 Jahren ist sehr vergleichbar mit der Entwicklung des Dow Jones von 1929-1932. Allerdings waren die Verluste des Dow Jones noch etwas größer.
Darüber hinaus hat sich der Vergleich des Dax mit dem Nikkei aufgedrängt, da in den Medien, aber auch seitens unserer Kunden, immer wieder die Frage gestellt wurde, ob Deutschland das nächste Japan wird. Zu unserer eigenen Überraschung stellten wir fest, dass der Dax zwischenzeitlich sogar stärker verloren hat als der Nikkei zur vergleichbaren Zeit! Insofern konnten wir die von Baissiers geschürten Ängste bezüglich japanischer Verhältnisse bei Dax-Ständen von deutlich unter 3.000 Punkten nicht teilen. (siehe unten stehende zweite Grafik: „New Era Bull Market-Bubble vs. New Economy-Bubble“ sowie die dritte Grafik: „Nikkei 1989-1992 vs. Dax 2000-2002“)
Experten behaupten immer, Deutschland stünde besser da als Japan. Wieso ist der Dax dann aber sogar stärker eingebrochen?
Auch wir sind der Meinung, dass es um Deutschland heute weniger schlecht bestellt ist als um Japan zu Beginn der 90er Jahre. Den stärkeren Kurssturz des Dax führen wir neben der Überbewertung in Folge der Kursblase auf einen „System-Schock“ zurück. Drei kurze Beispiele: Erstens mussten die Versicherungen aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Solvenzkennziffern und dem gesetzlichen Mindestzins bei Lebensversicherungen im Spätsommer und Herbst zwangsweise verkaufen.
Zweitens bestehen bei der „Deutschland AG“ immer noch enorme Überkreuzbeteiligungen, etwa zwischen Allianz und Münchner Rück. So fiel die Allianz-Aktie wegen firmenspezifischer Probleme mit der Dresdner Bank stark und riss die Münchner Rück mit. Daraufhin verlor die Beteiligung der Allianz an der Münchner Rück an Wert und die Allianz wurde abgestuft, das heißt, eine klassische Abwärtsspirale kam in Gang. Drittens ist das verstärkte Auftreten von Hedge-Fonds gerade hier zu Lande ein neues Phänomen: Mit den immer weiter sinkenden Kursen fühlten sich die Leerverkäufer bestätigt und bauten ihre Short Positionen weiter aus.
Was ist für die Nasdaq und den Dax zu erwarten, wenn die ungewöhnlich hohe Übereinstimmung bei den Kursverläufen weiterhin anhält?
Die Projektion der Kursverläufe hat ergeben, dass beide Indizes vor einer neuen Phase stehen. Nach der Hausse bis Anfang 2000 und der jetzt fast dreijährigen Baisse steht uns jetzt wahrscheinlich ein volatiler Seitwärtstrend bevor - dieser kann analog zu den 30er Jahren in Amerika oder auch den 90er Jahren in Japan durchaus lange anhalten, möglicherweise bis 2010. Die Range für den Nasdaq würde dann zwischen 700 und 2.500 Punkten liegen und der Dax würde sich zwischen 2.800 und 4.500 Punkten bewegen. Das ist zugegebenermaßen keine sehr verlockende Perspektive. Aber einschränkend sei nochmals erwähnt: Diese Projektion beruht darauf, dass sich die Märkte weiterhin so entwickeln, wie in der Vergangenheit nach dem Platzen von Kursblasen. (siehe unten stehende vierte und fünfte Grafik: „Nasdaq Comp.: Projektion bis 2010“ und „Dax: Projektion bis 2010“)
Zu welcher Taktik raten Sie den Anlegern vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse?
Der Anleger muss sich zumindest mit dem Szenario einer längeren Seitwärtsbewegung vertraut machen. Nachhaltige Kursgewinne wie in den 90er Jahren wären dann durch einfaches Kaufen und Halten von Standardwerten leider nicht mehr zu erzielen.
Auch wenn das Schlimmste hinter uns liegen könnte, war es doch vermutlich so, dass kaum ein Anleger in Japan in den 90er-Jahren etwas am Aktienmarkt verdient hat. Dürfte nicht auch das schwierige Timingproblem beim Dax viel von den potenziell denkbaren Gewinnen wieder aufsaugen?
In der Tat gilt das Market-Timing als die schwierigste Herausforderung im Portfoliomanagement. Wir empfehlen daher, sich in Zukunft verstärkt auf die Dividenden zu konzentrieren. Einige europäische Blue Chips rentieren mit vier bis fünf Prozent. Wenn der Anleger die jedes Jahr sicher einfahren kann, würden auch schon geringe Kursgewinne zu einer ordentlichen Rendite führen. Außerdem sollte man überlegen, in Aufschwungphasen die Aktienquote zu senken und im Gegenzug die Rentenquote zu erhöhen. Unternehmensanleihen guter Bonität werfen zur Zeit eine Verzinsung von vier bis sieben Prozent ab, je nach Schuldner und Laufzeit.
Wenn man den Vergleich weiterspielt und als Grundlage die Entwicklung des Nikkei bis heute nimmt, dann müssten sich ganz langfristig orientierte Anleger beim Dax über das Jahr 2010 hinaus noch auf einiges gefasst machen, oder?
Richtig ist, dass es in Japan seit rund 13 Jahren mehr oder weniger bergab geht. Allerdings gab es dort keine Phase, die so grausam war, wie an den westlichen Märkten die Zeit zwischen März 2000 und Anfang Oktober 2002. Insofern sehen wir zumindest kurzfristig weiteres Erholungspotenzial für den Dax.
Nimmt man die US-Aktienmärkte als Orientierungsmaßstab - und das erscheint uns geeigneter als Japan - so kann der Langfristanleger sogar verhalten optimistisch in die Zukunft blicken. Eine Analyse des S&P 500 hat gezeigt, dass auf eine Serie von schlechte Aktienjahren immer wieder neue Haussephasen folgten. Hier galt das alte Motto: „Die Baisse ist der Vater der Hausse“. (siehe unten stehende sechste Grafik: „Jahresrenditen S&P 500“)