1853 beginnt die Geschichte einer Industrie, die heute in Europa 4,5 Mrd. Euro Jahresumsatz macht: Der Kartoffelchip wird 150 Jahre alt. Zurzeit arbeiten die deutschen Snack-Konzerne daran, Chips verträglicher zu machen. Und als nächstes wollen sie in China auf den Markt
von Claudia Ehrenstein
Eigentlich wollte George Crum seinen Gast so richtig ärgern. Zwei Mal schon hatte Cornelius Vanderbilt, Gourmet, Großindustrieller und reichster Amerikaner seiner Zeit, die "french-fried potatoes" zurückgehen lassen. Wutentbrannt schnitt Crum die Kartoffeln daraufhin in hauchdünne Scheiben und warf sie in siedendes Öl. Ordentlich kross sollten sie werden, damit sie beim Aufspießen mit der Gabel zerbrechen. Doch der Racheplan missglückte. Vanderbilt war von den knusprigen Scheiben begeistert. Der indianische Hilfskoch George Crum, gerade einmal 19 Jahre alt, hatte die Kartoffelchips erfunden. Das war am 24. August 1853 in Saratoga Springs im US-Bundesstaat New York.
150 Jahre später haben die Kartoffelchips längst die Welt erobert. Knabbern ist eine globale Leidenschaft. Weltweit geben die Menschen jedes Jahr 30 Mrd. Dollar für Kartoffelchips aus. Allein in Deutschland werden mit Kartoffelchips jährlich 400 Mio. Euro umgesetzt. "Chips sind Lebensfreude pur", sagt Werner Wolf, Geschäftsführer der Kölner Intersnack Knabber-Gebäck GmbH. Das mittelständische Unternehmen ist Deutschlands größter Hersteller von Kartoffelchips und die Nummer zwei in Europa. Intersnack verkauft seine Chips heute weltweit in mehr als 70 Länder und will jetzt auch den chinesischen Markt erschließen.
Jede Nation hat ihre ganz besonderen Geschmacksvorlieben. Briten, Franzosen und Schweizer mögen ihre Chips eher salzig. In Dänemark verkaufen sich Dill und Zwiebeln, in Ungarn sind Chips mit Käse gefragt. Die Deutschen aber mögen es feurig. Tortilla Chips mit Chili sind derzeit der Renner bei jungen Leuten. Die klassischen Erdnuss-Flips erleben als "Thai süß-scharf" gerade eine Renaissance. In Kürze kommen die ersten gebackenen Kartoffelchips auf den Markt. Der Chips-Klassiker aber ist die Gewürzmischung "ungarisch". "In den ersten Jahren nach dem Krieg gab es in Deutschland nichts anderes als Paprika", sagt Wolf. Noch heute kauft Intersnack im Vertragsanbau Paprika aus Ungarn.
Die Geschichte der Kartoffelchips in Deutschland begann im pfälzischen Frankenthal. 1962 bauten dort Carlo, Heinrich und Irmgard von Opel das erste Werk zur Produktion von Kartoffelchips. Aus ihren Initialen schufen sie den Markenamen Chio. 1968 gründete das Kölner Unternehmen Pfeifer & Langen die Marke Chipsfrisch und fusionierte 1972 mit der Snackabteilung von Pfanni zu Funny-frisch. Fünf Jahre später schlossen sich Chio und Funny-frisch zu Convent zusammen. 1995 gründeten Convent und die Bäckerei Wolf Bergstraße das Unternehmen Intersnack. Es ist heute mit den drei Marken Chio, Funny-frisch und Wolf Bergstraße der führende Anbieter von salzigem Knabbergebäck in Deutschland.
"Die Deutschen knabbern vor allem zu Hause und in den Wintermonaten", sagt Wolf. Vor dem Fernseher, bei Krimis und Fußballspielen. Eine Party ohne Chips und Flips ist undenkbar. Allein 72 000 Tonnen Kartoffelchips konsumieren die Deutschen so im Jahr. Das entspricht einem Pro-Kopf-Verbrauch von 880 Gramm und scheint zu wenig um zu viel zu sein. "Nicht die Kartoffelchips machen dick, sondern der Mangel an Bewegung", erklärt Wolf im Hinblick auf die zunehmenden Gewichtsprobleme bei Kindern und Jungendlichen. "Unsere Marken sind ein gutes Vehikel, um junge Leute für den Sport zu begeistern." Daher werden die Kicker vom 1. FC Köln in der kommenden Bundesliga-Saison auf ihren Trikots für "Funny frisch Chips" werben.
Ins Visier der Verbraucherschützer gerieten die Kartoffelchips im vergangenen Jahr durch den Fall Acrylamid. Die chemische Substanz entsteht beim Braten, Backen und Frittieren, wenn die Stärke in der Kartoffel mit bestimmten Eiweißen reagiert. Diese so genannte Maillard-Reaktion verleiht den Speisen ihr typisches Aroma und gibt ihnen eine appetitliche braune Farbe. "Wir haben bereits Millionen von Euro im Bereich Forschung und Entwicklung aufgewendet, um den Acrylamidgehalt in den Kartoffelchips zu reduzieren", sagt Wolf. In den vier Werken von Intersnack in Alsbach, Cloppenburg, Petersau und Wevelinghoven wurden rund 400 Versuche gefahren, um den Produktionsprozess zu optimieren. Um bis zu 25 Prozent konnte der durchschnittliche Acrylamidgehalt so bereits abgesenkt werden.
Derzeit werden die ersten Frühkartoffeln verarbeitet. Das Förderband trägt die rötlich schimmernde "Lady Rosetta" in die große Waschtrommel. Die Kartoffeln werden automatisch geschält, in feine Scheiben geschnitten, noch einmal gewaschen, geprüft und dann frittiert. "Wir haben das so genannte Temperaturzonen-Profil in der Friteuse verändert", erklärt Wolf. Dadurch wurde die Restfeuchte in den Kartoffelchips von ,5 auf zwei Prozent erhöht. Je höher die Restfeuchte, desto geringer der Acrylamidgehalt. Jeder frittierte Chip läuft an einer Kamera vorbei. Ist er zu dunkel, wird er von einem Luftstrom automatisch rausgeblasen. "Diese opto-elektrische Auslese haben wir sensibler eingestellt", sagt Wolf. Je heller der Chip ist, desto weniger Acrylamid enthält er. Am Ende werden die Chips in einer rotierenden Trommel gewürzt und in Tüten abgefüllt. Kaum 20 Minuten hat es gedauert, um aus einer Kartoffel eine Hand voll Chips zu machen. Jedes Jahr verarbeitet Intersnack in Deutschland 40 000 Tonnen Kartoffeln.
Bei den Frühkartoffeln spielt Acrylamid keine Rolle. Je länger die Kartoffeln aber lagern, desto mehr verändert sich die Stärke und desto mehr Acrylamid bildet sich. Daher wird an der Züchtung neuer Kartoffelsorten gearbeitet.
Die Herausforderung besteht darin, Produktion und Rohstoff so zu verändern, dass der Acrylamidgehalt zwar gesenkt, der typische Geschmack und Biss der Kartoffelchips aber erhalten bleibt. Denn ordentlich knusprig müssen sie sein - wie vor 150 Jahren.
von Claudia Ehrenstein
Eigentlich wollte George Crum seinen Gast so richtig ärgern. Zwei Mal schon hatte Cornelius Vanderbilt, Gourmet, Großindustrieller und reichster Amerikaner seiner Zeit, die "french-fried potatoes" zurückgehen lassen. Wutentbrannt schnitt Crum die Kartoffeln daraufhin in hauchdünne Scheiben und warf sie in siedendes Öl. Ordentlich kross sollten sie werden, damit sie beim Aufspießen mit der Gabel zerbrechen. Doch der Racheplan missglückte. Vanderbilt war von den knusprigen Scheiben begeistert. Der indianische Hilfskoch George Crum, gerade einmal 19 Jahre alt, hatte die Kartoffelchips erfunden. Das war am 24. August 1853 in Saratoga Springs im US-Bundesstaat New York.
150 Jahre später haben die Kartoffelchips längst die Welt erobert. Knabbern ist eine globale Leidenschaft. Weltweit geben die Menschen jedes Jahr 30 Mrd. Dollar für Kartoffelchips aus. Allein in Deutschland werden mit Kartoffelchips jährlich 400 Mio. Euro umgesetzt. "Chips sind Lebensfreude pur", sagt Werner Wolf, Geschäftsführer der Kölner Intersnack Knabber-Gebäck GmbH. Das mittelständische Unternehmen ist Deutschlands größter Hersteller von Kartoffelchips und die Nummer zwei in Europa. Intersnack verkauft seine Chips heute weltweit in mehr als 70 Länder und will jetzt auch den chinesischen Markt erschließen.
Jede Nation hat ihre ganz besonderen Geschmacksvorlieben. Briten, Franzosen und Schweizer mögen ihre Chips eher salzig. In Dänemark verkaufen sich Dill und Zwiebeln, in Ungarn sind Chips mit Käse gefragt. Die Deutschen aber mögen es feurig. Tortilla Chips mit Chili sind derzeit der Renner bei jungen Leuten. Die klassischen Erdnuss-Flips erleben als "Thai süß-scharf" gerade eine Renaissance. In Kürze kommen die ersten gebackenen Kartoffelchips auf den Markt. Der Chips-Klassiker aber ist die Gewürzmischung "ungarisch". "In den ersten Jahren nach dem Krieg gab es in Deutschland nichts anderes als Paprika", sagt Wolf. Noch heute kauft Intersnack im Vertragsanbau Paprika aus Ungarn.
Die Geschichte der Kartoffelchips in Deutschland begann im pfälzischen Frankenthal. 1962 bauten dort Carlo, Heinrich und Irmgard von Opel das erste Werk zur Produktion von Kartoffelchips. Aus ihren Initialen schufen sie den Markenamen Chio. 1968 gründete das Kölner Unternehmen Pfeifer & Langen die Marke Chipsfrisch und fusionierte 1972 mit der Snackabteilung von Pfanni zu Funny-frisch. Fünf Jahre später schlossen sich Chio und Funny-frisch zu Convent zusammen. 1995 gründeten Convent und die Bäckerei Wolf Bergstraße das Unternehmen Intersnack. Es ist heute mit den drei Marken Chio, Funny-frisch und Wolf Bergstraße der führende Anbieter von salzigem Knabbergebäck in Deutschland.
"Die Deutschen knabbern vor allem zu Hause und in den Wintermonaten", sagt Wolf. Vor dem Fernseher, bei Krimis und Fußballspielen. Eine Party ohne Chips und Flips ist undenkbar. Allein 72 000 Tonnen Kartoffelchips konsumieren die Deutschen so im Jahr. Das entspricht einem Pro-Kopf-Verbrauch von 880 Gramm und scheint zu wenig um zu viel zu sein. "Nicht die Kartoffelchips machen dick, sondern der Mangel an Bewegung", erklärt Wolf im Hinblick auf die zunehmenden Gewichtsprobleme bei Kindern und Jungendlichen. "Unsere Marken sind ein gutes Vehikel, um junge Leute für den Sport zu begeistern." Daher werden die Kicker vom 1. FC Köln in der kommenden Bundesliga-Saison auf ihren Trikots für "Funny frisch Chips" werben.
Ins Visier der Verbraucherschützer gerieten die Kartoffelchips im vergangenen Jahr durch den Fall Acrylamid. Die chemische Substanz entsteht beim Braten, Backen und Frittieren, wenn die Stärke in der Kartoffel mit bestimmten Eiweißen reagiert. Diese so genannte Maillard-Reaktion verleiht den Speisen ihr typisches Aroma und gibt ihnen eine appetitliche braune Farbe. "Wir haben bereits Millionen von Euro im Bereich Forschung und Entwicklung aufgewendet, um den Acrylamidgehalt in den Kartoffelchips zu reduzieren", sagt Wolf. In den vier Werken von Intersnack in Alsbach, Cloppenburg, Petersau und Wevelinghoven wurden rund 400 Versuche gefahren, um den Produktionsprozess zu optimieren. Um bis zu 25 Prozent konnte der durchschnittliche Acrylamidgehalt so bereits abgesenkt werden.
Derzeit werden die ersten Frühkartoffeln verarbeitet. Das Förderband trägt die rötlich schimmernde "Lady Rosetta" in die große Waschtrommel. Die Kartoffeln werden automatisch geschält, in feine Scheiben geschnitten, noch einmal gewaschen, geprüft und dann frittiert. "Wir haben das so genannte Temperaturzonen-Profil in der Friteuse verändert", erklärt Wolf. Dadurch wurde die Restfeuchte in den Kartoffelchips von ,5 auf zwei Prozent erhöht. Je höher die Restfeuchte, desto geringer der Acrylamidgehalt. Jeder frittierte Chip läuft an einer Kamera vorbei. Ist er zu dunkel, wird er von einem Luftstrom automatisch rausgeblasen. "Diese opto-elektrische Auslese haben wir sensibler eingestellt", sagt Wolf. Je heller der Chip ist, desto weniger Acrylamid enthält er. Am Ende werden die Chips in einer rotierenden Trommel gewürzt und in Tüten abgefüllt. Kaum 20 Minuten hat es gedauert, um aus einer Kartoffel eine Hand voll Chips zu machen. Jedes Jahr verarbeitet Intersnack in Deutschland 40 000 Tonnen Kartoffeln.
Bei den Frühkartoffeln spielt Acrylamid keine Rolle. Je länger die Kartoffeln aber lagern, desto mehr verändert sich die Stärke und desto mehr Acrylamid bildet sich. Daher wird an der Züchtung neuer Kartoffelsorten gearbeitet.
Die Herausforderung besteht darin, Produktion und Rohstoff so zu verändern, dass der Acrylamidgehalt zwar gesenkt, der typische Geschmack und Biss der Kartoffelchips aber erhalten bleibt. Denn ordentlich knusprig müssen sie sein - wie vor 150 Jahren.